Doris Dörrie: Liebe Schmerz und das ganze verdammte Zeug

Vier Geschichten sind drin in diesem Bändchen und zeigen eins: sie kann nicht nur mit filmischen Mitteln erzählen. Doris Dörrie, Jahrgang 1955, die mit ihrem Film „Männer“ weit über die BRD hinaus einen riesigen Erfolg hatte, deren frei nach Alberto Moravia gedrehtes Leinwandopus „Ich & Er“ zur Zeit (wie „Männer“ auch noch) in unseren Kinos zu sehen ist, kann auch schreiben. Und wer sich kundig machen will, welche Geschichten denn in dieser Sammlung „Liebe Schmerz und das ganze verdammte Zeug“ zu finden sind, findet auch einen Titel „Männer“. Besser ists, meine ich, den nicht zuerst zu lesen, er steht auch glücklicherweise nicht gleich vorn.

Denn: wohl ist es die bekannte Geschichte von Julius Armbrust, aber das Spritzige, das der Film hatte in herrlichen Szenen und nicht wenigen Dialogen, ist in der aufgeschriebenen Geschichte so nicht zu finden. Die Dialoge vor allem habe ich vermisst und sage das wohl wissend, dass ich den Text hier eigentlich für sich zu betrachten habe. Ich kann aber meine Erinnerung an den Film beim besten Willen nicht auslöschen und so hatte ich denn auch bei der Geschichte mit dem Fön und dem Zahnarzt und dem türkischen Kind Kenan, das in den Jungen Jan verwandelt wird, immerfort die Filmbilder vor Augen („Mitten ins Herz“).

„Mich hat das Komische im Tragischen schon immer am meisten interessiert“, sagt Doris Dörrie über ihre Intentionen und dieses Zusammengehen von Tragik und Komik kennzeichnet, neben anderem, tatsächlich ihr Werk sehr wesentlich. Alle Helden und Heldinnen in diesen vier Geschichten ähneln sich in einem Punkt sehr stark. Der Zahnarzt Armin findet die Illusion, ein anderer werden zu können, „um so vieles spannender als die Realität.“ Julius Armbrust hat „Visionen von den Dingen, weil er sie in ihrer Banalität nicht ertragen kann“. Werner Müller in „Geld“ sagt: „... aber es reicht, wenn man es träumt. Ist sowieso meistens besser als die Wirklichkeit.“ Und Jakob Göttlich schließlich in „Paradies“ sieht sein Leben so: „ Ich wusste, es war eine Krankheit zum Tode und dabei nur ein ganz normales Leben, ein Leben ohne Katastrophen und Schicksalsschläge, ohne Not, ohne Grund zur Klage.“

Sie sind unzufrieden mit ihrem Leben, zutiefst unzufrieden, aber sie inszenieren, um aus der Misere zu kommen, bestenfalls kleine Fluchten und eigentlich sind gar nicht sie es, die die Regie führen, sondern blinde und dumme Zufälle, das also, was vor Zeiten „Schicksal“ genannt wurde. Allesamt sind Opfer und wo die Ausbrüche gelingen – jedenfalls bis zum erzählten Ende der Geschichten – sind es immer nur Scheinsiege. Bis zur Burleske steigert die Dörrie das Geschehen, manchmal auch wendet sie wie eine sparsame Hausfrau das Futter nach außen, die Tragbarkeit des Stoffes zu verlängern und heraus kommt: Lesevergnügen. Kein billiges in diesen Geschichten. Da und dort lässt sie Abgründe aufschimmern: „Ich bin gerne hässlich, wenn es meine Kinder schöner macht“, legt sie Carmen Müller in den Mund in „Geld“. Das macht einen frösteln und ist so gewollt.
Zuerst veröffentlicht in TRIBÜNE, Nr. 232 am 24. November 1989, Seite 12 unter der
Überschrift „Fluchten, Ausbrüche und das verdammte Zeug“, nach dem Typoskript


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