Vier Tage wirken lange nach

Viermal hat Goethe in Ilmenau Geburtstag gefeiert, immer lagen, seltsamer Zufall, genau 18 Jahre dazwischen und 1831, als der 82. zu begehen war, wurde es ein ganz besonderer, der letzte in einem langen Leben.

ILMENAU. Was Goethe vielleicht ahnte, seine Enkel Walther und Wolfgang, die er mitgebracht hatte, aber auf keinen Fall. Und weil der letzte Geburtstag zugleich verbunden war mit der letzten Reise, die der Geheime Rat in seinem Leben unternahm, hat Ilmenau noch viele Jahre danach unerwarteten Image-Gewinn davon. Denn Sigrid Damm, in Gotha geborene Schriftstellerin, die am 7. Dezember ihren siebzigsten Geburtstag feiert, hat ein Buch mit dem Titel „Goethes letzte Reise“ geschrieben. Und dieses Buch der Autorin, die am 6. November 2005 in Weimar den erstmals verliehenen Thüringer Literaturpreis entgegennahm, ist ein Bestseller geworden.

Und weil das Buch ein Bestseller geworden ist, zuerst als Hardcover, dann als Taschenbuch, freuen sich nicht nur Verlag und Autorin, sondern eben auch alle, denen am Ruf Ilmenaus gelegen ist. Denn kein anderer Anlass in den vergangenen Jahren hat den Namen Ilmenau derart in buchstäblich allen namhaften gedruckten Medien, in Funk und Fernsehen bekannt gemacht oder wieder in Erinnerung gerufen, wie eben dieses als Insel-Taschenbuch 365 Seiten starke Werk. Dutzende Besprechungen fand es, Lob und Würdigung in nicht selten höchsten Tönen dominierten.

Wer es in die Hand nimmt, hat die Chance, nicht nur dem ganz alten Goethe sehr nahe zu kommen. Denn gebaut hat die Autorin ein Buch, in dem die letzte Reise, die vier Tage in Ilmenau, gewissermaßen die Rahmenerzählung darstellen. Eingeschlossen sind Schilderungen, die ausholen, die zurückgreifen, die Fragen aufwerfen und Vermutungen anstellen, stets aber ohne alle Gewaltsamkeit mit dem verbunden bleiben, was den letzten Ilmenau-Aufenthalt Goethes ausmacht. Man muss die Stileigentümlichkeit Sigrid Damms tolerieren, immer wieder syntaktisch unvollkommene Sätze zu schreiben, die oft wie Szenenbild-Stichworte für eine filmische Darstellung wirken.

Man muss damit umgehen können, dass nicht alle gestellten Fragen auch beantwortet werden. Sie regen den Leser fast immer an zu eigenem Spekulieren, selten lassen sie ihn einfach nur allein. Und natürlich kommen auch alle früheren Ilmenau-Aufenthalte Goethes, kommen sein Wirken in Finanzangelegenheiten der Exklave Amt Ilmenau, sein jahrelanger Kampf um den Bergbau hier ausreichend breit zu Wort. Bis zur kritischen Konsequenz: Sigrid Damm verschweigt nicht, dass Goethe noch seine kleinsten Auslagen im Kampf um die Rettung des Bergbaus erstattet bekam, während alle Anteileigner ihr Geld einfach nur in den Sand gesetzt hatten.

Ein wenig hat Ilmenau das höchst empfehlenswerte Buch inzwischen sogar schon überholt. Denn die „Alte Försterei“, bei Sigrid Damm noch „in einem erbarmungswürdigen Zustand; bröckelnder Putz“, ist jetzt sicher das schönste Gebäude in Ilmenau, das das Schild trägt: „Hier wohnte Goethe“. Nicht korrigieren kann Ilmenau eine andere Aussage: die nämlich, dass der ehemalige „Sächsische Hof“ an der Ecke Schwanitzstraße zur Fußgängerzone heute das Haus der Stadtapotheke sei. Goethes letzte sechs Tage lange Reise war übrigens seine erste nach acht Jahren Reiseabstinenz. Dass ihr Ziel Ilmenau hieß, wen freut es nicht heute noch?

*Zuerst veröffentlicht: Thüringer Allgemeine, Ausgabe Ilmenau, 28. August 2010


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