Shakespeare: Wie es euch gefällt; Shakespeare Company Berlin
Nur Kim Pfeiffer genießt das vermeintliche Privileg, nicht mehrere Rollen an einem Abend spielen zu müssen, sie ist Rosalinde und nichts als Rosalinde. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Rosalinde ist mit 721 Zeilen, 201 Auftritten und 5698 Wörtern die längste Frauenrolle, die William Shakespeare hinterließ. Und deshalb natürlich immer tapfer gekürzt wird, es bleibt genügend Rest. Im farbigen Hochglanz-Programmheft, das die Darsteller mit sehr viel Marketingspaß vor Spielbeginn an Mann und Frau zu bringen suchten, hat der Inszenator Christian Leonhard begrüßenswert klar gesagt, was ihm die Debatte um Shakespeares Identität bedeutet, nämlich wenig bis nichts: „Mag Shakespeare ein Mysterium bleiben, wir Menschen sind für ihn ein offenes Buch.“ Und ob er, das zu demonstrieren, eine Vorlage fast getreu oder sehr großzügig, ob er drei Vorlagen oder nur eine uns unbekannte benutzte, ist für den Zuschauer bedeutungslos. Um den aber, manche mag das fortgesetzt überraschen, geht es im Theater. Hier bei „Wie es Euch gefällt“ gab es einen gewissen Thomas Lodge mit seiner Erzählung „Rosalynde“, es gab einen Philip Sydney mit einem aus dem Spanischen übertragenen Schäferroman „Arcadia“ und irgendwo hinter dem echten Thomas Lodge soll auch ein unechter Geoffrey Chaucer zu finden sein. Es sei.
Nimmt man einen Wissenschaftler wie Walter Naumann ernst, der in seinem Buch „Die Dramen Shakespeares“ darauf aufmerksam macht, dass in „Wie es Euch gefällt“ Liebe wie auch andernorts bei Shakespeare als Liebe auf den ersten Blick in Erscheinung tritt, als plötzlich auftretende Macht, und sich damit eben von jener Liebe unterscheidet, deren allmähliches Entstehen mit psychologischer Hellsicht und Feinheit beschrieben wird, dann ist die Behauptung des Flyers zur Inszenierung falsch, es handle sich um Shakespeares romantischste Komödie. Denn genau diese voraussetzungslose, diese entstehungsgeschichtsfreie Liebe ist eben nicht Sache der Romantik. Doch ist es wiederum nicht Geschäft von Sommertheater, dröge Schubladen-Debatten der Literaturgeschichte auf die Bühne zu tragen. Schäferdichtung war im England der Entstehungszeit (um 1599) ausgesprochene Mode, in Modifikationen und mit Zeitversetzungen auch im übrigen Europa und das deutlich eher, als Romantik überhaupt das Licht der Kunstwelt erblickte. Vor allem stellt „Wie es Euch gefällt“ zwei Welten gegeneinander: eine Waldwelt (der Wald von Arden wird mit ärgerlicher Hartnäckigkeit immer wieder „Ardenner Wald“ genannt und damit assoziativ in die Gegend von Belgien/Luxemburg verlegt, wo es freilich so wenig Löwen gab wie bei Arden) und eine Realwelt, in der Herzöge Menschen verbannen, Brüder einander nach dem Leben trachten.
Die Berliner Shakespeare Company, die im Natur-Park Schöneberger Südgelände siedelt unter alten Bäumen mit Schienenresten dazwischen, mit einem riesigen Lokschuppen als Ausweichspielstätte für schlechtes Wetter, hat für den Wald von Arden in „Wie es Euch gefällt“ fast reine Naturkulisse. So ist auf der Bühne selbst dann auch kaum Bühnenbild: ein paar Roll-Container mit vielseitiger Verwendbarkeit, blaue Stoffbahnen, hinter denen die Darsteller verschwinden und aus denen sie wieder auftauchen. Sie nutzen auch die umgebende Natur, den Zuschauerraum mit seiner sich aus Sitzkissen-Farben ergebenden Ordnung. Zuschauer werden einbezogen ins Spiel und nicht einmal ein einzelner Mann, der sich berufen fühlt, als vorlauter Dauer-Lautlacher die Aufmerksamkeit des Publikums von der Bühne weg zu sich zu locken, schafft es, die Mimen zu irritieren. Diese Spezies ist glücklicherweise relativ selten, aber ich habe sie bereits in einem halben Dutzend Theatern erlebt, sie haben den Übergang vom Selbstdarsteller zur Knallcharge offenbar verschlafen und deuten die berühmteste Textpassage dieser Komödie als ihr Lebensprogramm: „Die ganze Welt ist Bühne, // Und alle Frau'n und Männer bloße Spieler.“ Bei Shakespeare geht es noch weiter, für Reihe sechs aber reicht das schon aus. Wobei eins natürlich nicht unterschlagen werden soll: Zu lachen gab es in den gut zweieinhalb Stunden mehr als reichlich. Die Inszenierung tut nicht so, als sei ihr das Haschen nach Effekten despektierlich. Und nie hat man das Empfinden, die Darsteller/innen hätten Spielfreude eigens vorzutäuschen.
Vier Darsteller (Vera Kreyer, Daniel Schröder, Nico Selbach und Thilo Herrmann) spielen je drei Rollen, Yvonne Johna zwei und, siehe oben, Kim Pfeiffer allein die Rosalinde. Das setzt flinke Verwandlungen voraus, selbst ein Lars Eidinger hat gesprächsweise bekannt, schon einmal in den Ton einer anderen Rolle verfallen zu sein, wenn er die am Vortag oder am Folgetag zu spielen hatte. Man soll das also nicht unterschätzen. Die SCB, so ihr eigenes offiziellen Kürzel, zeigt höchste Professionalität dabei. Bei Shakespeare selbst trägt die Rosalinde nicht nur die größte Textmasse mit sich, sie ist auch bisweilen fast beängstigend schlagfertig, zeigt Kenntnisse in Dinge, von denen sie nach menschlichem Ermessen wenig wissen dürfte, sie ist auch mehr als verblüffend gebildet, was man schlaglichtartig vorgeführt bekommt, wenn es um Versmaße geht. Die Textmasse in ihrer und anderen Rollen hat mit der Art zu tun, wie zu Shakespeares Zeiten gespielt wurde, auch darauf weist der bereits zitierte Walter Naumann prägnant hin, die Zuschauer im Globe in London waren geschult, sich verbal beschworene Szenerie selbst zu imaginieren, der Text als solcher also begrenzt für Kim Pfeiffer (wie für andere Rosalinde-Darstellerinnen, wo auch immer) Aktionsmöglichkeiten. Dagegen kann Thilo Herrmann als Schäfer Corin den krummen Blinden geben und das Publikum lacht schon allein bei seinem Anblick. Auch als Orlando hat er – oder nimmt er sich – enormen Aktionsraum, wenn er dichtet und seine Verse im Wald an Bäumen verteilt. www.shakespeare-company.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.