Vor 70 Jahren starb Heinrich Mann

Es war ein Sonnabend, Sonnabend, der 11. März 1950, nicht der 12. März, wie lange und an vielen Stellen noch heute zu lesen steht. Erst im Vorfeld zu seinem 60. Todestag fand die Fixierung des „endgültigen“ Todesdatums in die Agenturmeldungen, unzählige Bücher und andere Druckwerke wurden deshalb nicht neu gedruckt, Lexika schon gar nicht, und so bleibt Korrektur des falschen Datums eine nicht überflüssig werdende Nebenaufgabe für jeden, dem Heinrich Mann zum Gegenstand wird. Heinrich Mann war für mich ein anderer Name für Elternhaus, einer von vielen anderen Namen freilich, doch immerhin ein prägender. Ich bin aufgewachsen mit seinen Büchern, ohne sie gelesen zu haben. Die beiden Bände des „Henri IV.“, wuchtig in ihren sandfarbenen Schutzumschlägen, standen hinter Glas neben „Die Göttinnen“, kanariengelb. Ohne Umschlag, immer etwas anrüchig in einem Bücherhaushalt, der Umschläge nie wegwarf, „Der blaue Engel“, 1950 in der Büchergilde Gutenberg erschienen, vorn mit dem Hinweis, dass Heinrich Mann selbst die Genehmigung erteilte, den „Professor Unrat“ nun unter dem Titel seiner berühmten Verfilmung erscheinen zu lassen. Daneben „Die Armen“, einer Buchreihe „Der soziale Roman“ zugeordnet, die die Märkische Druck- und Verlags-GmbH Potsdam 1950 herausgab, Einleitung von Konrad Haemmerling, der die Reihe insgesamt verantwortete. Dazu „Heinrich Mann“ von Herbert Ihering.

Dann las ich doch meinen ersten Heinrich Mann, es war „Der Untertan“, es war Februar 1970, es war Schullektüre, mein Exemplar gedruckt in der Reihe des „buchclub 65“, der DDR-Antwort auf den Bertelsmann-Club des Westens, der nach Abnahme einer bestimmten Menge von Pflicht-Bänden zum Bezug frei wählbarer Bücher berechtigte. Immer natürlich nach Maßgabe dessen, was im Club erschienen war. In den 44 Bananenkisten voller Bücher aus dem Nachlass meiner Eltern, die im vorigen Jahr ins Buchdorf in Sachsen-Anhalt wanderten, waren zahlreiche Buchclub-Bände. Von Heinrich Mann verließ nichts das Haus: alles steht bei mir: nun also auch die Winzigkeiten wie das Bändchen „Voltaire-Goethe“, herausgeben von Franz Hammer in der Reihe „Die Perlenschnur“ 1947 im Verlag Werden und Wirken Weimar, wie „Der Tyrann. Zwei Novellen“ aus der alten Reclam-Universalbibliothek, Band 7001. Im Lauf der Jahre waren andere Romane hinzugekommen, die frühen vor allem, „Im Schlaraffenland“, „Zwischen den Rassen“, „Die Jagd nach Liebe“, waren die von Bert Heller illustrierten „Künstlernovellen“ aus dem Henschelverlag in meinen Bestand gekommen. Ich kaufte mir die „Briefe an Ludwig Ewers“, die meine Eltern wohl nie gekauft hätten, und „Verteidigung der Kultur“, Streitschriften und Essays, die sie vielleicht gekauft hätten. Bei mir landeten als Sammelstücke die Inselbände, „Zola“, „Madame Legros“, „Flaubert und George Sand“.

Und anderthalb Jahre nach dem „Untertan“, den ich natürlich irgendwann auch verfilmt sah, mit Werner Peters als Diederich Hessling, nicht ahnend, was im Westen mit diesen Film geschah, lieh ich mir aus der Ilmenauer Stadtbibliothek vier schmale Einzelausgaben: „Gretchen“, „Pippo Spano“, „Der Unbekannte“ und „Kobes“ aus, las sie alle, ehe ich den Weg in den „Kulturschock NVA“ antrat. Womit der Werbeblock für mein immer noch erfolgreichstes Buch bereits wieder beendet ist. Ich war, das als Fazit und gegen eine Helga M. Novak gerichtet, die den üblichen Unfug von der Schädigung durch Schule im Falle Heinrich Mann wohlfeil zum Besten gegeben hat, nicht nur nicht geschädigt, ich war neugierig gemacht. Und so las ich, als die soldatische Schockstarre an Kulturlosigkeit sich etwas gelöst hatte, zu Beginn des letzten NVA-Diensthalbjahres „Flaubert und George Sand“, meine Bleistift-Markierungen sind alle erhalten, ich sehe, was mir wichtig schien anno 1972. Und griff alsbald zur neuen Reclam-Sammlung „Novellen“, (RUB 37), die mit „Das Wunderbare“ beginnt, was mir auch tatsächlich wunderbar erschien. Die Novellen hat Marcel Reich-Ranicki, als er 1987 seinen Vernichtungsschlag gegen Heinrich Mann auf vielen Druckseiten ausbreitete, einfach ausgeklammert. Ich kenne keinen bösartigeren Übergriff als diesen, mir nicht einmal damit erklärbar, dass Reich-Ranickis absoluter Literatur-Gott der Bruder Thomas Mann war.

Erst jetzt wird mir bewusst, dass meine Heinrich-Mann-Wandzeitung an der Goetheschule Ilmenau natürlich mit dem Jahrestag zu tun hatte, der heute der siebzigste ist. 1970 war eine Wandzeitung zu Heinrich Mann nicht wegen Heinrich Mann ein Aufreger, sondern allein aus dem Umstand heraus, dass Wandzeitungen zum Bereich Agitation und Propaganda gehörten, für den jede FDJ-Leitung einen eigenen Redakteur vorhielt. Heute freilich kaum schwerer vorstellbar als die Tatsache, dass in der alten Bundesrepublik der Film „Der Untertan“ von Wolfgang Staudte verboten wurde, dann nur um elf Minuten gekürzt gezeigt werden durfte und erst 1971, man lese und staune, dem West-Publikum in der Urfassung zugänglich wurde. Regisseur Staudte, das weiß man inzwischen, ist in aller Regelhaftigkeit erpresst worden: Aufträge im Westen nur, wenn jede Kooperation mit der DEFA des Ostens unterbleibt. Ein Seitenstück des Grundphänomens ist die Abhandlung zu Heinrich Mann von Helmut Koopmann, aufgenommen in die repräsentative achtbändige Reclam-Stuttgart-Sammlung „Deutsche Dichter“ (UB 8617). Sie ist Drucksache gewordene Ausformung der Hallstein-Doktrin im Felde der Literaturgeschichte, dem verdienstvollen Professor und Buchautor womöglich gar nicht in vollem Umfang bewusst, da in Fleisch und Blut übergegangen. Der Osten, die DDR, ist bis auf die Nennung beider Werkausgaben nicht existent. Und das immerhin 1989!

Vor knapp acht Jahren hörte ich Koopmann als Gast der Ilmenauer Senioren-Akademie reden, mein Beitrag „Die Ungleichheit berühmter Brüder“ (27. April 2012, LOKAL-SPLITTER) über Heinrich und Thomas Mann erfreute ihn deutlich weniger als mein gedruckter Artikel zu seinem Vortrag über Goethes Tagebuch, weil ich ihm ankreidete, die Thesen seines ersten im zweiten Vortrag nicht befolgt zu haben, nachlesbar in MEIN GOETHE, Titel „Goethes Tagebuch im Vortrag“, 11. Juni 2012. Und noch immer bin ich der Meinung, dass ich nicht heute vom Katheder predigen kann, die Literaturwissenschaft vernachlässige die Textsorte Tagebuch, wenn ich sie morgen selbst zu vernachlässigen gewillt bin. Gegen den oben genannten Beitrag zu Heinrich Mann ist sonst wenig einzuwenden außer der Ignoranz gegenüber dem Osten. Die wissenschaftliche Ignoranz hat freilich noch eine Seite: sie nimmt nicht ernst und klammert aus, was andere Autoren als Professoren zu bestimmten Werken und ihren Verfassern schrieben. So entgeht ihnen die vermutlich ekstatischste Lobeshymne, die je auf Heinrich Mann gesungen wurde: ihr Urheber ist Rudolf Leonhard (27. Oktober 1889 – 19. Dezember 1953), gedruckt wurde sie 1917 im einst hyperberühmten Verlag von Kurt Wolff. So entgeht ihnen die viele Seiten umfassende Darstellung vom Max Hermann-Neiße, die nach gesonderter Behandlung geradezu ruft. Aber auch das Schlachtfest von Reich-Ranicki bleibt außerhalb des Sichtfensters „der Forschung“, wie sich das gern selbst apostrophiert.

„Ein Abschied nicht ohne Wehmut“ steht etwas scheinheilig, man könnte auch sagen, heftig verlogen, über den fünfzig Druckseiten, die Reich-Ranicki 1987 für die FAZ und sein eigenes Buch „Thomas Mann und die Seinen“ über Heinrich Mann fabrizierte. Es endet mit dem Fazit: „Es wird wohl Zeit, sich von Heinrich Mann zu verabschieden – mit Respekt, versteht sich, und auch mit Dank. Für manche von uns Älteren ist es noch ein Abschied von unserer Jugend – ein Abschied nicht ohne Wehmut.“ Wobei sich seine Wehmut klar auf die Jugend und keineswegs auf Heinrich Mann bezieht. Ich las bei Reich-Ranicki, den ich weiterhin mag, selten, eigentlich nie, ein derart tendenziöses Machwerk, das alle Prinzipien über Bord wirft inklusive einer literaturkritischen Rechtsstaatlichkeit, wie ich das nennen würde: ihm gilt für Heinrich Mann die klare Devise: im Zweifel immer und mit Karacho zu Ungunsten des Angeklagten. Hätte Reich-Ranicki dieses Verfahren bis in die Auswahl von Zitaten und dem kompletten Verzicht auf andere Zitate, die das genaue Gegenteil belegen würden, auf andere oder gar alle Autoren angewendet, die ihm zum Schreibanlass wurden, er wäre wohl eher ein traurigen Fehlgriff seiner Zunft, als die immer noch fortlebende Legende seiner selbst, deren 100. Geburtstag in einigen Wochen gefeiert werden darf. Schlechtes Beispiel: wie er Ludwig Marcuse missbraucht als Quelle für ein völlig untypisches Zitat.

Das im Detail zu verfolgen, wäre ebenso ein eigenes Thema wie die ausdauernde und eben höchst verständnisvolle Liebe, die Ludwig Marcuse (8. Februar 1894 – 2. August 1971) Heinrich Mann zeitlebens entgegen brachte und dabei quasi im Vorbeigehen grandiose Sätze formulierte, die heute wie Prophetien klingen, obwohl sie natürlich keine waren, Sätze, die bis hinein in gegenwärtige Debatten verwendbar wären und manches Geschwätz entlarven könnten, das permanent en vogue ist. Ich greife nur eine äußerst bescheidene These heraus, weil sie zum Tag passt. Marcuse schrieb sie nieder, als er für die ZEIT vom 25. März 1960 das Thema abhandelte: „Das sonderbare Ehepaar Nelly und Heinrich Mann“, Untertitel: „Zehn Jahre nach dem Tod des Schriftstellers beginnt sich jetzt eine Legende zu bilden, die zurückgewiesen werden muss“. Hier schreibt er, Thomas Manns Gattin Katia verteidigend: „Sie verdient in allen Heinrich-Mann-Biographien einen Ehrenplatz.“ Und ergänzt: „ Ohne sie wäre er wirklich hilflos gewesen; denn seine Frau war in Amerika weniger eine Hilfe als selber hilfsbedürftig.“ Mein eigenes Archiv belegt mir übrigens peinlich schlagend, dass in den zurückliegenden Jahren Heinrich Manns Werk sehr viel seltener zum Thema wurde als allerlei Umstände seines Lebens, begonnen mit den pornographischer Zeichnungen eigener Hand, die nach seinem Tod am 11. März 1950 in seiner Schreibtischschublade gefunden wurden, seine Liebe zu dicken Frauen deutlicher bezeugend als alle sonstigen bekannten Zeugnisse.

So wird halt über seine Frauen geschrieben, es wird über seine Alleinerbin Leonie geschrieben, die im Südtiroler Bozen zurückgezogen mit dem Tschechen Ludvik Askenazy lebte, Schwiegersohn Heinrich Manns also, der bis 1968 ein auch in der DDR oft verlegter Autor war, dann natürlich unter die Unpersonen fiel. Dietmar Grieser besuchte die beiden in Bozen, Leonie „Goschi“ Mann, geboren am 10. September 1916, starb am 25. Oktober 1986 in Berlin. Wer auf Fakten stößt wie eine zwischenzeitliche tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht nur von Heinrich, sondern auch von Thomas Mann, muss biographisch zurückgehen bis zur ersten Ehe Heinrichs mit der Schauspielerin Maria Kanova. Die Hochzeit fand am 27. August 1914 in München statt, Bruder Thomas blieb ihr demonstrativ fern, wie Dirk Heißerer es beschrieben hat in „Wo die Geister wandern. Literarische Spaziergänge durch Schwabing“. Vom ihm weiß ich auch, dass Arnold Zweig auf seltsame Weise zum Nutznießer des Todes von Heinrich Mann wurde. Der bekanntlich Präsident der Akademie der Künste der jungen DDR werden sollte. Alles war vorbereitet, das Schiff mit ihm sollte in Gdynia landen, dann aber starb er. F. C. Weiskopf hatte sich um alle Formalien und Regularien gekümmert. Arnold Zweig zog in die Villa, die für Heinrich Mann gedacht war.

In Thomas Manns „Brief über das Hinscheiden meines Bruders“ lesen wir: „Seinen letzten Abend hatte er ungewöhnlich ausgedehnt, hatte bis gegen Mitternacht mit Genuss Musik gehört und war von seiner Pflegerin nur schwer zu überreden gewesen, zu Bette zu gehen. Dann, man weiß nicht, zu welcher Nachtstunde, im Schlaf, die Gehirnblutung, ohne Laut oder Regung von seiner Seite. Am Morgen war er einfach nicht mehr zu erwecken. Das Herz arbeitete noch bis in die Nacht hinein, bei nicht mehr messbarem Blutdruck und längst unstörbarer Bewusstlosigkeit. Es war im Grunde die gnädigste Lösung.“ Im Tagebuch vom 11. März liest es sich so: „Das Ableben eine Frage von Stunden. Natürlich Erschütterung ohne Widerstand gegen dieses Geschehen, da es nicht zu früh kommt und die gnädigste Lösung ist. Er hat den Abend unter Musikhören lange hingezogen.“ Am 12. März dann die für die exakte Datierung wichtige Notiz: „Morgens um 7 Nachricht, dass nachts ½ 12 das Herz zum Stillstand gekommen. Feststellung des Todes und Überführung.“ Hier auch schon die Nachricht von den Zeichnungen: „K. berichtet von dem Fund einer Menge obszöner Zeichnungen in des Verstorbenen Schreibtisch. Die Nurse wusste davon, dass er jeden Tag gezeichnet, dicke nackte Weiber.“ K. ist Katia. Auch sie hat sich geäußert.

Sie erzählt in „Meine ungeschriebenen Memoiren“ davon, wie Heinrich nach dem Selbstmord seiner Gattin, sie tötete sich unmittelbar vor einem bevorstehenden Gerichtsprozess, der ihr fortgesetztes Führen eines Fahrzeugs unter Alkohol zur Last legen sollte, zuerst bei Thomas Mann wohnte: „bei uns, bis ich ihm eine neue Wohnung gefunden hatte und, hilflos, wie er war, habe ich ihn dann alle weiteren Jahre hindurch betreut. … Ich habe ihm in Santa Monica eine sehr nette Wohnung gefunden, gar nicht weit von uns, was natürlich für mich, auch für ihn, viel besser war.“ Seine Haushälterin, eine gelernte Krankenschwester, war demnach „eine Emigrantin, be der er es so gut hatte, wie er es mit keiner seiner sonderbaren Frauen je gehabt hat.“ Mit Golo, seinem Neffen, der auch am 27. März Geburtstag hatte, sollte eigentlich noch gemeinsam gefeiert werden. Heinrich, so Katia, habe sich ausdrücklich gewünscht, dass Golo von Claremont, wo er eine Professur innehatte, herüber käme. Die anstößigen Zeichnungen nahm laut Thomas Mann erst einmal die Tochter Erika an sich. Unser Voyeurismus kann auch daran längst befriedigt werden: es gab eine Ausstellung im Buddenbrook-Haus in Lübeck, auf die der SPIEGEL, natürlich der SPIEGEL, rechtzeitig vorher aufmerksam machte in seiner Ausgabe vom 20. August 2001, mit Beispielen und dezenter Werbung für das damals 98 Mark kostende Buch aus dem Göttinger Steidl Verlag.

Die wichtigste neuere editorische Tat für Heinrich Mann ist mit Sicherheit die Herausgabe einer hochwissenschaftlichen und deshalb für Sterbliche nicht bezahlbaren Ausgabe der Essays im auch sonst sehr verdienstvollen Aisthesis Verlag, man muss zwischen 140 und 200 Euro für einen Band auf die Tische des Buchhandels legen. Wer tut das schon? Dreibändige Essay-Ausgaben gibt es als Alternative sowohl in alten Ost- wie Westausgaben antiquarisch in gutem Erhaltungszustand. Es sei, weil es gegen ihn spricht, noch einmal auf Reich-Ranicki zurückgekommen, der sich nicht entblödete, zu einer Neuausgabe des späten Romans „Lidice“ (1943) dies zu schreiben: „Da der Claasen-Verlag sich nicht entblödet hat, unlängst auch dieses Buch zu drucken, kann man es nicht ignorieren – obwohl Heinrich Mann es verdient hat, dass man die Sache mit dem Mantel der Barmherzigkeit zudeckt.“ Im Tagebuch von Thomas Mann findet sich unter dem 15. März auch diese Notiz: „Brief an Becher, anprangernd das westdeutsche Schweigen beim Tode Heinrichs.“ Man kann daran studieren, was Thomas Mann unter anprangern verstand, denn der Brief enthält kaum mehr als eine sehr dezente Umschreibung des Tatbestandes, der nicht nur Lübeck betraf.

„Lassen Sie mich aber Ihnen gegenüber die Hoffnung aussprechen, dass die Worte der Erschütterung durch den Hingang des großen deutschen Schriftstellers, Worte, die aus Ihrer Sphäre kamen, zugleich der Ausdruck sind für die Empfindungen vieler Tausender in anderen Teilen Deutschlands“. Er nennt in dieser Reihenfolge Bonn, Frankfurt, München und dann erst Lübeck. Siebzig Jahre nach Heinrich Manns Tod in Santa Monica lässt sich sagen, dass Lernprozesse sehr zähe Geschäfte sein können in Deutschland, wenn Städte mit ihren größten Söhnen fremdeln. Und es lässt sich sagen, dass manche, die schon im Orkus der aus Glashäusern angerichteten Steinigungen verschwunden scheinen, rückblickend gesehen klüger waren als ihre späteren Rufmörder. Ich zitiere abschließend Stephan Hermlin aus dem Jahr 1947, Heinrich Mann lebte noch: „Die Unehrlichkeit der Krittler, die nur ungern zugaben, dass ihnen eine moralisch-politische Haltung nicht passte, verschanzten sich hinter Vorwänden ästhetisch-stilistischer Art, deren Fadenscheinigkeit von vornherein allzu deutlich sichtbar wurde.“ Was Hermlin bei Gelegenheit des 75. Geburtstages von Heinrich Mann noch nicht wissen konnte oder wissen wollte: Auf das Verfahren war ein gesamtdeutsches Patent angemeldet: Man verschanzte sich hüben und drüben.


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