Vor 70 Jahren starb Kurt Schwitters

Lange bevor die muntersten Talente der FDJ-Poetenbewegung ihren Ehrgeiz auf das Verfertigen dreieckiger oder T-förmiger Gedichte richteten, war alles schon mal da. In diesen alten Zeiten, die, wie wir wissen, nicht die guten alten waren, lebte mitten unter den deutschen Menschen, deren größter Ärger es war, vor einem Schalter zu stehen, die größte Freude, hinter einem Schalter zu sitzen, ein Mann namens Kurt Hermann Eduard Karl Julius Schwitters, der in seinem weniger bürgerlichen Leben zugunsten von „Kurt“ auf den reichhaltigen Rest seines Vornamenserbes verzichtete und die MERZ-Kunst erfand. Innerhalb der MERZ-Kunst fand sowohl das „pornographische i-Gedicht“ seinen Platz wie auch die ausgesprochen unklassische „Ursonate“, die mit der nachdenklich stimmenden Zeile „Fümms bö wö tää zää Uu“ anhub.

Atemberaubende Märchen stammen ebenso aus Schwitters' Feder (falls er eine solche benutzte) wie avantgardistische Typographien. Wer, wenn nicht er, hatte dann folgerichtig auch den Nazis als „entartet“ zu gelten! Die Emigration hat ihn nach England geführt, wo er am 8. Januar 1848 starb. Mein Freund Peter Ludewig, den natürlich keiner kennt, und Joachim Schreck, den nun allerdings etliche kennen, haben sich dafür eingesetzt, dass Schwitters nicht vergessen wird. Der eine hat zu diesem Zweck den Dietz-Geschichtskalender eingespannt, der andere hat sich's auch nicht leichter gemacht: Er hat ein dickes, teures, schönes Buch herausgebracht mit dem Titel „Anna Blume und andere“, und das gabs schon, noch ehe der Jubiläumswolf zubeißen konnte, nämlich vor zwei Jahren. Da wäre Schwitters 98 geworden. Klar, was daraus folgt? Am 20. Juni war das. Aber das ist schon ganz anderen passiert.
Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, 30. Jahrgang, Nummer 12 vom
26. Juni 1987, Seite 4, unter dem Titel „Alles schon mal dagewesen“, nach dem Druck


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