Erinnerung an Storm

Zeit seines Lebens hat er einen bürgerlichen Brotberuf gehabt, der kein Anlaß zu ständiger Freude war, der ihn aber auch nicht unglücklich machte. So ist sein Werk, gemessen an anderen vulkanisch produktiven Autoren des 19. Jahrhunderts, schmal, rund 50 Novellen, und Gedichte, die einen Band füllen. Die großen Bewegungen seiner Zeit haben in seinem Werk kaum unmittelbaren Niederschlag gefunden und wer auf den Gedanken kommt, ihn zu vergleichen mit den Avantgardisten seines Metiers, wird möglicherweise einen altmodischen Dichter in ihm sehen: Der gute, alte Endeim gehört zu seinen Ausdrucksmitteln, und Poesie ist ihm etwas sehr Konkretes gewesen. Vergleicht man ihn gar mit einem anderen Zeitgenossen, der wenige Monate nach ihm geboren wurde und fünf Jahre vor ihm starb – Karl Marx - , dann wird man aus der Verwunderung nicht mehr herauskommen.

Aber solche Vergleiche bringen nichts. Theodor Storm hat sein eigenes Maß, sein Werk lebt aus einem eigenen Zusammenhang. Das hat ihm früh schon Vorwürfe eingebracht: Provinzialismus, Rückzug ins Private, gar Blindheit gegenüber den Forderungen der Zeit sind ihm bescheinigt worden. Die Faszination, die von seinen Novellen und Gedichten ausgeht und die große Kollegen wie Leser gleichermaßen seit Generationen immer wieder bezeugen, stellt solche Vorwürfe nachhaltig in Frage. Und je mehr die Literatur  von der Aufgabe entlastet wird, den Gesellschaftswissenschaften die Arbeit abzunehmen, um so mehr geraten die Schönheiten scheinbar rein privater Geschichten und Gedichte ins Blickfeld. Die graue Stadt am Meer – Husum -, Immensee, das Märchen von der Regentrude, natürlich der berühmte Schimmelreiter - Theodor Storms Name hat nicht nur nichts von seinem alten Glanz verloren, er gewinnt sogar für den, der ihn nicht überfordert. Sein 100.Todestag am 4. Juli ist eine Gelegenheit, daran zu erinnern.
  Zuerst veröffentlicht in: Neue Hochschule, Jahrgang 31, Nr. 13 1. 7. 1988


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