Alan Ayckbourn: Das Festkomitee; Theater Rudolstadt

Gut, dass dieser Stadtrat (Matthias Winde fein bis in die mimischen Details von Mundzuckungen a la Matthias Richling) nur die Wahl des Vorsitzenden durchdrückte in der konstituierenden Sitzung dieses Festkomitees. Hätten es, in deutsch-britischer Ordnung, auch noch sein Stellvertreter, der Kassenwart und der Schriftführer sein müssen, dann wäre des Guten zu viel auf die Bühne im Stadthaussaal zu Rudolstadt geraten. Ich hatte, tut mit leid, lange das Empfinden, nicht einem richtigen Theaterstück beizuwohnen, sondern einem Scripted-Reality-Geschehen, wie es das Privatfernsehen als Kerngeschäft betreibt. Bis zur Brechgrenze kenne ich solche Stadträte, solche Ausschuss-Sitzungen, solche Komitee-Tagungen, solche Arbeitsgruppen-Beratungen. Der Brite Alan Ayckbourn muss in einem früheren Leben Lokaljournalist gewesen sein, so genau kennt er die Abläufe, die Phrasen, das Gebaren, die Eitelkeiten, die Dümmlichkeiten dieser Wichtigtuer-Runden, bei denen immer mindestens ein Bedenkenträger sitzt, ein Satzungsfuchs, der auf die Einhaltung der selbst gewählten Paragraphen achtet (freilich immer nach der Mustersatzung des Dachverbandes oder der nächsthöheren Instanz). Kunst ist, das lehrt dieses Spiel, eben nicht nur Nachahmung.

Intendant Steffen Mensching führte Regie und gab zwei Neuen seines Ensembles, Oliver Baesler (Eric) und Benjamin Petschke (Tim) gleich zwei anständige Rollen. Baesler ist ein Leutnant in Zivil mit akuter Wahrnehmungsstörung, hält Spiel für pure Realität, und Petschke ist ein Lehrer aus dem Musterkoffer alternativer Schulkonzepte, dazu bekennender Marxist, was immer im Vereinigten Königreich man darunter verstand, als das Stück geschrieben wurde. Denn „Das Festkomitee“ hat schon einige Jahre auf dem Buckel: Uraufführung war am 18. Januar 1977 im Stephen Joseph Theatre Scarborough, die Regie hatte der Autor selbst übernommen, die deutsche Erstaufführung folgte am 31. Juli 1980 im Theater am Kurfürstendamm, Regie Rainer Behrend. Bis heute wird „Das Festkomitee“ verblüffend häufig gespielt, wenn auch fast nur von Amateur-Theatern, Schul-Theater-Gruppen, sogar kirchliche Spielscharen wollen nicht immer nur Traktate darstellen, sondern ab und zu einmal genau solch eine Komödie. In Rudolstadt benutzt man die deutsche Fassung von Claudia Egdorf, doch darf man ziemlich sicher davon ausgehen, dass Steffen Mensching weit über das Sprachliche hinaus Deutsches beigab, er kennt nicht nur die „DaDaEr“, auch alles Weitere, gut.

Alan Ayckbourn marschiert straff seinem 80. Geburtstag entgegen, Stücke soll er schon mehr als 80 geschrieben haben und in diesem hier fließt sogar echtes Theaterblut. Denn der Eric des Stückes schießt dem Tim des Stückes in entfesseltem Eifer ins Bein. Da aber ist die Pause schon vorbei, das Finale Furioso in vollem Gange. Wäre zu sagen, worum es eigentlich geht: Ein männlicher Mensch in feinem Zwirn (Rayk Gaida als Ray) will seiner etwas an Ödheit leidenden Heimat-Kleinstadt zu etwas mehr Leben, etwas mehr Tourismus und in der Folge etwas mehr Umsatz im Geschäftsleben verhelfen. Er hat (angeblich) eine bisher unbekannte Episode aus der Frühgeschichte der Stadt entdeckt, will die nun für eine überregionale Vermarktung nutzen, dafür eine Art von Störtebeker-Festspielen auf dem Trockenen in Szene setzen. Dazu braucht er Mitstreiter, die bilden das Festkomitee, das nicht nach Kompetenz, sonst wäre es keines, sondern nach den lokalpolitischen Üblichkeiten zusammengefügt wird. Wenn der eine mitmacht, so das Verfahren, bleibt dem anderen kaum etwas übrig, als auch mitzumachen, der Stadtrat ist vor allem wichtig wegen der Fördermittel, die im Vereinigten Königreich natürlich anders heißen. Matthias Winde ist ein Pracht-Stadtrat.

Genau der Typus, der überall dabei sein muss, immer sein Bestes gibt, aber nie etwas bewirkt, der immer wichtig tut, was er, Gott, diesen Typus gibt es in jedem Ortschaftsrat jeder Teilgemeinde mitten in Thüringen, durch Vorlagen-Leküre unter Beweis stellt. Wie viele Ratssitzungen habe ich erlebt, in denen einer aufstand und sagte, auf Seite 17 der Vorlage 134, Schrägstrich 19, müsse in der neunten Zeile ein Semikolon wahrscheinlich durch einen Punkt ersetzt werden. Leben pur auf der Stadthaussaalbühne, leider Leben pur. Immerhin mit dem Effekt, allen, die das auch kennen, die Lächerlichkeit von Abläufen vorzuführen, die eben jeder kennt oder fast jeder. Niemand lacht im wirklichen Leben, wenn sechs Männer nebeneinander an einer Pissrinne stehen und abschütteln. Sieht man das auf einer Bühne, wälzt sich das Publikum. So ist eben das Leben. Ist Matthias Winde vielleicht berufener Bürger im Kultur- oder sonst einem Ausschuss? In Rudolstadt muss er zudem auch noch seine Mutti (Verena Blankenburg brilliert im Rollenfach komische Alte) davon abhalten, nach der Komiteesitzung einen Drink zu nehmen. Diese Audrey ist schwerhörig, führt Protokoll, ist es nicht eben eine geheime Sitzung, schleudert ihre güldene Brille um die Finger, verteilt Bonbons.

Die Aufführung beginnt mit Licht-Spielen. Ein nur im Off vernehmbarer Kellner betätigt so lange immer wieder den falschen Schalter, bis auch der letzte im Saal mindestens einmal gelacht hat. Die Ersatzspielstätte der Rudolstädter ist übrigens durchaus passabel. Also weiter im Geschehen: Man kommt überein, arbeitsteilig vorzugehen, nebenbei haben alle Mitglieder des Komitees natürlich nicht ihr Privatleben an der Garderobe abgegeben. Da wäre zuerst dieser Lawrence (Johannes Arpe), der zunächst vor allem „Hört! Hört!“ sagen muss, später aber den wankenden Trunkenbold geben darf, was noch jedes Senioren-Publikum an einem Sonntagnachmittag erheitert hat. Er verliert gerade seine Frau nebst Kindern, am Ende ist sein Zuhause keines mehr, weil dort niemand auf ihn wartet. Da ist Helen (Ulrike Gronow), Gattin des gewählten Vorsitzenden, die mindestens zwei verschiedene Pelzmäntel besitzt und ein wenig auf Krawall gebürstet ist. Sie opponiert aus Prinzip, wählt sich als Gegner den marxistischen Pädagogen, der sich des Volkes annehmen will im Festspiel und selbst den Helden geben. Dieser Tim hat eine Lebensgefährtin Philippa (Manuela Stüßer) mit Groupie-Potential (1977 war das ein Wort, das man verstand), sie fertigt die Kostüme.

Der Leutnant Eric, Bruder von Sophie (Laura Bettinger), beide züchten gemeinsam große Hunde, sieht den marxistischen Lehrer als seinen tatsächlichen Feind und tut das, was er der Gegenseite unterstellt: er unterwandert Teile des ihm nur leicht widerwillig folgenden Komitees, entwirft einen ziemlich echten Schlachtplan, in dem der versoffene Lawrence auf einer Pferde-Attrappe (Bühne und Kostüme Mathias Werner) eine provozierende Rolle spielen soll. Die Pferde-Attrappe reißt das mit Müdigkeitsanfällen (es fehlt der Nachmittags-Kaffee) ringende Senioren-Publikum wieder hoch. Was für ein herrliches Reittier kann man aus einem Einkaufswagen, einem Blechfass, einem Blecheimer und einem Zirkuspferde-Puschel basteln! Und auch Ulrike Gronow hält nach der Pause einen deftigen Paukenschlag bereit: erst rollt sie, aufs offenbar Angenehmste missbraucht, die Treppe hinab und dann stakst sie sie breitbeinig wieder hinauf, das Publikum ahnt, was es bedeuten soll. Audrey, die während des Trubels nach der Pause munter am Klavier improvisiert, hat eine ihr vor der Pause gegebene Aufgabe ebenfalls erfüllt: ihre Recherche ergab nicht den geringsten Hinweis auf die Echtheit der angeblich überlieferten Geschichte, dafür aber eine neue, noch ältere.

Same Procedure as every Year, möchte man da am liebsten nach vorn rufen, denn das wird wohl in der Zukunft passieren, die Alan Ayckbourn nur ahnen lässt: die römische Episode ersetzt diesen missratenen Versuch Nummer 1, es wird sicher ein neues Festkomitee geben in ähnlicher Besetzung. Das Machbarkeitsstudien organisiert, externen Sachverstand einbindet und wie dies eben alles so heißt und abläuft. Die Programmhefte kosten in Rudolstadt immer noch einen einsamen Euro, Geldgier kann man das beim besten Willen nicht nennen. Dafür sind sie einfach sehr handlich. Meine Grundneugier, ich mag es nicht verhehlen, auf den 1939 geborenen Ayckbourn, ist nach diesem „Festkomitee“ nicht nennenswert größer geworden. Mich überrascht auch keineswegs der Umstand, dass man mit einer Komödie ernste Anliegen transportieren kann. Diese Eule sitzt schon seit Jahrhunderten in Athen, tragen musste sie niemand. Was war hier übrigens das ernste Anliegen? Scherz beiseite. Der große Peter Zadek hält im kleinen Rudolstädter Programmheft die Fahne des Boulevard-Theaters hoch. So lange das noch nötig ist in deutschen Landen, ist mindestens ein ernstes Anliegen solcher Bühnen-Geschichten auf der Hand liegend.
www.theater-rudolstadt.de


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