Jahrgang 1921

Er hat keinen Roman geschrieben, nicht einmal ein Tagebuch. Er hat keine Komödie inszeniert, nur oft schräge Witze gerissen. Er war nicht musikalisch und konnte nicht tanzen. Seinen Geburtstag teilt er mit Rabindranath Tagore, Charles de Coster, Peter Hille, Volker Braun, David Hume, Gerhard Polt und Horst Bienek, um nur einige in ungeordneter Folge zu nennen. Ich kann ihn nicht mehr fragen, wen von denen er wie gut kannte, denn er lebt nicht mehr. Immerhin hat er gelesen, was ich über Tagore schrieb und er hat auch gelesen, was ich über Volker Braun schrieb.* Wie er das fand, er hat es meist nicht formuliert. Er hat mir auf die Schulter geklopft. Die beiden herrlichen Bände de Coster mit den Holzschnitten von Frans Masereel, die hat er mir geschenkt, obwohl sie wertvolle Geschenke für ihn waren. Geschenke von Géza, der die Welt gesehen hatte, nachdem er 1919 vor dem weißen Terror in Ungarn floh, der viel später eine Zeit lang Präsident des ungarischen Tourismus-Verbandes war. Der 7. Mai, um den geht es, ist der 90. Geburtstag von Oswald Theodor Ullrich, Sohn von Reinhold Ullrich, Vater von Eckhard Kurt Ullrich, also mein Vater. Sein Lieblingswort war: „Wenn ich es noch erlebe...“. Er hat mehr erlebt, als er zu träumen wagte, vieles, auf das er gern verzichtet hätte. Manches, das ihm das Alter vergällt hat. Als er 80 wurde, wollte er gern nach Augsburg und wir waren mit ihm in Augsburg. Als ich 50 wurde, war er für große Feiern nicht mehr gesund genug. Oswald hat ihn niemand genannt. Seinen Rufnamen aber hat mein Sohn geerbt. So lebt er fort.

* Siehe Alte Sachen, Nachträglicher Glückwunsch


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