Euro-Goethe

Uns lässt in Ilmenau, wie könnte es anders sein, Goethe einfach nicht los. Seit die Sanierung des Amtshauses in die praktische Phase getreten ist, ist Goethe ein Umsiedler. Er hockt auf einer anderen Bank als früher und ob er, als er noch leibhaftig hier einherstakste, je auf einer Markt-Bank saß, fällt eher unter die heimatgeschichtlichen Spekulationen als unter die Hauptaufgaben der neueren Goetheforschung.
 
Selbige befasst sich, weil es einfach noch viel zu wenige Goethe-Ausgaben in gedruckter Form gibt, unter anderem mit der Herstellung einer historisch-kritischen Ausgabe. Solche Projekte laufen meist so lange, dass die ersten Bearbeiter selbst schon in den endgültigen horizontalen Ruhestand getreten sind und dann wird der hinreichend bekannte Staffelstab weiter gereicht und in gewissen Abständen erfährt die geneigte Öffentlichkeit von einem neuen Band.
 
Jetzt ist gerade der Band mit den Tagebüchern der Jahre 1813 bis 1816 erschienen, 1252 Seiten stark, käuflich zu erwerben zum bescheidenen Preise von 189,90 Euro. Man muss kein Orakel befragen um zu wissen, dass der Umsatz des herausgebenden Verlages da wohl eher bescheiden sein wird, denn nicht einmal Bibliotheken sind ohne weiteres geneigt, solche Anschaffungen zu tätigen.
 
Ich selbst werfe gewissermaßen in Nebenwirkung solcher Informationen immer wieder einmal einen Blick auf meine zwölfbändige Ausgabe, die einst für sechzig Mark der DDR in Ganzleinen ohne Schutzumschlag zu haben war. Sie enthält vieles nicht, Tagebücher zum Beispiel. Sie verzichtet auch auf Goethes Peinlichkeiten zur Französischen Revolution, von anderen Peinlichkeiten  nicht zu reden. Dennoch ist in den Bänden eine Menge zu lesen.
 
In der historisch-kritischen Ausgabe ist selbstredend nicht nur mehr zu lesen, sondern irgendwann alles, was es überhaupt von ihm gibt. Und wenn er nicht in gewissen Abständen als Freund der Dokumentenvernichtung in eigener Sache aktiv geworden wäre, dann wäre noch mehr zu erwarten. Ob die Freude größer wäre, sei dahingestellt. Ohnehin haben wir damit zu leben, dass Goethe nun lange nach seinem Tod im Haus am Frauenplan im März 1832 noch einsamer geworden ist, als es einem ordentlichen Genie zusteht von Amts wegen.
 
Schiller, der neben ihm lag in der Fürstengruft, war gar nicht Schiller. Und der Totenkopf, den Goethe mit wohl höchst seltsamen Gefühlen nach noch seltsamerem Entschluss in seiner Hand wog wie weiland Hamlet in klassischer Geste, war folglich auch nicht Schillers Schädel. Dumm gelaufen, könnte man meinen. Aber der Kopf auf dem Ilmenauer Bank-Goethe ist ja auch nicht der Goethe, den wir alle kennen.
 
Wir werden auch in diesem Jahr wieder, wenn die zum Kickelhahnfest gehörende Regenperiode einsetzt, an den Alten denken. Weil er Geburtstag hat. Bis dahin aber wenden wir uns wichtigeren Dingen zu, zum Beispiel uns selbst.
 Zuerst in: Ullrich's Ecke, 14. Juni 2008


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