Henriette Herz 250

Die Schönheit von Henriette Herz war derart weithin berühmt, dass sie noch Jahre nach ihrem Tod im stolzen Alter von 83 Jahren unbesehen zu Vergleichszwecken herangezogen wurde. So findet sich etwa in Helmina von Chezys 1858 erschienener Autobiographie „Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben“, es ist ihre zweite, folgende Passage: „Ich hatte Frau von Helvig nie so schön gesehen als an jenem Abend, wo die schmerzverklärten Blicke ihrer großen blauen Augen entzückender als jemals strahlten. Dem sterblichen Auge war die Lorberkrone um ihr edles Haupt her unsichtbar, aber das Seelenauge empfand ihn und fühlte warm ihre Thränen darauf beben. Ihre Gesichtszüge waren antik, sie glich der verstorbenen Henriette Herz, an deren Sterbelager Friedrich Wilhelm IV. sinnend weilte, deren Bild nach Graff vor einer Biographie von ihr so wenig ihr Selbst zurückspiegelt als jene Schrift ihren Geist und ihr Leben.“ Helmina von Chezy lebte vom 26. Januar 1783 bis zum 28. Januar 1856 und sprach im vorliegenden Falle von Anna Amalie von Imhoff, verheiratete von Helvig (16. August 1776 bis 17. Dezember 1831), die zeitweilig, wie man so hübsch blumig sagen darf, am Weimarer Musenhof lebte.

Voller Absicht habe ich mit diesem ersten Abschnitt ein Klischee bedient, nichts ist netter, als Klischees zu bedienen, wenn man weiß, dass sich die Richtigen möglicherweise darüber aufregen, das Klischee nämlich, Männer, also Blödmachos vor allem, redeten immer nur bei Frauen zuerst von Schönheit, auch wenn deren Verdienste ganz woanders lägen. Bediene ich rasch noch das zweite Klischee, ehe ich zu den Verdiensten übergehe, und behaupte, ohne die vorgenannte Schönheit wären möglicherweise die Verdienste gar nicht so zum Tragen gekommen, noch heute kommt eine schöne Landrätin eher ins Fernsehen als ein hässlicher Landrat. Liegt natürlich wieder nur an der Männerherrschaft. Wir wollen die Verhältnisse nicht wünschen, unter denen Kamerafrauen schönen Landräten zuerst die Hinterteile abfilmen, ehe sie sich dem Gesicht widmen, aus dem dann Sätze über Stromtrassen oder kostenlose Kindergartenplätze abgelassen werden. Henriette war eine schöne Frau, das bezeugen schon Jugendbildnisse und noch Altersbilder und es wird bis zum Jüngsten Gericht wohl nur wenige Frauen geben, die dergleichen nicht gern von sich gesagt und verewigt wissen würden für die geschriebene Geschichte.

Fanny Lewald, 1811 geboren und somit Enkelgeneration von Henriette Herz, hat uns in ihren Memoiren überliefert, wie sie sich 1839 in Berlin mit Eifer darum bemühte, die berühmte Frau kennenzulernen, sie und Frau Sara Levy. Bei Fanny Lewald ist Henriette Herz immer die Hofräthin Herz, denn deren Gatten Doktor Marcus Herz war 1785 für seine Verdienste selbiger Titel verliehen worden und nach dessen Tod im Jahr 1803 trug Gattin Henriette im geselligen Leben der Zeit selbigen Titel selbstredend weiter. Fanny Lewald besuchte die Herz-Wohnung in der Markgrafenstraße und ließ ihren, tut mir leid, weiblichen Blick zunächst über die Meublage streifen. Eine Büste Friedrich Schleiermachers auf dem Sekretär wird ebenfalls noch vor der Gastgeberin selbst erwähnt, von der es dann freilich begeistert heißt: „Es war ein Vergnügen, sie sprechen, und ein Genuß, sie erzählen zu hören.“ Dann wendet sich die Autorin aber sehr bald sehr zielstrebig sich selbst zu, Details aus den Erzählungen von Henriette Herz haben sich ihr dann offenbar doch nicht so nachhaltig eingeprägt, wie zu vermuten wäre. Und, Überraschung, sie schreibt sichtlich bewegter über die Männer, die sie da traf, etwa Franz Liszt oder Felix Mendelssohn.

Natürlich bestätigt das keinerlei Vorurteile über Frauen, schon der Gedanke an solche sei weit zurück gewiesen. Franz Liszt aber formulierte für Fanny Lewald einen Satz, denn sie keinesfalls für sich zu behalten trachtete, was wiederum natürlich keinerlei Vorurteil bestätigt: „Man ist immer jung, Madame! Solange man zu gefallen weiß!“ Das hätte er zu Henriette Herz auch sagen können und ich bin mir nicht sicher, ob sie es verschwiegen hätte in ihren Lebenserinnerungen. Und genau die sind das Kernstück eines Buches, welches bei seinem Erscheinen 2013, wenngleich mit unterschiedlicher Zeitverzögerung, immerhin die Aufmerksamkeit von FRANKFURTER ALLGEMEINE und SPIEGEL auf sich zog. Beide hielten es, was zum dritten Male und wieder natürlich kein Vorurteil bestätigt, für nicht des Erwähnens wert, dass das nämliche Buch dreißig Jahre vorher, 1984, in einem damals seltsamerweise noch existierenden Staat namens DDR schon einmal erschienen war und zeitgleich auch in Frankfurt am Main. Die neue Freude über das alte „Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen“, herausgegeben von Rainer Schmitz, Die Andere Bibliothek, käuflich zu erwerben für bescheidene 40 Euro, die DDR-Ausgabe des Kiepenheuer-Verlages gibt es in sehr gutem Zustand antiquarisch, während ich dies schreibe, für 6,75 Euro, ist dennoch ungetrübt zu begrüßen.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE illustrierte ihre Einführung in die „faszinierende Welt der Henriette Herz“ von Jakob Hessing mit einem farbigen Porträt der vierzehn Jahre alten Henriette, gemalt von Anna Dorothea Therbusch 1778. Hessing lässt uns wissen, dass Henriette auch nach dem Tod ihres Mannes, dem sie schon mit zwölf Jahren verlobt wurde, das entsprach jüdischer Tradition und war nicht etwa Pädophilie, den Schritt in die erotische Freiheit nicht tat oder wagte. Ähnliches liest man verschiedentlich, als wäre Henriette Herz dann tatsächlich interessanter und nicht nur für den schreibenden Boulevard. Anders als Dorothea Schlegel, mit der Henriette sehr früh schon befreundet war, bevorzugte Henriette Herz eben einen unspektakulären Entwicklungsweg. Dem zu vorschneller Verallgemeinerung neigenden Geist, der damit schon einmal eine wichtige Qualifikation für den muntersten Trendjournalismus vorzuweisen hätte, ist das Jahr 1764 das Jahr der bedeutenden Frauen. Wurden doch auch Therese Huber und Dorothea Schlegel da geboren wie Henriette Herz (von den anderen Millionen Frauen des Jahrgangs redet natürlich niemand). Ihre Lebensleistung wird denn auch fast immer in anderthalb Atemzügen mit dem Wort Salon in Verbindung gebracht, welches sie selbst gar nicht benutzten.

„Berliner Salons“ heißt ein Büchlein von Ingeborg Drewitz, ich besitze es in der vom Verlag Haude & Spener herausgegebenen Reihe „Berliner Reminiszenzen“, wo es die Nummer 7 ist und es ist nicht nur in Sachen Henriette Herz fortlaufend empfehlenswert. Es zeigt freilich auch, indem es von den Salons wesentlich weniger zu erzählen weiß, als der Titel vermuten lässt, die Crux dieser bis heute berühmten, fast mythisch gewordenen Institutionen des deutsch-jüdischen Berliner Kulturlebens der Zeit. Es gibt so gut wie keinerlei Dokumente über die Salons aus ihrer unmittelbaren Existenzzeit, nur eben in diversen Erinnerungen, die zum Teil erst viele Jahre später niedergeschrieben sind, finden sich Aussagen, die aber fast immer schon den Umstand einbeziehen, dass Akteure später anders oder überhaupt berühmt waren als zur Zeit. Einfaches Beispiel wäre Ludwig Börne, der berühmte Widersacher Heinrich Heines, den Doktor Marcus Herz in Kost und Logis nahm, weil das Berliner Leben Börnes Vaters für den noch Minderjährigen als zu gefährlich an Versuchungen und Ablenkungen angesehen wurde, Börne sollte Arzneikunde studieren. Er verliebte sich aber in Henriette Herz, die seine Mutter hätte sein können.

In ihren Erinnerungen macht Henriette Herz daraus kein Geheimnis, sie nennt sogar die Quellen, aus denen sie die ganze Wahrheit erst erfahren haben will, denn Ludwig Börne gab ihr zum Abschied, als er von Berlin nach Halle umsiedeln musste, seine Tagebücher und die Briefe an sie, die er ihr nie zustellte. Die Adressatin verschweigt lediglich, was sie mit den Dokumenten getan hat. Sie stützt ihre Erinnerungen an Börne übrigens wesentlich auf Briefe des Theologen Friedrich Schleiermacher, aus denen sie mehrfach wörtlich zitiert und gegen den sie Börne noch im fortgeschrittenen Alter der Memoirenzeit verteidigt. Womit übergeleitet wäre zum zeitgeschichtlich faszinierenden Umstand, dass im Hause von Marcus und Henriette Herz, später auch bei Henriette Herz allein, solange die materiellen Mittel dafür hinreichend waren, alles verkehrte, was Rang und Namen in der Zeit hatte. Die Männer, die sich lieber um Henriette scharten, als dem Arzt und Wissenschaftler zu lauschen, haben wie Börne nicht selten eine erotische Ambition entfaltet, die sie sich mehr oder minder klar eingestanden oder auch nicht. Schleiermacher war einer der Ambitionierten, ein anderer hieß Wilhelm von Humboldt.

Doch auch ein vermeintlicher Exot wie der polnisch-litauische Aufklärer und Philosoph Salomon Maimon, der zuerst 1776 nach Deutschland und Berlin gelangte, dann zehn Jahre später in Berlin aufkreuzte und nun den Kant-Schüler Marcus Herz kennenlernte, der ihm Kontakt zu Kant selbst vermittelte, durchlief kurz das Salon-Haus. Maimons Lebensgeschichte gab der Goethefreund Karl Philipp Moritz heraus, dem wiederum Henriette Herz in ihren Erinnerungen auch ein kurzes Kapitel gewidmet hat. DDR-Leser durften die Lebensgeschichte als Band 16 der Gustav-Kiepenheuer-Bücherei bereits 1960 in den Händen halten, ich erwarb es als Student antiquarisch für immerhin 4,50 DDR-Mark, also nicht direkt vom Wühltisch. Das Nachwort schrieb Klaus Herrmann, den deutlich mehr ältere DDR-Leser als Verfasser zahlreicher spannender und interessanter historischer Romane noch kennen dürften, ich las zuletzt „Der Abschied“ von ihm, eine Erzählung um Schiller und Charlotte Kalb, wie der Untertitel besagt. Maimon ist schon am 22. November 1800 gestorben, sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt.

Der Gastgeberinnen-Ruhm von Henriette Herz hielt kaum vermindert bis an ihr Lebensende vor, ihr Name war noch Begriff, als sich schon längst keine Gäste mehr um sie scharten. Sie war schon 50, als sie in Berlin Schiller traf, das von Schiller selbst nicht dokumentierte Zusammentreffen, wie sie es in ihren Erinnerungen schildert, wird auf genau dieser Basis als gesichert angesehen im Marbacher Magazin Nummer 106, dem der Verfasser Michael Bienert den Titel „Schiller in Berlin oder Das rege Leben einer großen Stadt gegeben hat“. Bienert zitiert 2004 natürlich die 84er DDR-Ausgabe mit der Passage, die von der Gesprächigkeit Charlotte von Schillers handelt. Auch Henriette Herz ergeht es wie anderen Frauen, die sich Schiller wie Marquis Posa denken, ehe sie ihn dann blass und rothaarig erleben. Ihr wurde die Lebensklugheit Schillers auffällig, der, als er Berlin besuchte, nur noch ein Lebensjahr vor sich hatte. Und Goethe? Den traf Henriette Herz in Dresden, als er sich vom 16. bis zum 26. September 1810 auf der Heimreise aus Böhmen dort aufhielt. Sie erinnert sich, wie Prinz Bernhard von Weimar nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, Goethe herbeizuholen und wie sie ihn dann in der Galerie sofort erkannte und auch erkannt hätte, wenn sie nie ein Bild von ihm gekannt hätte. Die Berliner Salons, die erst später so genannt wurden, waren, wie man längst weiß, allesamt so etwas wie Goethe-Fanclubs, in denen man sich mit nichts schneller und ausdauernder unbeliebt machen konnte als mit Abfälligkeiten gegen Goethe. „Wir sahen uns nun während seiner Anwesenheit in Dresden fast jeden Abend, denn alle seine Freunde und Bekannten waren auch die Meiningen.“

Henriette Herz verschweigt auch einen ihr unangenehmen Zug Goethes nicht, dessen herzloses Verhältnis gegen Nicolovius, den Gatten der Tochter seiner Schwester Cornelia. „Der Fall beweist, daß er sogar bis in seine Familienverhältnisse hinein sein Bestreben trug, alles was ihm unbequem war, oder auch nur dies zu werden drohte, rücksichtslos zu beseitigen.“  Gemeint ist Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (13. Januar 1767 bis 2. November 1839), der mit Cornelia Goethes (verheiratete Schlosser) Tochter Luise Maria Anna Schlosser insgesamt vier Kinder hatte, deren drittes dann Henriette Herz wieder namentlich erwähnt: „Auf die Kinder des Letzteren übertrug Göthe jedoch seinen Mangel an Freundlichkeit nicht, und namentlich hatte er für Alfred Nicolovius viele Antheilnahme.“ Dieser Alfred Nicolovius (13. November 1806 bis 22. März 1890) wurde Rechtswissenschaftler, Professor in Bonn und Autor einiger Bücher, darunter auch eines über den berühmtesten seiner Verwandten, Titel „Über Goethe. Literarische und artistische Nachrichten“, erschienen 1828, also noch zu Goethes Lebzeiten. Ein Schelm, der denkt, Goethes mildere Neigung habe mit diesem Buch nichts zu tun.

Überall, wo es um jüdisch-deutsche Literaturbeziehungen geht, geht es auch um Henriette Herz, sie taucht in den Biographien derer natürlich auf, die in der einen oder anderen Art von Kontakt zu ihr standen, beispielsweise also in den DDR-Biographien, die Herbert Scurla den Brüdern Alexander und Wilhelm von Humboldt getrennt widmete, dort wird auch aus Briefen des einen über den anderen zitiert, Henriette Herz war die Vertraute, die auch erfuhr, was sonst niemand erfahren durfte. Es würde hier zu weit führen, dergleichen auch nur ansatzweise zu dokumentieren. Lediglich auf eine Kleinigkeit sei die Aufmerksamkeit interessierter Leser noch gelenkt. Während Barbara Becker-Cantarino in ihrem Buch „Schriftstellerinnen der Romantik. Epoche-Werke-Wirkung“ großen Wert darauf legt, dass Friedrich Schleiermachers Versuch einer Theorie geselligen Betragens aus dem Jahr 1799 keine Verallgemeinerung von Salon-Erfahrungen bei Henriette Herz darstellt, behauptet Willi Jasper in seinem „Deutsch-jüdischer Parnass. Literaturgeschichte eines Mythos“ genau das Gegenteil. Jasper suggeriert mit einem einzeln zitierten Satz übrigens auch einen mindestens geheimen Antisemitismus bei Wilhelm von Humboldt. Das ist an Henriette Herzens 250. Geburtstag nun aber wirklich kein Thema. Dafür sei, wegen der Vorurteile, doch noch einmal Fanny Lewald zurückgeholt. Sie bemerkte an der 75-jährigen Henriette Herz eine leichte Disproportion zwischen Ober- und Unterkörper. Nun sage einer, worauf Frauen untereinander, natürlich rein zufällig und vollkommen unabsichtlich, so alles achten.


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