Hans Löffler: Briefe über ein Modell
Hans Löffler, 1946 geboren, gehört wie etwa Karl Hermann Roehricht oder neuerdings auch Christine Perthen zu den Doppelbegabungen, die als Maler/Grafiker und auch als Schriftsteller nachdrücklich Aufmerksamkeit beanspruchen. Löffler hatte vor Jahren seinen Einstand in „Sinn und Form“, Günter Kunert stellte ihn damals vor. Sein erstes eigenes Buch „Wege“ fand, anders als das zweite „Die scheinbaren Verwandlungen eines Bürgers“, wohlwollende Beachtung. Mit seinem dritten, wiederum sehr schmalen Band „Briefe über ein Modell“ ist Löffler jetzt zum ersten Mal zu umfangreicheren Formen vorgestoßen: nur vier Texte auf 130 Seiten, die beiden ersten enthielten jeweils um die achtzig Texte bei gleicher Seitenzahl. Meinen dominierenden Eindruck möchte ich sogleich vorwegnehmen: es ist der der Verwunderung. Meine Verwunderung gilt der erstaunlichen „Kopflastigkeit“ dieses kleinen Buches, das verbindet sich mir nicht mit der Erwartung, die ich auf einen Maler/ Grafiker richte. Aber vielleicht ist das auch nur ein dummes Vorurteil.
Denn diese „Kopflastigkeit“ trifft ja vor allem für die Menschen zu, die Hans Löffler beschreibt, analysiert, bemüht zergliedert, ununterbrochen reflektierend zu ergründen sucht. Der Klappentext lenkt die Leser in eine Richtung, die das Buch meines Erachtens gar nicht bedienen will, wenn er fragt: „Wenn keine Unterschiede des Standes, keine Konventionen, keine ökonomischen Zwänge mehr bestimmen, wie zwei miteinander umgehen: sind sie dann frei für ihre Gefühle?“ Löffler zeigt Intellektuelle seiner Generation, zeigt, wahrscheinlich mehr ungewollt als gewollt, die dramatischen Folgen einer überzogenen Bewusstheit, ohne anzudeuten, woher dieses Sich-Bewegungsunfähig-Grübeln kommt. Briefe und ein Tagebuch sind nicht zufällig die Formen, die zuerst erscheinen, sie erleichtern die Reflexion, leider, bin ich versucht zu sagen. Gestaltung erfährt das einzige Problem des ganzen Buches, die fast pathologische Berührungsangst seiner Un-Helden nur im vierten Text, in „Die Insel“.
Dort wird zum beklemmenden, warnenden, zum erschütternden Bild, was zuvor zerredet wurde. Der Schiffbrüchige Konrad erschlägt das einzige menschliche Wesen, das gleich ihm auf die Insel gelangt ist, obwohl er es liebt. Dennoch ist Löfflers drittes Buch ganz ohne jeden Zweifel ein wichtiges Buch, es bringt für die DDR-Literatur unerlässliche thematische Bodengewinne vor allem in „Briefe über ein Modell“ und es vermittelt, wegen seiner Eigenart, vor allem Denkanstöße, die keiner leichthin beiseiteschieben sollte. Eine zahlreiche Leserschaft wird es kaum finden, vermute ich, denn wer möchte schon einen solchen Brief lesen, in dem es heißt: „… die Sinnlosigkeit klarer Erinnerungen nagt an der Existenz meiner Gedanken …“. Wer aber die Insel Löffler erreicht und auf ihr Fuß fasst, wird vielleicht auch bei sich selbst ankommen.
Zuerst veröffentlicht in „Tribüne“ Nr. 108, 3. Juni 1988, S. 14, unter der Überschrift:
„Beschreibung, Analyse und immer wieder Reflexion“, nach dem Typoskript