Home sweet home

Wenn ich in einem früheren Leben nach einem Urlaub von vier Wochen in Ungarn nach Gehren zurückkehrte, verabschiedete ich mich kurz nach Abstellen aller Gepäckstücke in der Talstraße 14 von meinen Eltern und eilte „in die Stadt“. Nie habe ich mir Gedanken über diese Formulierung gemacht. Der Gang entlang der Schlossmauer bis zur Einmündung der Johannesstraße in die Dimitroffstraße hatte die einfache Aufgabe, mich wieder anzumelden. Ich bin wieder da, alles ist noch da, wir passen zusammen. Bäcker Nippe bäckt noch, Hausmeister Drehmann wohnt noch. Käme ich heute, wäre die Schlossmauer weitgehend verschwunden, wo sie meinen Schulhof begrenzt hatte. Was sage ich, sie ist verschwunden, denn es ist ja ein Gedankenspiel.

Das Haus in Gehren, dem zuletzt immer das Etikett „Schandfleck“ zugeordnet wurde, ist auch verschwunden, beim Nachblättern der Zeitungen aus zweiwöchigem Urlaub sehe ich: Es ist ein Loch da, wo die Eltern meines Schulfreundes Peter ihre Bäckerei betrieben und später die nächsten Bäcker. Ganz rechts außen hinter Glas lagen die Mandelstreifen. Da, wohin aus der Friedensstraße unsere Kuchen getragen wurden, die gebacken werden mussten bei einem richtigen Bäcker, weil nur der einen Ofen für große runde Bleche hatte. Und während ich dies schreibe, weiß ich, unsere Kuchen waren immer deutlich kleiner. Wir waren nicht arm und hätten auch große Kuchen gekonnt. Nur mangelte es uns an der Sippschaft der echten alten Gehrener.

Wenn ich aus dem Urlaub nach Ilmenau heimkehre, melde ich mich nicht zurück. Ich bin älter als damals in Gehren mein Vater. Ich weiß, wie alles aussieht, ich weiß, dass meine Papier-Post vorsortiert auf dem großen Tisch im Arbeitszimmer liegt. Eine wohlmeinende Dame hat mir große Fotos mit dpi-Höchstwerten zukommen lassen, die den mail-Posteingang blockierten. Es fehlen mir alle mails aus sechs Tagen auf einer meiner Adressen, die Warnungen des Postfach-Servers haben mich nicht erreicht, Urlaub ist Urlaub.

Mein Tankwart hat meine Wochenend-Zeitungen aufgehoben und fragt, warum ich zu früh komme. Ich komme nicht zu früh, ich habe ihm nur ein falsches Rückkehrdatum gesagt. Sonst keine Klagen. Als ich den Altpapierhaufen zum Container trage, merke ich, es ist kälter als am Canale Grande. Ich singe nicht wie zur Zeit der Neuen Deutschen Welle: „Ich bin ja so verschossen in deine Ehec-Sprossen“. Ich suche nach Zeichen der Schadenfreude und finde keine. Sauereien aus Biohöfen haben keinen Sensationswert. Aber irgendwie wird sich schon herausstellen, dass es wieder die Massentierhaltung war oder der geplante Bahnhof in Stuttgart.

Wieder einmal ist mir das Ilmenauer Stadtfest durch die Lappen gegangen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es bedauere. Sehr wohl bin mir sicher, dass es nicht der letzte Verlust sein wird in diesem Leben. Wieder einmal ist mir der Mühlentag in Kleinhettstedt durch die Lappen gegangen. Senflos endet das Frühjahr dennoch nicht. Meine beiden Lieblingszeitungen haben meine Pressemitteilung vom 24. Mai erwartungsgemäß ignoriert. Die Welt ist in ihrer Ilmenauer Ordnung. Die Aufkleber kleben noch „Kiffen Kuscheln Kommunismus“. Die Metalltechnik steht immer noch zum Verkauf. Allein das Firmenschild an der Ratsteichstraße wäre ein Sammlerstück: 20 Jahre warb es mit der alten Ost-Postleitzahl.


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