Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder; Theater die Baustelle Köln

Vor nun auch schon wieder mehr als einem Vierteljahrhundert lautete eine Preisfrage: Warum verteidigen die Amerikaner die Freiheit in Kuweit und nicht in Belorussland? Die Antwort: Weil es in Belorussland kein Öl gibt. Das hört bis heute niemand gern, vor allem nicht in den Ländern, die zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehören. Niemand in diesen Ländern lacht sich tot, wenn er von Regeln hört, dass Waffen nicht in Krisen- oder gar Kriegsgebiete geliefert werden sollen, dürfen, sollten, dürften. In Friedensgebieten machen sich Waffen bekanntlich besser, man hängt sie sich übers Sofa oder stellt sie im Garten auf, um Blumentöpfe daran zu befestigen. Eine solide Mittelstreckenrakete neben dem höchsten Birnbaum erlaubt auch das Ernten der am höchsten hängenden Früchte, die nur Füchse für sauer halten. So weit die Praxis. Die Theorie hat was mit einem gewissen Marx zu tun, mit dem ein gewisser Brecht in gewisser Weise eben auch zu tun hatte. Das Ergebnis: er kam zu der irrigen Überzeugung, dass Aufklärung über die Ursachen aller Kriege vielleicht dazu beitragen könnte, dass es zu keinen neuen Kriegen mehr kommt. Es gab Zeiten zwischenhin, als das mit den Kriegen dann doch nicht mehr ganz so leicht klappen wollte, wenigstens im guten alten Europa nicht, da suchte man nach Auswegen, um es nicht ausgerechnet in der Rüstungsindustrie zu Massenarbeitslosigkeit kommen zu lassen.

Und siehe: es fanden sich Wege. Wenn man zum Beispiel nachweisen kann, dass eine sechsstellige Zahl von Handfeuerwaffen einfach nicht trifft, wenn die Sonne scheint, oder der Wind von der Seite kommt oder der Mond weht, dann beginnen in den Planungsetagen der Handfeuerwaffenwirtschaft schon die Flipcharts zu klappen. Ähnlich geht es mit Hubschraubern, die nicht fliegen, mit Panzern, die im Schlamm stecken bleiben, ohne dass jemand fragt, was die im Schlamm eigentlich machen. Wenn all unsere Kriegsschiffe Flüchtlinge retten, dann haben wir keine mehr, wenn Putin mit seiner Schwarzmeerflotte in den Mittellandkanal einbiegt. Und trotz allem stellt Bert Brecht in seiner „Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“ mit dem Titel „Mutter Courage und ihre Kinder“ nicht etwa den Militärisch-Industriellen Komplex an den Pranger. Er führt eine Frau vor, eine dreifache Mutter, alleinerziehend, müsste man heute eilfertig ergänzen, die vom Krieg lebt, die am Krieg verdient und die sich die Welt so deutet, dass sie ihrem Weltbild entspricht. Übertrieben musterhaft scheint das nicht zu sein. Frauen, die am Krieg verdienen, wo doch selbst Christa Wolf schließlich und endlich zur Erkenntnis kam, dass die Männer an allem Schuld tragen, insbesondere am Krieg, an diesem bösen Krieg, der Frauen ins Unglück bringt, ihnen Gatten, Söhne, Väter, Brüder nimmt, während er den Männern bekanntlich nichts Nennenswertes nimmt außer halt das Leben.

Mit dem Vorzeigen einer solchen Frau hat Brecht eins ausgeschlossen: die rasche Distanzierung. Der bitterböse Stahlbaron, der Chemiewaffenkönig, selbst der ehrgeile General wären Personen, von denen man sich leicht abwendet. Die Mutter Courage aber, die eigentlich Anna Fierling heißt, die wird Courage genannt, weil sie welche hat, die will nur ihre Kinder schützen, die beiden Söhne und die stumme Kattrin. Und würde sofort und umstandslos ihr Leben für sie geben. Seit das Stück 1941 seine Uraufführung in Zürich erlebte (Regie Leopold Lindtberg) mit Therese Giehse in der Titelrolle, seit im Nachkriegsberlin dann bis 1961 Helene Weigel 405mal den Planwagen zog zu einem beispiellosen Welterfolg, seither hat das Stück neben allem auch Einschüchterungspotential. Man muss nicht Brecht-Erben-Gebaren oder anderes aufrufen, die schiere Übergröße der Vorgabe kann mutlos machen. Um so höher ist zu veranschlagen, wenn sich ein kleines, junges Ensemble mit einer, wie ich las, ehrenamtlichen Intendantin, die auch Regie führte, heran wagt. Das Kölner „Theater die Baustelle“ war mir bis zum Gastspiel in Arnstadt kein Begriff. Und nun habe ich sogar die Regisseurin kennen gelernt, weil sie etwas tat, was Regisseurinnen sonst nie tun: Sie gab mir einen handgeschriebenen Zettel mit den Namen aller Beteiligten. Denn man kann schlecht über eine Inszenierung schreiben, von der man nicht weiß, wer da spielte, musizierte.

Die Liste nennt acht Namen, von denen Doris Otto in der Titelrolle vielleicht der bekannteste ist. Auch Frank Watzke als Feldprediger und Markus Rührer als Feldwebel können auf ansehnliche Erfahrungen verweisen, die jedoch auch den jüngeren Akteuren (Julia Knorst als Kattrin; Jasper Schmitz als Eilif; Maximilian Pulst als Schweizer Kaas) keineswegs abzusprechen sind. Richard Bargel, der den Koch gab, hat auch einen Namen als Musiker und Sänger, Lena Sabine Berg spielte die Yvette Pottier und alle zusammen waren, wie Regisseurin Bettina Montazem mir ausdrücklich vorab nahelegte, „Menschen im Krieg“. Die Schöpferin der Kostüme, Lea-Johanna Montazem, sang Sopran, die musikalische Begleitung kam von Sven Bergmann, Christoph Freier, Christoph Fischer und Stefan Michalke, die im Arnstädter Orchestergraben agierten, der bei Schauspielen selten bis nie zum Einsatz kommt. Es gab eine Pause. Und der Planwagen? Ein starkes Seil ersetzte ihn symbolhaft. Die Sätze, soweit belassen, die bei Brecht auf einen Zwischenvorhang projiziert waren, spricht hier eine Kinderstimme mit sehr starkem Akzent hart an der Verständlichkeitsgrenze. Sie sind unerlässlich, weil sonst das Chronikhafte der Chronik vollkommen verloren ginge. Manche Szene hat Bettina Montazem in ihrer insgesamt sehr choreographischen Inszenierung ganz und gar stumm gelassen und damit auf Kontraste gesetzt.

Nur zu Beginn reden zwei Figuren gleichzeitig, was beiden Texten nicht hilft. Doch sind gerade Inszenierungen ohne Bühnenbild und fast ohne Requisiten noch mehr als andere an Text gebunden. Brechts Neigung zur Sentenz kommt dem entgegen. Es gibt Szenen von verblüffender Innigkeit: die Courage neben dem Feldprediger, die roten Schuhe, die Kattrins Begehrlichkeit wecken. Weniger überzeugend scheinen mir die Gesangsteile, ich habe möglicherweise noch zu viele zu markant vorgetragene Songs im Kopf von großen Brecht-Mimen beiderlei Geschlechts, die ich irgendwann hörte, auch losgelöst von den Stücken, aus denen sie stammen. So ergibt sich der Treppenwitz der Theatergeschichte, dass eines der großen und wichtigen Brecht-Stücke, das sich gegen bestimmte Traditionen stemmte und Schlachtworte dafür ins Feld führte, von denen „episches Theater“ am meisten Stürme auch in großen Wassergläsern auslöste, nun selbst von Tradition fast erdrückt wird. Man kann darauf stupide reagieren, wie es der rentennahe Pop-Literat Joachim Lottmann tat, der die „Mutter Courage“ schon in ihrer Entstehungszeit für muffig erklärte, als er die Burgtheater-Inszenierung von 2013 (Regie David Bösch) glaubte, schlachten zu müssen. „Generationen von Schülern haben Brecht gehasst“ begann Lottmann, als ob das gegen Brecht spräche und nicht gegen die westdeutsche Schule, die da wohl etwas „voll verkackt hat“, um im Pop-Ton zu bleiben.

Bettina Montazem sind, aufs Ganze gesehen, die Szenen der Kinder am stärksten geraten, wobei die Stummheit der Kattrin ganz sicher für jede Regie die Verführung birgt, zu viel zu wollen. Julia Knorst hält bis zum Auftritt auf der Leiter, wo sie sich den Tod herbeitrommelt, das Maß. Das ist viel. Am Ende bleibt die Mutter Courage allein, sie verkündet keine Lehre, die der Zuschauer schwarz auf weiß, womöglich noch getrost, nach Hause tragen könnte. Würde sie das tun, widerspräche sie den Intentionen ihres Schöpfers Brecht. Auf der Suche nach aktuellen Bezüglichkeiten könnte man bis in die Gegenden schauen, denen die mitteleuropäische Entspannung ihre Besatzungstruppen und Übungsplätze genommen hat, so dass die am Krieg im Frieden verdienende Infrastruktur gefährdet ist/ihr Ende erlebte. Ist der Bäcker, der jeden Morgen in die US-Garnison 2000 frische Brötchen lieferte, die Mutter Courage der Jetztzeit? Freut er sich, wenn es dann doch endlich wieder einen ordentlichen Feind gibt, der passenderweise auch noch in Moskau hockt? Mutter Courage verflucht den Krieg und will ihn sich Minuten später schon nicht mehr madig machen lassen. Wir kennen das Ende von Günter Kunerts berühmtestem Gedicht „Über einige Davongekommene“: „Nie wieder / Jedenfalls nicht gleich.“ Weil es so ist, kann „Mutter Courage“ gar nicht muffig werden, dessen war sich diese Kölner Inszenierung ziemlich sicher.
www.theaterdiebaustelle.de


Joomla 2.5 Templates von SiteGround