Reto Flückiger schlägt zu

Das war's nun endgültig. Kein Tatort mehr aus Luzern, die Schweizer wollen ihre Leib-und-Leben-Spezialisten hinfort in Zürich agieren lassen. Neue Namen, neue Gesichter. Schon jetzt wird geunkt, man könne mit einer Folge im Jahr kein neues Team etablieren. Aber schon 2021 soll es wieder zwei Folgen geben. Dem Saarland ging es stets schlechter. Es gibt einfach zu viele Journalisten, die mit dem Schreiben über Tatorte und Polizeirufe Geld verdienen und ihr Profil schärfen, es ist fast wie im Fußball, wo aus noch weniger noch mehr geblasen und gebläht wird. Mich verbindet mit Zürich weniger als mit Luzern, aber Ludwigshafen ist mir auch nicht näher. Ich bin längst so alt, dass der ARD-Sonntag-Abend Ritual ist, wir verkraften auch schwächere Folgen. Und irgendwelche supertollen Netflix- oder Sonstwie-Serien, die alles immer schon lange viel besser machen, machen mich weder neugierig noch sonst was. Mir ist es schlicht wurscht, zumal mir auch die subtileren Formen des US-amerikanischen Kultur-Imperialismus seit 1945, der uns in Süchtige zu wandeln sucht Generation für Generation, unabhängig von aller politischen Präferenz, nicht voran helfen.

Seit 2012, als der Luzern-Tatort verspätet erstmals zur Ausstrahlung kam, fremdelt die deutsche Kritik mit ihm. Ich fand ihn nie so schlimm, wie er gemacht wurde, selten so toll, dass ich atemlos im Fernsehsessel klebte. Tatort ist Hausmannskost, alle Experimente, zuletzt eben wieder Tukur, erfrischen intellektuelle Feinschmecker mit Assoziationsfilter, nicht aber Ottilie-Normalverbraucher und ihren Gatten. Der Sandmann muss Sand streuen, wenn er geht und nicht zur Abwechslung mit einem Greta-Thunberg-Plakat winken. An den Tatorten aller Siedlungsgebiete nervt mich seit langem, dass Täter und Täterinnen auf der Flucht prinzipiell schneller sind als die verfolgenden Polizisten. Dagegen will mir ein klischeehaftes Pseudo-Journalisten-Duo nicht wirklich ärgerlich erscheinen. Am Phänomen hat sich ja allenfalls das Medium geändert: bei Böll wurde die verlorene Ehre von einem Print-Journalisten verletzt, jetzt sind es diese Draufhalter mit ihren Hand-Kameras. Wundersam erschien mir gestern allenfalls, was für fantastische Massen zu einer Pressekonferenz im wahrhaft nicht großen Luzern auflaufen, gar eine leibhaftige Chefredakteurin, die im wirklichen Leben selbst dann kaum erschiene, wenn sie persönlich involviert wäre. Ist das in der Schweiz so?

Es gibt namhafte Kritiker, die nicht in der Lage sind, das Geschoss einer Signalpistole von einer Leuchtrakete zu unterscheiden. Disqualifiziert sie das im Nebeneffekt hinsichtlich all ihrer anderen Aussagen? Natürlich nur teilweise, weil sie ausgleichend eben über den speziellen postmodernen Assoziationsfilter verfügen, der ihnen sofort sagt, aus welchem Film welche Anspielung genommen ist. Der finale Dialog zwischen Stefan Gubser und Delia Mayer auf dem Boot etwa hat etwas von netter Pointe auch für die, denen nicht gleich der gute alte Austro-Amerikaner Billy Wilder einfällt: „Schade, dass du ein Mann bist!“ - „Nobody's perfect!“ Die lesbische Seite von Liz Richard kam ja erst spät ins Handlungsgeflecht der Luzern-Tatorte, schwul hatten wir schon andernorts und irgendwann wird auch der erste Transmann aus dem Betrugsdezernat in die Mordkommission wechseln. Wir werden es überleben. Der Chef Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) glich von Beginn an und fast durchgehend mit selten positiven Ausrutschern einem simplen Rollen-Klischee, in Folge 17 geriet er beinahe noch selbst unter Verdacht, wir hatten das eben gerade mit Senta Bergers Abschiedsfall, da war es mehr als nur ein Verdacht, der Chef war führender Mittäter.

Gestern also starb zuerst der Kapitän des Raddampfers „Unterwalden“ vor Schreck, dann der Provokateur Bernhard Ineichen (Martin Hug), weil er den Täter sah, der zu dem Zeitpunkt noch fast nichts getan hatte. Reto Flückiger ist Zeuge des Geschehens, Retter der Gäste vor einer drohenden Rauch- und/oder Kohlenmonoxid-Vergiftung. Zweimal wird ihm aufs Haupt geschlagen, zweimal ist es, was man bald ahnt, der Christian Streuli (Aaron Hitz), dem die Bösen sein erfolgreiches Restaurant entrissen. Die Bösen sehen im Tatort 17 aus Luzern alle böse aus, unter den Journalisten ist niemand, der auch nur einen Funken Sympathie wecken könnte. Verschwörungstheorie hin, Verschwörungstheorie her, Journalismus erscheint als Herdenphänomen. Wenn die „Veritas News“ sofort einen Terroranschlag unterstellen, dann ist das näher an der Realität, als sich in ihrer Gruppen-Identität angegriffen fühlende Journalisten freiwillig zugeben mögen. Zu oft hören wir auch in seriösen Hauptnachrichten den Satz, es werde in alle Richtungen ermittelt, als indirekten Beweis dafür. Einer sagt: „Wenn die Mehrheit etwas richtig findet, ist das automatisch ein Fakt.“

Auch die Systemfrage wird gestellt im Abschied aus Luzern mit dem halbwegs seltsamen Titel „Der Elefant im Raum“, wobei der Raum kein Porzellanladen ist. Einmal schlägt Reto Flückiger dem News-Mann Frédéric Roux (Fabian Krüger) in die Visage. Der als Aushilfskellner während der Jahrfeier der Luzerner IHL (so etwas wie eine IHK bei uns??) sein Hass-Objekt Planker Senior (Andrea Zogg) bedienende Streuli agiert in Netz als maskierter Nero, wird nach einer verrückten Aktion von Assistentin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) enttarnt, sie platziert bei dem News-Typen einen „Keylogger“, von dem ich nicht wusste, dass der so heißt. Man beliest sich. Das bringt Flückiger selbst in Gefahr und unter die Schweinemaske und es fallen Sätze wie „Unser Land ist in der Hand einer unfassbar gierigen Elite.“ Wir ahnen, dass damit kein Alleinstellungsmerkmal der schweizerischen Eidgenossenschaft formuliert ist. Es fällt auch ein Satz wie: „Es braucht ein Zeichen und zwar eins, das alle sehen.“ Zeichen sind wichtiger als Taten, denn sie werden von Fotografen belichtet, von Kameraleuten gefilmt und je mehr Aufwand vorher getrieben wird, umso wahrscheinlich sind Druck und/oder Ausstrahlung. Der Rest darf dann bleiben, wie er ist. Zweimal sah man im Luzern-Finale noch die Kapellbrücke, und Flückiger schwindet im Boot, wie er kam.


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