Displaced Persons im Bertuch-Haus

Nach dem Krieg sind Menschen am falschen Platz. Millionen sind zu Rauch geworden, Millionen liegen unter der Erde. Die nicht verscharrt wurden, liefern grausame Bilder, Propagandabilder, die wenig Chancen haben, nicht falsch verstanden zu werden. Millionen, die überlebt haben, werden zum Verwaltungsgegenstand. Weil sie, am falschen Platz befindlich, die Chance haben, an einen richtigen zu gelangen, es muss nicht der frühere sein, den es oft gar nicht mehr gibt, oder nicht mehr, wie er war. Die Kategorie hat eine gängige Abkürzung: DP, Displaced Person.  „Wohin sollten wir nach der Befreiung?“ heißt eine Wanderausstellung des International Tracing Service (ITS) Bad Arolsen, die nach ihrer ersten Station in Frankfurt am Main nun im Stadtmuseum Weimar im Bertuch-Haus zu sehen ist. Nach dem 26. April geht sie nach Bergen-Belsen, wo die Spuren des einstigen Lagers fast vollkommen getilgt sind. Wie übrigens auch in Frankfurt am Main am Ort des einstigen DP-Camps.

Es gab rund zehn Millionen DP's auf deutschem Boden bei Kriegsende, Zwangsarbeiter, Häftlinge, die befreit wurden. Ihnen stellte sich die Frage, die den Ausstellungstitel liefert, ganz elementar. Die Freiheit war in gewisser Weise ein neues Nichts. Von Hunger und Krankheit gezeichnet, ohne den geringsten privaten Besitz, ohne Nachrichten vom einstigen Zuhause, inmitten einer weitgehend zerstörten Infrastruktur, gab es keine schnellen Antworten für sie. Ein älterer Herr neben mir fragte nach der Ausstellungseröffnung, der er mit ganz buchstäblich offenem Munde gefolgt war, ob ich das alles gewusst hätte. Natürlich habe ich nicht. Mich hat das ITS nur hilfsbereit, schnell und ohne sonderliche Bürokratie unterstützt, als ich vor inzwischen knapp zwei Jahren nach einem Besuch des österreichischen Konzentrationslagers Mauthausen eine Recherche nach einem Ilmenauer Opfer startete, nach Paul Ulrich, hier noch nachlesbar wie auch unter REISE-LOB vom 2. September 2013. Es ist wichtig, dass solche Ausstellungen mit solchem Begleitprogramm wie nun in Weimar geplant, gestaltet und gezeigt werden. Der 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald bietet nur den nötigen äußeren Anlass.

Der ältere Herr neben mir erzählte auch, dass er sich an das Klopfen an der Tür noch genau erinnern könne und an das Rufen der ehemaligen Häftlinge von draußen: „Open the door!“. Er ist einer der Weimarer, die damals zu verarbeiten hatten, was vor ihren Augen geschah. Die Ausstellung dokumentiert auf den drei zusätzlichen Tafeln, die der Wander-Exposition hinzugefügt wurden in Regie des Stadtmuseums und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, das spezifisch Weimarische zum Thema. Die Tafeln haben Ortsangaben: Goetheplatz 9b, Graben 6, Rohlfsstraße 3. Sie machen anschaulich, was es bedeutete für eine Stadt, die im Juni 1945 14.000 DP's zu beherbergen hatte. Vollkommen überflüssig zu sagen, dass da wenig herrschte von dem, was man heute so eifrig Willkommenskultur nennt. Man kennt die Filmbilder der Amerikaner, die Bürger Weimars auf dem Ettersberg Bilder des Grauens anzusehen zwangen, Frauen mit den Taschentüchern vor den Mündern, Männer mit ratlos-verstörten Gesichtern. Wir wissen, dass das Grauen komponiert wurde von den Filmleuten, aber es war ja dennoch keine Lüge.

Diese Leute aus Weimar sollten sich nun fast im Handumdrehen damit abfinden, dass denen, die überlebten, geholfen wurde. So weit sie in einem Teil des Konzentrationslagers verblieben, war es sicher am wenigsten problematisch, soweit sie in ehemaligen Wehrmachts- oder SS-Kasernen untergebracht wurden, auch nicht. Aber es gab auch das Requirieren von Wohnraum. Und rasch verbreitete sich das Gerücht, es gehe „denen“ besser als einem selbst. Man kennt das von den über Jahre nie verstummenden Gerüchten über Sozialhilfeempfänger und ihre Hunde oder Asylbewerber. Die Eingabe von Kleinrentnern Weimars, die dokumentiert wird, spricht eine schlimme Sprache in ihrer vollkommenen Abwesenheit von Geschichtsbewusstsein, Verantwortungsgefühl, oder einfach nur schlechtem Gewissen. Wobei kaum zu bezweifeln ist, dass sie die eigene Not nicht unrealistisch schilderten. Die direkte Linie zum Heute ist den Ausstellungsmachern wichtig. Man kann sie aufzeigen ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu fuchteln, wie es Susanne Urban in ihrer Einführung eindrucksvoll und berührend gelang. Die promovierte Leiterin Forschung und Bildung des ITS fand die richtigen Worte.

Sie machte unter anderem darauf aufmerksam, dass ein Anliegen der Ausstellung Personalisierung ist, die Geschichte muss Gesichter bekommen. Das ist natürlich kein neuer museumspädagogischer Ansatz, aber Effekthascherei wäre auch angesichts des Ausstellungsgegenstandes alles andere als eine gute Idee. So sieht man auf den Tafeln Namen und kann Geschichten verfolgen von Menschen wie Petr Iwanowitsch Stoba, Barbara Paciorkiewicz, Jakob Horowitz, Kazimierz und Krystzyna Garason, Eric Imre Hitter. Man erfährt von Forschungsergebnissen wie denen zur Geburtenrate bei jüdischen Überlebenden, die weltweit die höchste war. Man erfährt von den bürokratischen Begriffsbildungen, die die fragliche Menschengruppe zu systematisieren hatten: UN-DP, Ex-Enemy-DP und Enemy-DP. Die Sprache verrät: hier hatten die Amerikaner die Federführung, die zuerst in Weimar waren, bis ihnen im Vollzug der Aufteilung in vier Besatzungszonen die Rote Armee folgte. Ich gestehe gern, dass ich vom unterschiedlichen Ansatz der Sowjetunion unter Stalin und der Westmächte zum DP-Status nichts wusste. Die Sowjetunion setzte auf möglichst sofortige Repatriierung, die Amerikaner nicht. In Sachen Displaced Persons, das war schon in der Einführung zu hören, standen Engländer und Franzosen nicht auf der Seite der Amerikaner.

Denen gebührt folglich tatsächlich vielfältiges Verdienst, wie vorausschauend, wie den Überblick behaltend, wie überdacht alles abgewickelt wurde, um es für die Betroffenen möglichst schonend zu gestalten. Dass es wenig Zeit brauchte, bis auch hier der Kalte Krieg sich auswirkte, überrascht nicht. Nicht alle wollten in ihre ehemalige Heimat zurück. In der Sowjetunion liefen sie Gefahr, als Kollaborateure oder Feiglinge, die sich hatten gefangen nehmen lassen, behandelt zu werden, einschlägige Geschichten fanden schon in den achtziger Jahren ihren Weg in die auch in der DDR zugängliche Sowjetliteratur. Ob die Betroffenen das damals schon so ahnten oder gar wussten, wäre eine Frage gewesen, die ich hätte stellen können. Aus Polen, der Ukraine, baltischen Staaten, generell aus dem Gebiet, das später der „Ostblock“ wurde, kamen viele, die wegen der kommunistischen Herrschaft nicht wieder dorthin wollten. Es gab vor allem auch die überlebenden Juden, die in Trainingscamps auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurden, eines dieser Camps sogar nahe Weimar.

Wohltuend selbstverständlich die Rede vom massiven Antisemitismus in Polen, Ungarn und Rumänien, die ja nichts relativiert oder gar verkleinert, was in Deutschland geschah. Unvermeidlich natürlich der Hinweis auf den Missbrauch des DP-Status, den es gab, nicht zuletzt seitens Menschen, die direkt und persönlich an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Die UNO hat schon 1946 eine Resolution gegen Zwangsrepatriierung verabschiedet, von den zehn Millionen blieben am Ende dreieinhalb, die so oder so zu integrieren waren. Hoch interessant der Hinweis auf eine rigide Einwanderungsquotierung Australiens, das bestimmte, dass auf den Einwandererschiffen maximal 25 Prozent Juden sein sollten. Ein heimatgeschichtliches Buch aus Hessen aus dem Jahre 2012 fand Eingang in Susanne Urbans Einführungsrede, weil es die Beschlagnahme von 180 Häusern mit den Worten kommentierte: „... die Juden fühlten sich als Herren der Häuser...“. Schön, dass es Peinlichkeiten gibt, die sich nicht eilfertig nach Sachsen oder Rostock-Lichtenhagen delegieren lassen. Für Ausstellungsbesucher, die etwas nach Hause tragen wollen, gibt es zwei A-3-Blätter mit übersichtlich aufgearbeiteten Informationen, eine Zeitleiste und ein Glossar. Sehr zu empfehlen.


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