Peter Michalzik: Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher

Meine erste ausführliche Notiz auf Seite 38 des Buches lautet schlicht: Lobenswerter Auftakt. Um mich selbst daran zu erinnern, was ich meine, folgt die Erläuterung: Lehre 1: auch die allerältesten Kleist-Bücher sind nicht einfach zu vergessen (Bülow); Lehre 2: gerade die größten Selbstverständlichkeiten sind zuerst zu hinterfragen (Potsdam). Die Lehre Nummer 1 würde ich nach Lektüre des gesamten 557 Seiten starken Werkes nicht ohne Einschränkung weiter als solche bezeichnen. Die Lehre Nummer 2 ist für mich ein starkes Argument, das Buch des Theaterkritikers und Kleistkenners Michalzik fortgesetzt gut zu finden.

So seltsam es die so genannte Fachwelt vielleicht anmuten mag: gerade der nicht-wissenschaftliche (für langsamere Leser: das meint nicht un-wissenschaftliche) Ansatz macht das Buch lesenswert und vielfach überraschend selbst da, wo man meint, schon alles längst zu wissen. Michalzik gruppiert sich nicht zu den üblichen Fußnoten-Kriegern, die es den unverehrten anderen Ordinariaten ganz hinten im ganz Kleingedruckten mittelkräftig um die Ohren geben.

Zum Beispiel übernimmt er mit größter Selbstverständlichkeit ein Verfahren der allgemeinen Geschichte, ein zeugnisarmes, in Kleists Falle fast zeugnisfreies, Leben einer bestimmten Periode zu erschließen anhand des Bewegungsprofils jener Militäreinheit, der Heinrich von Kleist etliche Jahre angehörte. Das ist nicht nur überliefert, sondern gut dokumentiert. Dafür aber muss einer eben erst einmal überhaupt Interesse aufbringen. Wer nur an Motivgeschichte oder poststrukturalistischer Textmaschinen-Untersuchung klebt, kommt nicht ins reale Leben, dass aber eben auch dieser Kleist gelebt und gar nicht immer nur ausschließlich erlitten hat. Das Leben ins Potsdam beispielsweise war eben keineswegs nur öde und unerträglich. Die Geistlosigkeit des Militärleben oder gar platterdings der Drill im Preußentum waren es nicht oder nicht in erster Linie, was Kleist seinen Schnitt mit der üblichen Familienlaufbahn machen ließ.

Die Journalistensprache, die sich wohl selbst bei sehr großer Anspannung nicht frei halten lässt von den Trendfloskeln des täglichen Feuilletons, schlägt bei Michalzik selten ganz durch und dann nicht so, dass man bei guter Laune verstimmt sein muss. Da gibt es ganze andere, die permanent fragen, wie jemand oder etwas tickt, als wäre der oder das ein Wecker oder ein Zeitzünder mit Analoguhr. Und Kleist als „Kindersoldat“ nutzt wohl einen eingebürgerten Neologismus, aber so einer muss keineswegs automatisch unpassend sein. Etwas ärgerlicher ist mir der „vielleicht sensibelste Dichter deutscher Sprache“ (Seite 109), denn das ist nun wirklich ein waschechter Pseudo-Superlativ aus der Werbesprache, die einst die vielleicht längste Praline der Welt erfand.

Als Freund paradoxer Kennzeichnungen lobe ich uneingeschränkt und mit unverhohlener Reinstfreude solche Sätze von Peter Michalzik: „Die Übertreibung war gleichzeitig ein Mittel, um zu sich zu kommen, und eine Flucht. Sie war ein Mittel, um sich deutlich zu machen, und sie war ein Versteck. Sie stellte das Innere besonders heraus, und sie machte das Erkennen unmöglich.“ That's it, flechte ich mal ein, auch der schreibende Nörgler muss mal zeigen, dass er bis zu drei Worte Neusprech beherrscht. Einspruch erhebe ich energisch, wo Kleist's Wieland-Kontakt sehr unvermittelt unter der Perspektive des sehr heutigen Literaturbetriebs gesehen wird (Wieland als „eine heikle Verbindung“, S. 213).

In Peter Michalziks im Propyläen-Verlag erschienener Kleist-Biographie stehen sehr viele Sätze, die nicht nur ein kleines Lobespünktchen am Rande verdienen, sondern kräftigen Text-Marker-Einsatz zum raschen Wiederfinden. Der 1960 geborene Autor müsste sich eigentlich keine Sorgen machen, dass sein Buch zu rasch wieder vergessen werden könnte. Wenn es dennoch geschehen sollte, dann liegt es an den anderen Kleist-Büchern und das wäre ein neues Thema.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround