Christa Wolf zum Geburtstag
Auf dem Weg zu einem Buch, das später den Titel erhielt „Meinetwegen Schmetterlinge“, fand sich Joachim Walther auch in Kleinmachnow ein. Es war der 31. Oktober 1972, drei Stunden dauerte das Gespräch. Und eine seiner Fragen, wohl unvermeidlich, lautete: „Was ist Ihr zentrales Anliegen?“ Die Antwort dazu: „Mich interessiert die Entwicklung, die die Menschheit heute nimmt, um sich ihr Überleben zu sichern, und möglichst mehr als das Überleben. Die Spannungen, die zwischen sozialen Gruppen und einzelnen in diesem Prozess entstehen. Wie man sie endlich zur Produktion von Menschlichkeit verwerten kann und nicht zur Zerstörung.“
Eine andere Antwort, acht Jahre davor formuliert, hieß: „Auch heute noch kommt mir insgeheim mancher Mensch wie verzaubert vor, und ich wünsche mir oft, die Literatur wäre etwas wie ein Zauberstab, ihn, sie alle zu erlösen: die toten Seelen zum Leben zu erwecken, ihnen Mut zu sich selbst zu machen, zu ihren oft unbewussten Träumen, Sehnsüchten, Fähigkeiten ...“. Und wenn auch ein nicht geringer Teil von Literatur eher ein dürres Stöckchen bleibt: Die Bücher, die sie geschrieben hat, haben alle etwas von jenem Zauberstab. Berührung mit ihnen machte und macht Mut, nicht nur zu sich selbst, auch da wo von offenbar Ermutigendem die Rede ist.
Diese Bücher heißen: „Kindheitsmuster“ und „Nachdenken über Christa T.“, „Kassandra“ und „Störfall“, „Der geteilte Himmel“ und „Moskauer Novelle“, „Fortgesetzter Versuch“ und „Die Dimension des Autors“. Diese Bücher suggerieren kein kühles Besserwissen, sie reden von Betroffenheiten, sie scheuen die Schmerzgrenze nicht. „Kein Ort. Nirgends“ hieß eines, das Karoline von Günderode mit Kleist zusammenführte, „Unter den Linden“ ein anderes, nur scheinbar anderes. „Im Grunde ist mein Wunsch, dass die Literatur oder das, was ich in der Literatur sagen möchte, mich ohne Rest aufzehrt.“ Deshalb werden wir uns auch künftig nicht an ihre beruhigen können. Und danken ihr das. Sie wird morgen, am 18. März, sechzig Jahre alt, sie: CHRISTA WOLF.
Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, Nr. 5, 32. Jahrgang, S. 5, 17. März 1989
unter der Überschrift „Literatur zehrt mich auf“