Notizen zu Kurt Wolff

Wer Thomas Aycks Zuckmayer-Biographie aus der Reihe Rowohlts Bildmonographien zur Hand nimmt (Ayck starb schon 1988, nicht einmal 50 Jahre alt und hatte wohl kaum Gelegenheit, sich um Fehlstellen seines Büchleins zu kümmern), sucht einen Namen vergebens, den des ersten Zuckmayer-Verlegers Kurt Wolff. Wer die recht stattliche Zahl der Zeitungsartikel zur Hand nimmt, die aus Anlass einer von Bonn über Frankfurt nach Wien wandernden Ausstellung zu Kurt Wolff geschrieben wurden zwischen Mai 2007 und Januar 2008, der wird wiederum den Namen Carl Zuckmayer vergeblich suchen, was angesichts der doch sehr zahlreich erwähnten Namen, die in den Umkreis des Verlegers Wolff passen und gehören und immer genant werden, einigermaßen verwunderlich ist. Man muss hier kein Geheimnis vermuten, das es vielleicht gar nicht gibt. Es lassen sich ja Bücher aufschlagen, die auskunftsfreudiger sind.

Die Autobiographie „Als wär's ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“, die in Frankfurter Gesamtschullehrerkreisen als eine Art Heilige Schrift gilt, widmet sich an genau vier Stellen, die das Personenregister brav ausweist (und zutreffend, was keineswegs zu den ständigen Haupteigenschaften von Personenregistern gehört, soweit Verlage sich die Mühe eines solchen überhaupt leisten), Kurt Wolff. Los geht es auf Seite 202: „Auf einmal aber, so zwischen 1911 und 1913, lagen im Schaufenster der Buchhandlung Wilckens am Schillerplatz neuartig und einheitlich ausgestattete Druckschriften mit dem Aufdruck „Kurt Wolff Verlag“. Da tauchten unbekannte Namen auf, Werfel, Hasenclever, eine „Erzählung „Der Heizer“ von Kafka – und diese Heftchen, „Der jungste Tag“ erfüllten uns mit einem ganz neuen, revolutionären Elan, wie er von der bisherigen „Moderne“ nicht ausgegangen war.“ Damit sind schon einmal drei Namen gefallen, die im Zusammenhang Wolff bedeutsam sind. Franz Werfel war nicht nur Autor, sondern auch Lektor bei Wolff, Walter Hasenclever mit seinem „Der Sohn“ exemplarischer Dramatiker dessen, was für Expressionismus galt, und Franz Kafka, von dessen Erstling Wolff in fünf Jahren ganze 258 Exemplare verkaufte, einer seiner verlegerischen Flops.

An zweiter Stelle (S. 372)  geht es zuerst um den Theaterregisseur Ludwig Berger: „Am nächsten Tag bekam ich von Berger ein Triumphtelegramm und ein zweites von Jessner, das mir die Annahme zur Uraufführung im großen Haus am Gendarmenmarkt bestätigte. Wenige Tage später folgte ein reizender Brief von Kurt Wolff, der mir mitteilte, er habe „von dem Werk den stärksten und erfreulichsten Eindruck gehabt und möchte es in seinem Verlag als Buch herausbringen. Der Vertrag lag bei. Das war im Oktober 1920. ... Kurt Wolff war immer noch der maßgebende Verleger der jungen Generation, der Präzeptor aller neuen, fortschrittlichen Literatur.“ Es ging um Zuckmayers Drama „Der Kreuzweg“, das in der Tat unter Leopold Jessner aufgeführt wurde und bei Wolff 1921 gedruckt erschien, freilich veriss die maßgebende Berliner Kritik die Inszenierung sehr heftig, besonders Alfred Kerr tat sich dabei hervor und nicht erst aus heutiger Sicht wohl vollkommen berechtigt. Man kann im Verlegerbriefwechsel von Kurt Wolff zum Vorgang gewissermaßen Korrektur lesen.

Da schreibt Kurt Wolff unter dem 4. Oktober 1920 zunächst an Ludwig Berger: „Was das Drama „Kreuzweg“ angeht, so verlasse ich mich in diesem Fall auf Sie, und ich gestehe Ihnen, daß es das erste Mal seit Bestehen des Verlages ist, daß wir uns zur Annahme einer Dichtung entschließen, die niemand von uns gesehen hat.“  Und deshalb dringend erbeten wurde. Am 25. Oktober 1920 wandte sich Wolff direkt an Zuckmayer. Das ist der Brief mit dem beigefügten Vertragsentwurf, bei dessen Wortlauf heutigen Autoren die Ohren sausen werden, die schon erstaunt vernehmen, das andere, glückliche Buch-Autoren überhaupt einen Verlagsvertrag bekommen haben. Wolff erkundigte sich bei Zuckmayer, ob dem eventuell ein Vorschuss genehm sei, nicht viel später kam Zuckmayer in fast schon unverschämt zu nennender Weise auf ein solches Angebot zurück. Bemerkenswert aus heutiger Sicht auch diese Aussage Wolffs: „Wir hoffen, daß die durch dieses Drama zwischen uns geschaffene Verbindung von Dauer sein wird, da wir Wert darauf legen, nicht einzelne Bücher zu verlegen, sondern für das Werk eines Autors in seiner Gesamtheit einzutreten.“

Während diese Passage immer mal gern zitiert wird, wenn es um den besonderen Charakter des Verlegers Kurt Wolff geht, bleibt die zwingend als Ergänzung zu lesende Aussage des Briefendes meist unerwähnt, die da lautet: „Wir wünschen prinzipiell keine Bindung für die zukünftige geistige Produktion eines Autoren zu schaffen, da wir glauben, daß nur freier Wille eine sympathische und mögliche Grundlage einer Verbindung sein kann.“ Aus genau diesem Grund verzichtete Wolff auf eine Vertragsklausel, die die Gefahr hätte bedeuten können, später als Knebel empfunden zu werden. Tatsächlich hat es nie ein zweites Zuckmayer-Buch bei Kurt Wolff gegeben, wenngleich es zunächst noch durchaus anders aussah. Zuckmayer drängelte nicht nur dezent beim „Kreuzweg“, weil angeblich die Kritiker bei ihm drängelten, nur sehr langmütige Menschen mögen solche Drängeleien, selbst wenn sie in argumentative Watte verpackt sind. Zuckmayer avisierte außerdem gleich zwei neue Dramen, die beide nie vollendet wurden. Wenn man die Probe aus dem einen Stück liest, mit der Zuckmayer Wolff verlocken wollte, dann kan man jetzt nur noch mit dem Kopf schütteln. Es ist das pure nervtötende Expressionismus-Gestammel, das Ende 1920 längst seinen Zenit hinter sich hatte und allenfalls bei Lyrik je wirklich funktionierte, während es von der Bühne herunter regelmäßig zur unfreiwilligen Komik tendiert.

Zuckmayer wollte sich, um seine Projekte in Ruhe zu Ende bringen zu können, 5000 bis 6000 Mark bei Wolff als Blindvorschuss erbitten, 1000 Mark gab es tatsächlich und da war noch keine Inflation, das Geld also durchaus ein ansehnlicher Betrag. In Zuckmayers Lebensrückblick heißt es lakonisch: „Die Vorschüsse des vornehmen Kurt Wolff waren längst verbraucht – er verlangte nie eine Rückzahlung -, aber neue waren selbst aus ihm nicht herauszuholen.“ Man könnte Betrachtungen darüber anstellen, warum Wolff jetzt plötzlich vornehm genannt wird, was durchaus zutreffend sein kann (und war), aber keine Rolle spielte, als die Vorschussquelle noch sprudelte. Sichtweisen verändern sich radikal, wenn jemand jemandes Erwartungen nicht erfüllt, kleine Geister werden darüber sofort kiebig bis zur Infantilität und verweigern die Nahrungsaufnahme (im übertragenen Sinne). So weit ging Carl Zuckmayer selbstredend nicht. Die vierte und letzte Erwähnung des Verlegers (S. 453) betrifft einen letzten Versuch, etwas bei Kurt Wolff zu platzieren, das aber ging dann, vermittelt von Brecht, zu Gustav Kiepenheuer.

Es wäre nunmehr noch das Übliche zu Kurt Wolff abzuarbeiten, also die große Rolle, die er keineswegs nur für den Nachruhm Franz Kafkas spielte. Also die Bestseller, die er hatte mit Gustav Meyrink und Heinrich Mann, mit Riesenabstand vor allem aber mit Rabindranath Tagore. Ich könnte von Peter Ludewig schreiben, dem ich meine ersten haptischen Kontakte mit der Reihe „Der jüngste Tag“ verdanke in Berlin-Biesdorf und später in Mauernähe an der Jannowitzbrücke. Die bibliophilen Drucke Wolffs, die Künstler einbezogen, die heute zum Teuersten zählen, was Auktionen anbieten können. Die Holzschnitte von Franz Masereel zu Charles de Coster gehören vielleicht nicht in die siebenstellige Kategorie, dafür besitze ich eine neuere Ausgabe mit ihnen. Aber dies sind nicht grundlos nur Notizen, die sich dem einzigen Anlass verdanken, dass Kurt Wolff heute vor 50 Jahren an den Folgen eines Unfalls starb. Seine Grabstätte findet sich in Marbach. Wer das dortige Literaturarchiv besucht, kann also immer zwanglos auch den am 3. Juli 1887 in Bonn geborenen Kurt Wolff besuchen. Ich hole das bei meinem nächsten Marbach-Trip mit Sicherheit nach. Schon allein, weil er neben allem eben auch Jahrgangsgefährte von Männern war wie Ernst Balcke, Bruno Frank, Albert Paris Gütersloh, Georg Heym, Georg Trakl und Arnold Zweig, zu denen ich mich bei Gelegenheit bereits mit anderen Notizen äußerte.


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