Schiller: Wallenstein; Landestheater Coburg

Wer den „Wallenstein“ an einem Abend spielen will, muss im Spektrum von radikal bis brutal den Rotstift ansetzen, muss unter Umständen eine vierstellige Zahl von Versen ausrotten, eine zweistellige Zahl von Rollen, nicht zu reden von dem, was früher Statisterie oder Komparserie genannt wurde und allenfalls noch im Reservat der Musikbühne überlebt. Laut Einführung seitens des Dramaturgen Guido Huller als Gast ist ein Drittel des Textes zum Opfer gefallen, sein Trost für die Hörerschaft: es gäbe nur Original-Schiller zu hören, nicht, wie andernorts, Fülltexte dazwischen. Ich überlebe mittlerweile auch Fülltexte ehrgeiziger Regisseure nahezu unberührt und räume ein, bisweilen sogar gelacht zu haben, wenn der Fülltexter sich als Scherzkeks profiliert hatte. Also Schiller pur in Coburg, die Inszenierung besorgte Torsten Schilling, Bühnenbild und Kostüme Gabriele Wasmuth. Während vor knapp zweieinhalb Jahren in Weimar zwei Männer via flinkem Kostümwechsel „Wallensteins Lager“ abwickelten, sind es in Coburg drei Frauen mit Handpuppen, die das tun. Sie liegen, als die Zuschauer auf ihre Plätze strömen, schon auf der offenen Bühne, die mit übergroßen grauen Kissen bestückt ist, deren Rolle bis zum Schluss zu tragen hat.

Schillers „Wallenstein“ ist, was man ein Geschichtsdrama genannt hat, um sofort wieder diverse Abstriche an dieser Bestimmung zu machen. Herbert Kraft, um nur einen der überaus zahlreichen Deuter zu nennen, hat in seiner Studie „Das Schicksalsdrama“ schon vor Jahren überzeugend dafür plädiert, die Trilogie als solche zu sehen und vorgeführt, welche Interpretationsergebnisse das dann zeitigt. Dem Theatergänger sind im allgemeinen vorliegende Deutungen schnuppe, wenn überhaupt, akzeptiert er sie in Auszügen in den Programmheften und das ist letztlich auch gut so. Die Macher und die Kritiker sind dafür immer gut beraten, wenn sie Vorkenntnisse haben, und sei es auch nur, um sich davon abzusetzen. Den Wallenstein hat es also tatsächlich gegeben, fast alles von dem, was Schiller ihm andichtet, hat Schiller der tatsächlichen Geschichte entnommen, von der er in diesem speziellen Falle weit überdurchschnittlich Kenntnis hatte, ehe er sich an seine Trilogie setzte. Der Jenaer Geschichtsprofessor Schiller ist nämlich auch Autor einer „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“, die in meiner Quelle (dtv Gesamtausgabe Band 14) auf immerhin 363 Druckseiten kommt. Dennoch wäre der Realitätstest hier wie sonst eine kaum fruchtbringende Fleißaufgabe.

Reizvoller ist es, beiseite gesprochen, beispielsweise, sich die beiden Schwestern des Geschehens, die Herzogin von Friedland und die Gräfin Terzky, vor dem Hintergrund der Schwestern Lengefeld aus Rudolstadt zu denken, von denen eine Schillers Gattin wurde. Wer sich vielleicht und das keineswegs unbegründet, darüber wundert, warum der so auf seine Freiheit, seine Autarkie setzende Feldherr, der keine Skrupel hat, auch seine engsten Vertrauten zu düpieren, sehr direkt vor den Kopf zu stoßen, im Umgang mit seiner Schwägerin so ganz anders erscheint, warum sie ihm Dinge sagt und sagen darf, die andere kaum wagen würden, in seiner Gegenwart zu denken, liegt mit einem Erklärungsansatz aus der Personalbiographie des Dichters Friedrich Schiller vermutlich gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Es muss dem Schiller durchaus nicht bewusst gewesen sein. Und schon wären wir bei der Besetzung der Rollen. Kerstin Hänel als Gräfin Terzky schien mir ungewohnt distanziert, fast zurückgenommen, vor allem, als sie ihre Motivationsrede fast ganz im Sessel sitzend vortrug, dann aber, als sie und der Herzog, ihr Schwager, an der Rampe auf einem der Kissen sitzen, ist es eine so intime Szene, dass ich an einem absichtlichen Kontrast glauben möchte.

Kerstin Hänel, Eva Marianne Berger und Alexandra Weis bestreiten eingangs das Puppenspiel, aus Zuschauerperspektive von links nach rechts. Sie machen das so gut, dass sich der durchaus originelle Einfall der Regie gewissermaßen selbst beglaubigt. Um die Buntheit der Söldnertruppe anzudeuten, die da im Lager beisammen ist, setzen die Damen Dialekte ein und es erweist sich als unabsichtlich kontraproduktiv, auch das Sächsische einzubeziehen. Über das Sächsische wird in Deutschland gelacht, obwohl es kaum lustiger ist als andere Mundarten, auf jeden Fall aber verständlicher, als wenn der Hesse babbelt oder der Schwabe, der Oberbayer, der Friese ihre untertitelwürdigen Idiome pflegen. Mangels Marketenderin, die immerhin Puppe ist wie auch der Kapuziner, entfällt jede denkbare Anspielung in Richtung „Mutter Courage“, die Puppen bleiben in „Die Piccolomini“ wie auch in „Wallensteins Tod“ Requisiten, wohl hauptsächlich mit dem Hintergedanken, dass eben für den Herzog von Friedland manches nur Spiel ist, teilweise zum blanken Entsetzen seiner Männer. Wobei fast unausweichlich ist, dass bei einem „Wallenstein“ an einem Abend sich erster und zweiter Teil der Trilogie in Expositionen für den dritten verwandeln.

Was eine ganz andere Gesamt-Dramaturgie ergibt. Zur Geschichte, die von Schiller in seiner Trilogie erzählt wird, nur kurz, um die Relation zu verdeutlichen: in Golo Manns wuchtiger Wallenstein-Darstellung beginnt die Geschichte des Lagers auf Seite 967 (!!), fast tausend Seiten sind also weg, es verbleiben, wie Guido Haller in seiner Einführung sagte, ungefähr die letzten vierzig Tage des Feldherrn. Der Kaiser in Wien, heutig gesprochen, kommt natürlich auch nicht auf der Wurstsuppe geschwommen, weshalb er seinen Kriegsrat von Questenberg ausschickt, auf möglichst elegante Weise eines zu bewirken: die Macht Wallensteins zu brechen, die auf seiner Machtbasis Armee fußt, und zwar fast ausschließlich. Wallenstein ist eine Bedrohung, selbst wenn er das gar nicht sein wollte. Zwischen Wallenstein und dem Kaiser gibt es Befindlichkeiten, die mit Regensburg zusammen hängen. Der Weg, Wallenstein zu entmachten, kann nur der sein, ihm seine Basis ganz oder teilweise zu entziehen. In der Konstellation des dreißigjährigen Krieges, die zu Beginn der Handlung gegeben ist, ist ein Lagerwechsel Wallensteins an die Seite der Schweden mehr als nur rein gedankliches Szenario, was den Straftatbestand des Hochverrats erfüllen würde.

Von Wallensteins Generalen hat die Coburger Regie Octavio Piccolomini, dessen Sohn Max, den Grafen Terzky, den Feldmarschall Illo, den Dragonerchef Buttler und Isolani, den General der Kroaten, im Spiel belassen, die gestrichenen haben nicht annähernd die Bedeutung bei Schiller wie diese. Nur Illo (Ingo Paulick) und Terzky (Niels Liebscher) stehen unbeirrt und unbeirrbar an der Seite des Herzogs, Octavio Piccolomini (Niklaus Scheibli) ist mit geheimer Order des Kaisers bereits als Nachfolger Wallensteins bestimmt, Buttler (Stephan Mertl) und Isolani (Oliver Baesler) wechseln die Seite, Max begeht indirekten Selbstmord im Kampf. Da die gedungenen Mörder in Coburg Streichmasse wurden wie auch der Bürgermeister von Eger, muss Buttler vollziehen, was die kaiserliche Ächtung des Feldherrn jedermann bei Straffreiheit und vielleicht sogar Belohnung erlaubt. Blut fließt oder spritzt keines, Stephan Mertls vollzieht seine Tötungshandlungen mit dem Aufstoßen einer ziemlich echt aussehenden Hellebarde symbolisch. Zum Finale ist die Bühnen mit der finalen Saat des Todes übersät, sie liegen auf und zwischen den Kissen, Max und Thekla hängen im Hintergrund an einer Art Kletterwand, gewissermaßen im Tode auf ewig vereint.

Den Komplex der Sternengläubigkeit hat Torsten Schilling weitestgehend eingedampft, sein Wallenstein redet zwar noch von Jupiter und Co., nach der Abhängigkeit von diesem Oben, die Schiller der Überlieferung folgend seinem Helden beigegeben hat, sieht es in Coburg aber nicht mehr aus. Die berühmten Sätze jedoch, die Wallenstein im vierten Auftritt des ersten Aufzugs von „Wallensteins Tod“ spricht, bekommen so eine deutlich rationalere Basis: Coburgs Wallenstein Frederik Leberle spricht sie nahe der Rampe direkt ins Publikum: „Wär's möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte? / Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt? Ich müsste / Die That vollbringen, weil ich sie gedacht ...“. Ja, auch hier ist dieser Wallenstein letztlich der Mann, der von der Welt nur wahrnimmt, was in sein Bild der Welt fugenlos passt. Die folgenreichste Fehleinschätzung seiner Laufbahn ist die der Kaisertreue seiner Truppen. Scheinbar geht es allen, so legt es noch das stark verkürzte Lager mit den drei Damen und ihren Puppen nahe, nur um den Krieg als Florieren, doch wenn es hart auf hart kommt, wächst ein geschworener Eid zu unüberwindlicher Wirkungsmacht.
Der vergötterte Feldherr scheint nicht nur als Verräter, er ist es tatsächlich und geht damit zugrunde.

Am historischen Wallenstein gemessen, wirkt Frederik Leberle fast ein wenig jung, schon damit also deutlich heutiger, als Vater eine ziemlich erwachsenen Tochter Thekla (Alexandra Weis) noch eben so akzeptabel. Leider verfallen Vater und Tochter im Finale ein wenig ins Melodrama, ich bin mir nicht sicher, ob das gewollt ist. Wie Alexandra Weis vorn stumm leidet, wie Frederik Leberle mit einknickenden Knien hinten von den Pappenheimern kommt, das ist fast schon nicht mehr nur grenzwertig. Aus einem Guss Eva Marianne Berger als Herzogin, die freilich kaum zum Zuge kommt, aber die wunderschöne Szene mit der Handpuppe hat, als sie sich dem im Sessel sitzenden Gatten nähert. Das sagt alles über eine Liebe, der der kriegerische Alltag fast alles nimmt. Thomas Straus spielt den Kriegsrat Questenberg und später den schwedischen Obristen Wrangel. Das Kostüm dieses Nordmannes erinnerte in der Reihe hinter mir Zuschauer eher an Rasputin, den „Lover of the Russian Queen“ aus der Klischeekiste, sie lagen damit wohl nicht ganz falsch. Gespielt aber wurde beide Rollen überzeugend. Oliver Baesler als General Isolani mit Walle-Perücke und Gefreiter des Pappenheimer Regiments blieb dazu zu wenig Zeit und Text.

Benjamin Hübner und Alexandra Weis in Romeo-und-Julia-Konstellation müssen die erst während der Reise ins böhmische Lager mit Urgewalt ausgebrochene und von Beginn in ihrer Substanz bedrohte Liebe sichtbar machen. An der Aufgabe sind große und weniger große Namen gescheitert. Auch in Coburg haben beide von der Blässe der Figuren, die letztlich natürlich auf Schiller selbst zurückkehrt. Dafür hat der Feldmarschall Illo von Ingo Paulick fast ein wenig zu viel Farbe und macht Niels Liebscher als Terzky damit farbloser, als er sein müsste im Parallelspiel. Niklaus Scheibli hat seine stärksten Momente im Vater-Sohn-Dialog, wo er den Sohn in die Realität zu lenken versucht und sieht, wie viel schwerer das ist, als er wohl in väterlicher Selbstgewissheit annahm. Den Schiller-Schluss gibt es in Coburg nicht, schon weil es keinen Gordon gibt, wenn auch das „Doch wir denken königlich“ der Herzogin gesprochen wird. Das Premierenpublikum dankte dem Titelhelden hörbar am meisten. Die Inszenierung wird in der laufenden Spielzeit nur noch dreimal gegeben, dann aber in die neue 2017/2018 übernommen. Das ist unbedingt gut so.
www.landestheater-coburg.de


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