Therese Huber: Der Traum des Lebens. Ein Märchen

Schriebe ich dies für eine regionale Zeitung Thüringens, wäre ein Nachweis auf alle Fälle leicht zu erbringen: Therese Huber, geborene Heyne, verwitwete Forster, deren zweihundertfünfzigster Geburtstag heute zu begehen ist, hat Bezüge zur Gegend. Etliche Monate verbrachte sie als sehr junge Frau in Gotha, wo sie ihre sterbende Freundin Auguste Schneider bis zu deren Tod am 23. Februar 1785 pflegte. Sie wohnte, ich folge hier Detlef Ignasiaks „Das literarische Gotha“, im Purgoldschen Haus in der Schönen Allee 11. Ganz fremd war sie in der Residenzstadt schon nicht mehr, denn 1779 hatte sie hier einen ersten Besuch absolviert in Begleitung der Familie Blumenbach. Am Ende ihres 65 Jahre währenden Lebens unternahm sie eine Reise nach Arnstadt, von der die heimatgeschichtliche Forschung und Publizistik, wie die Kreisarchivarin Andrea Kirchschlager freundlich und bestimmt versichert, noch keinerlei Notiz genommen hat. Das war 1826. Und natürlich gab es auch einen Aufenthalt in Weimar in Therese Hubers Leben. Nach ihrer Hochzeit mit Georg Forster führte der Weg des Jungen Paares gen Wilna über Weimar.

Wer sich Therese Huber zuwendet, kommt um Andrea Hahn nicht herum. Sie war es, die fast nichts unversucht ließ, die einst berühmte und viel gelesene Autorin der Goethe-Zeit der Vergessenheit zu entreißen, auch wenn die Verdienste anderer in dieser Hinsicht damit keineswegs negiert sein sollen. Was man freilich ihrer informativen Abhandlung im von Karin Tebben herausgegebenen Sammelband „Beruf: Schriftstellerin. Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert“ unbedingt vorwerfen muss: Appetit auf die Romane und Erzählungen Therese Hubers hat sie nicht geweckt, ihre Schilderungen der Hauptthemen, ihr Referieren der Ansichten und Überzeugungen der „erste(n) Frau, die hierzulande eine bedeutende Publikumszeitschrift redigierte“ wecken keine Neugier, denn diese Themen, Ansichten und Überzeugungen kennt man in dieser Allgemeinheit von zu vielen anderen auch. Ebenso irritiert, das Andrea Hahn dort, wo jedes ihrer Worte auf Rousseau verweist, diesen Namen einfach nicht nennt, dafür aber die spätaufklärerische Romantheorie eines Friedrich von Blanckenburg anführt ohne die geringste Aufklärung darüber, wie Therese Huber an genau diese und keine andere Theoriebasis geraten ist.

„Ein armer Erzähler ist übel dran. Hat er's mit erfahrnen Zuhörern zu thun, so finden sie nichts Neues; sagt er ihnen etwas, das sie nicht wissen, so scheint es ihnen unglaublich.“ Das steht ziemlich am Anfang von Therese Hubers Märchen „Der Traum des Lebens“. Und verrät mehr über sie, als man ahnen mag. Es beginnt schon mit der einfachen Selbstverständlichkeit, mit der sie vom Erzähler, nicht etwa von der Erzählerin spricht. Sie selbst schrieb schon, als sie noch keine zwanzig Jahre alt war, bekannte sich zu ihrem Schreiben mit ihrem Namen aber erst, als sowohl ihr erster Ehemann Georg Forster als auch Ludwig Ferdinand Huber, der zweite, längst tot waren. Unter Hubers Namen oder ganz und gar anonym publizierte sie über etliche Jahre hin und noch ihre Tätigkeit als Redakteurin bei Cotta, dessen 250. Geburtstag erst kürzlich die Feuilletons beschäftigte, sollte am liebsten anonym bleiben, schaffte das aber nicht. Sie durchlebte Höhen und Tiefe des Daseins als Berufsschriftstellerin in einer Zeit, in der dieser Beruf noch nicht einmal für Männer einer wie jeder andere war. Sie hat zeitlebens, Andrea Hahn dokumentiert das überzeugend, dem herkömmlichen Frauenbild Tribut gezollt, ihm zu entsprechen gesucht und es dennoch immer wieder auch mutig durchbrochen.

Das Zitat zeigt sie auch als durchaus abgeklärte Kennerin dessen, was heute Literaturbetrieb genannt wird. Auf ihr Märchen gewendet, thematisiert sie damit das Vorkommen von Feen, die in ein Geschehen eingreifen. Es beginnt zunächst durchaus herkömmlich mit einem Königspaar, das sich zu allem immer erst nach reiflichster Überlegung entschließt und deshalb nicht zum Zeugen eigener Kinder kommt, obwohl durchaus ein Kinderwunsch in beiden stark ist. Schließlich nimmt man ein Büblein zu sich an Kindes statt und kaum ist das Geschehen, fühlt sich die Königin, wie es früher so schön hieß, gesegneten Leibes. Therese Huber wusste besser als alle je schreibenden Männer, was das jenseits der verklärenden Beschreibung bedeutete, sie brachte im Lauf ihres Lebens sieben Mädchen und drei Jungen zur Welt, sie war selbst noch ein Kind, als ihre Mutter 1775 starb, sie erlebte den Tod von nicht weniger als sechs ihrer Kinder. Die dritte Tochter und der erste Sohn wurden kein halbes Jahr alt, die fünfte Tochter erreichte den ersten Geburtstag nicht, die sechste wird immerhin fünf Jahre alt, der zweite Sohn nur ein halbes, die siebente und letzte Tochter lebt nur sechs Wochen, ein halbes Jahr nach ihr, zu Heiligabend 1804, stirbt Gatte Ludwig Huber, der der Vater von sieben, vielleicht von acht der Kinder war.

Wenn bisweilen, gar nicht selten, Verwunderung artikuliert wird, wie vermeintlich gefasst und gelassen man in jenen Zeiten den Tod eigener Kinder hinnahm, auch Goethe gerät da gern in Verdacht, verkennt das eben die grausame Realität einer extrem hohen Kindersterblichkeit, der die Müttersterblichkeit kaum nachstand, auch wenn ich hier keine Statistiken anführen kann. Das Glück der Liebe führte geraden Wegs in eine viel zu oft in den eigenen Kindsbett-Tod mündende ewige Kette von Schwangerschaften für die Frauen, die zudem sehr oft sehr jung zu Müttern wurden. Wenn Therese Huber tatsächlich in ihren späteren Werken zu eher versöhnlichen Schlüssen neigte, wenn Lehrhaftigkeit überhand nimmt, die zu einseitig auf direkte Traditionsfolge von Spätaufklärung reduziert wird bei der Deutung ihres Schaffens, dann ist da viel Schutz dabei, den sich die Autorin autogen angedeihen ließ, dessen bin ich mir sehr sicher. Die traditionelle Rolle angenommen zu haben, ist nach der zweifellos vorhandenen hellsichtigen Erkenntnis dieser Rolle eine vollkommen andere Sache, die eher Hochachtung verdient als billige Kritik aus späterer Perspektive.

Im Märchen, also auch in Therese Hubers Märchen vom Königspaar und seinen zwei Kindern, kommt der Tod der Eltern nicht brutal überraschend, man fühlt sein Herannahen und kann alles noch ordentlich regeln, ehe es so weit ist. Zwei Feen werden beauftragt, sich um die Kinder zu kümmern, für die die scheidenden Eltern keinen größeren Wunsch haben als dass sie später ein Paar werden mögen. Das Märchen „Der Traum des Lebens“ franst und fasert ein wenig aus im Verlauf seines Geschehens, denn irgendwann passiert, was sie in einem Brief aus dem Todesjahr ihres zweiten Mannes mit „diese Dinge sind alle nur Abdruck meines Gefühls“ umschreibt. Wo die autobiographische Substanz des Huber-Werks in Versteher-Diktion hervorgehoben wird, ist das natürlich gar zu trivial, denn welche Autoren sind frei davon, ihr eigenes Leben so oder so zu Literatur zu machen? Das hebt sie weder heraus, noch verkleinert es denn Wert ihres Schaffens, es bezeichnet schlichte kreative Normalität. Nur manchmal ist es Autobiographie so direkt, dass ein Text sich in einen Schlüsseltext verwandelt, Spurenelemente davon hat mit großer Sicherheit auch dieses Märchen, indem es offensichtlich Therese Hubers kompliziertes Verhältnis zu Georg Forster, zu Huber und zu beiden phasenweise gleichzeitig ins Märchenhafte hebt.

Die Kinder Aline und Alexis wachsen heran unter den Fittichen der Feen, die selbst miteinander kein spannungsfreies Verhältnis leben, die zudem seltsam irdische Dinge tun wie Landkarten studieren. Auch Aline tut später sehr irdische Dinge wie Salat waschen am Brunnen. Aline und Alexis haben ein eigenes erstes Kind, das Mädchen Alma, die Schwangerschaft teilt Therese Huber mit dem Satz mit: „Kurz und gut, es war geschehen, wovon das Gegenteil sehr sonderbar gewesen wäre.“ Und wieder geht es irdisch zu im Märchen, selbst die Fee ermüdet bisweilen vom Kindergeschrei so sehr, dass sie ihren Job an den Nagel hängen möchte, wie man heute sagten würde. Therese Huber offenbart in diesem Märchen ohne alle Lehrhaftigkeit, die sich in den Vordergrund drängen würde, souveräne Lebenskenntnis, frauliche Weisheit, die wohlig unprätentiös daherkommt. Das klingt dann beispielsweise so: „Man weiß ja, wie bald wir armseligen Menschen Ursachen zu Dem finden, was wir gern thun...“. Wundervoll prägnant und doch ebenfalls unaufgeregt die fein satirische Darstellung des Aufenthalts im Tempel der Wissenschaft: „... man sagte so viele tiefe, hohe, schöne Dinge, daß Keiner den Andern verstand, Jeder aber sich verwunderte...“.

Das passt nahtlos zu einer Briefaussage Therese Hubers an Karoline Pichler, die ich Andrea Hahns Arbeit entnehme: „Ich gestehe wohl, daß mich diese deutsche Belletristerei durch marklose Seichtigkeit, und die Gelehrte durch Hochmuth um so mehr anekelt, da auf beiden Wegen unsre Nation zu keiner Bildung kommt. Die erste erschlafft und zieht in geistlose Lüstelei, die zweite schreibt gelehrten Bombast für Gelehrte – und die Nation bleibt roh und schwerfällig.“ Hat sich daran tatsächlich in zweihundert Jahren auffällig viel verändert? Doch diese beiden Seiten so in die Zusammenschau gebracht zu haben, dünkt mich eine Leistung Therese Hubers, die höchste Hochachtung verdient. Auch was die Definition von Freiheit betrifft, war sie den Philosophen wie den Männern mindestens ebenbürtig: „Frei aber ist nur Der, welcher ohne Zwang gehorchen und ohne Eigennutz befehlen kann, sei es den Menschen oder den Umständen oder sich selbst.“ Die Erziehung im Haus Heyne, der Umgang mit Forster und Huber, haben natürlich einen Boden bereitet, in dem die Saat aufgehen konnte, doch das spricht für die Frau und ihr Bild von der Welt und keineswegs gegen sie.

Übrigens heiratete Therese Hubers Tochter Luise, als viertes Kind am 7. März 1795 geboren, am 14. Oktober 1813 Johann Gottfried Herders Sohn Emil. 1816 ließ sie sich wieder von ihm scheiden, um ihn 1822 am 1. Juni erneut und nun endgültig zu heiraten. Man zieht nach Bayreuth, wohin auch die Mutter gelegentlich zu Besuch kommt. Therese Huber starb in Augsburg am 15. Juni 1829, nachdem sie noch den Briefwechsel ihres ersten Mannes Georg Forster herausgegeben hatte, „nebst einigen Nachrichten aus seinem Leben“, wie der Untertitel des Buches lautete. Als sie gut zwanzig Jahre vorher, 1808, erstmals wieder ihre Familie in Göttingen besuchte, nach zwanzig Jahren, bewies sie, dass sie auf alle Fälle in dieser Hinsicht selbst Goethe ebenbürtig war, dessen Umgang mit Vater und Mutter selbst von seinen Verehrern als kaum beispielhaft angesehen wird.


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