Isabel Allende: Von Liebe und Schatten
Isabel Allendes erster Roman „Das Geisterhaus“ ist von sehr vielen Lesern begeistert aufgenommen worden, Kritiker, die auf verschiedene Schwächen des Buches aufmerksam machten, fanden kaum Gehör und alles andere als Beifall. Dass der Vergleich mit Gabriel Garcia Marquez, den mancher und manche anzustellen bereit war, nun doch zu hoch griff, beweist Isabel Allendes zweiter Roman mehr als deutlich. „Von Liebe und Schatten“ ist ein Buch, dessen humanes Anliegen nicht zu bezweifeln ist. Die Mittel, die die Autorin gewählt hat, um ihrem Anliegen eine Form zu geben, sind dagegen mehr als zweifelhaft. Dabei möchte ich nicht einmal in erster Linie den energischen Drang zur Kolportage in Frage stellen, der durchgängig sichtbar wird. Stärker fällt da schon ins Gewicht, dass Isabel Allende vor ausgesprochenen Geschmacklosigkeiten nicht zurückweicht.
So erinnert sich der Soldat Rivera seiner ersten Erschießung im Dienste der Pinochet-Junta und geht nahtlos zu hochpoetischen Erinnerungsbildern über. So erreicht die Liebe der beiden Hauptfiguren ihre eruptiven Höhepunkte unmittelbar an schreckliche Szenen anschließend, nach dem Besuch des Leichenschauhauses und nach dem schrecklichen Fund in der stillgelegten Mine. Doch auch diese Geschmacklosigkeiten sind noch nicht der entscheidende Punkt, an dem „Von Liebe und Schatten“ seine Glaubwürdigkeit einbüßt, dieser Punkt ist, wie ich meine, da zu suchen, wo die Erzählerin politische Haltungen charakterisiert, da, wo sie verkürzend die Zeit vor dem Putsch im September 1973 und die Zeit danach beschreiben will. Da lese ich unreflektierte Formeln der Boulevard-Presse, da finde ich Verweise auf Kommunismus, Anarchismus und Revolution, die schon an Ahnungslosigkeit grenzen.
Die Sprache der Autorin ist flott, zuweilen salopp, nicht selten zu flott und zu salopp, wieviel davon der Übersetzung zu danken ist, vermag ich nicht zu sagen, hege aber den Verdacht, dass da bisweilen, wie es so schön heißt, noch „eins draufgesetzt“ wurde. Dem Kolportage-Charakter des Romans insgesamt entspricht die einfache Fabelführung ebenso wie die Überzeichnung der Charaktere, immer ist ein Quentchen zu viel des Guten getan, die Guten sind zu gut und die Bösen zu böse für einen realistischen politischen Zeitroman. Die künstlerische Schwäche der Gestaltung offenbart sich für mich am sinnfälligsten in der Abschiedsszene, wo der Professor Leal seinem Sohn den alten Rechenschieber übergibt: wo die Szene für sich spricht, setzt Isabel Allende noch eine hochtrabende Erklärung dahinter.
Beim Lesen hatte ich über weite Strecken den Eindruck, es handele sich um ein Filmszenarium von misstrauischer Weitschweifigkeit: als müsse einem drittrangigen Regisseur auch jede Kleinigkeit deutlich vor Augen geführt werden, ehe die internationale Ko-Produktion, nach der das Buch ruft, abgedreht werden kann. Und dann müsste natürlich Richard Chamberlain den Fotografen ohne Fehl und Tadel spielen. Und die schöne blonde, ach so ahnungslose, ach so wandlungsfähige Journalistin? Dass ohne Love-Story keine Geschichte zu erzählen ist, ist ein allzu erprobtes Hollywood-Rezept. Wer aber mit Macht einen Bestseller schreiben will, zahlt seinen Preis. Isabel Allendes zweites Buch fußt auf einer authentischen Begebenheit, 1979 wurde tatsächlich ein solches Massengrab in einer stillgelegten Mine gefunden, das Schicksal Verschwundener klärte sich tatsächlich auf diese schreckliche Weise.
„Von Liebe und Schatten“ ist, das soll keineswegs verschwiegen werden, ein durchaus handlungsstarkes, ein bewegtes, ein emotional anrührendes Buch, sowohl die „Liebe“ als auch die „Schatten“ werden immer wieder leitmotivisch benannt, über beidem jedoch steht fatal ein Schicksalsbegriff, der nun wirklich nicht hilfreich ist. Inge Beltran und Francisco Leal müssen am Ende nach Spanien fliehen: dort ist die Diktatur, die einst Franciscos Eltern außer Landes trieb, überwunden. Chile wartet noch auf diesen Tag.
Zuerst veröffentlicht in BERLINER ZEITUNG Nr. 256, Seite 10, am 29./30. Oktober 1987
unter der Überschrift „Immer ist ein Quentchen zuviel“; nachdem Typoskript