Dürrenmatt. Play Strindberg

Wie wird wohl Dürrenmatt, falls es überhaupt vor seine Augen oder Ohren kam und er es nicht ignorierte, reagiert haben? Ein Professor, der drei von sieben Seiten Anlauf braucht, ehe er zum Thema kommt und dann, wo es ans Faktische geht, schlampt, dass sich die Balken biegen, wird so ein Professor von seinem wissenschaftlichen Gegenstand, dem Autor Friedrich Dürrenmatt, auch nur ansatzweise ernst genommen? Der fragliche Professor ist Jan Knopf, in Arnstadt geboren anno 1944, als Brecht-Experte vor allem namhaft, aber auch zu Dürrenmatt mehrfach in Erscheinung getreten. Er verwandelt den Kurt in Strindbergs „Totentanz“ wie auch in Dürrenmatts „Play Strindberg“ in einen Quartiermeister, obwohl er doch für jedermann leicht nachlesbar bei beiden Autoren Quarantänemeister ist. Dürrenmatt ist längst tot, Knopf schreibt noch, und in den Verlagen sind heute viel weniger Lektoren, viel weniger Korrektoren aktiv, denen sachlicher Pfusch noch auffallen könnte. Damals nannte der Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin seinen Lektor sogar noch namentlich: Bernd Müller.

Vielleicht hätte es geholfen, wenn Knopf seinen Blick nicht auf die 68er Standardfeindbilder des Bürgerlichen gerichtet hätte, dann wäre ihm auch ein Satz mit „Die Adenauerzeit propagierte...“ nicht unterlaufen. Zeiten propagieren niemals nirgends irgendetwas, spätestens seit Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ ist generell Vorsicht angesagt bei Aussagen, wer wann was tat oder bewirkte. Das böse Wort vom „Minderdichter“ (nicht gegen Dürrenmatt gewendet) wirkt auf seinen Nutzer zurück, wenn er so agiert. Mit Blick auf die Premiere von „Play Strindberg“ am 8. Februar 1969 in Basel schreibt Knopf: „... fand große Beachtung durch die Kritik“, was belegt wird mit einer  einzigen Besprechung im Märzheft von THEATER HEUTE. So verfällt der Autor in genau den Fehler, den er der Vertretern seiner Zunft ankreidet, wenn auch vielleicht auf einer etwas höheren Ebene. Denn die Philologen, die Stücke kritisieren und interpretieren, ohne von den Theateraufführungen auch nur Notiz zu nehmen, sind kaum weniger realitätsfremd als der besserwissende Professor, der in einem Fachblatt mit einer Wochen später erscheinenden Kenner-Kritik die Stimme der Kritik zu hören vermeint.

Es sei. Hier soll, weil der Strindberg-Todestag (vgl. „August Strindberg, alter Schwede“, am 14. Mai unter JAHRESTAGE) den Pfad legte zu dem Mann, der unter Verdacht steht, Strindberg wieder spielbar gemacht zu haben, eben Friedrich Dürrenmatt, ein Blick auf jenes Spiel geworfen werden, dessen Druckfassúng im Verlag der Arche in Zürich 1969 ganze 67 Seiten umfasste. Die Figuren sind da, drei insgesamt nur bei Dürrenmatt von den sechsen, die August Strindberg in seinem Inselturm agieren ließ. Und man muss kein doppeltes Masterstudium absolviert haben, um auf den Gedanken zu verfallen, dass Dürrenmatt mit seinem Text unweigerlich die Kenntnis des „Originals“ voraussetzt, das er nur arrangiert zu haben vorgibt. In dem „Bericht“ genannten Nachsatz zum Stücktext dekretiert Dürrenmatt: „Die üblichen Strindberg-Bearbeitungen durch Striche, Umstellungen, Textveränderungen und Textergänzungen verfälschen Strindberg,  ... Eine Umarbeitung kommt mir ehrlicher vor.“

1951, drei Jahre, nachdem Dürrenmatt den „Totentanz“ erstmals auf einer Bühne sah, notierte er im Zusammenhang mit Schillers „Räubern“: „Man erschrickt nicht bei Klassikern. Man klatscht.“ Das hat er knapp zwanzig Jahre später hinter sich gelassen. Jetzt arrangiert er sich seine Klassiker. Und es ist gut, wenn man seine Aussagen dazu tatsächlich erst nach dem Stück selbst zur Kenntnis nimmt. Wie einen Profi-Boxkampf hat er das Spiel in zwölf Runden geteilt, er lässt auch nach jeder Runde den Gong ertönen. Womit klar sein soll, dass die Akteure, die den Ring besteigen, den er als Bühnenbildschema im Buch rund gezeichnet hat, einander innerhalb des Rings bis zum anvisierten Niederschlag bekämpfen. Was über ihr Verhältnis außerhalb nicht zwingend viel aussagt. Der Titel selbst verweist nicht auf eine Story, sondern auf den Namen. Doch es bleibt zweifelhaft, ob am Ende der Zuschauer bemerkt, dass er keine Ehetragödie, sondern, wie Dürrenmatt es möchte, eine Komödie über Ehetragödien erlebt hat.

Der gute alte Brecht-Ansatz, man müsse im Theater die Illusion zerstören, hat nicht nur selbst dicke Patina angesetzt, er war bei seiner Geburt schon dünnbrüstig. Schon das analphabetische Publikum vorlessingscher Wanderbühnen erlebte neben der Spielszene stehende Darsteller, die auf ihren Einsatz warteten und sah, dass da natürlich kein Bär stand, sondern ein Mann mit Bärenmaske, der sich am Hintern kratzte, während sich ein Teil der Truppe vorn fetzte. Jener Anteil Illusion, als ob da auf einer Bühne ein Spiel, wie reduziert auch immer, statthabe, mit Anfang, Mitte und Ende, wobei immer offen sein kann, was offen sein mag oder soll, ohne den geht es  nicht auf Bühnen. Wer anderes behauptet oder in den Rang von Theorie hebelt, sollte das Wachstum seiner Nase im Auge behalten und an den einschlägigen Pinocchio denken.

In den zwölf Dürrenmatt-Runden mit Edgar, Alice und Kurt geht es um Ehe, Edgar und Alice stehen kurz vor der Silberhochzeit. Edgar spricht Strindberg:  „Auch eine glückliche Ehe ist ein Schlamassel. Die Ehe ist überhaupt ein Schlamassel.“ Edgar bleibt dabei: „Ich wollte sie öfters ermorden. Eine jede Ehe züchtet Mordgedanken.“ Über solche Sätze lacht man anständigerweise, denn tatsächliche Gattenmörder reden natürlich genau so nicht. Was einst Strindberg antrieb, hat nun nur noch Comedy-Werte, mag es 1969 auch noch keine Comedy im heutigen Sinne gegeben haben. „Die Kunst des Dramatikers besteht darin, das Publikum erst nachträglich zum Nachdenken zu bringen.“ Sagt Dürrenmatt 1959. Und führt uns zehn Jahre danach mit „Play Strindberg“ ein Spiel vor, bei dem wir nicht sofort Sicherheit gewinnen, worüber wir denn nun nachdenken sollen, anschließend. Es könnte sein, dass der Intertextualist in uns angesprochen ist, während uns der gesellschaftliche Kausalnexus, um auch den einmal erwähnt zu haben, kalt an unseren rückwärtigen Ballungen vorbeigeht. Dann lesen wir einen Dialog wie: E: „Früher waren wir manchmal ganz glücklich, wenn wir Besuch hatten.“ A: „Nur der Besuch war froh, wenn er wieder gehen konnte.“, als habe Friedrich Dürrenmatt das Motto von „Wer hat Angst vor Viginia Woolf?“ zu entwerfen gehabt. Dann lesen wir „Unsere Ehe ist ein einziges Gemetzel“ wie einen Vorgriff auf Yasmina Reza. Und „ ... wer sich so ums Vaterland verdient gemacht hat wie der Oberst, dem können nicht alle Kassen stimmen, das wäre übermenschlich“ wie die Grundlegung der CDU-Spendenaffäre mit Kanzler der Einheit.

Alles natürlich falsch, alles natürlich an den Haaren einer Glatze herbeigezogen. Dürrenmatt will das Schauspielerstück in ein Stück für Schauspieler gewandelt haben. Da müsste man beide synchron sehen und dann erstaunt feststellen: Der Unterschied sieht aus wie des Kaisers neue Kleider. Der Kaiser paradiert mit frei baumelndem Pimmel, kein Kind muss eigens rufen und die Alten beschämen. Doch: Verglichen mit dem unarrangierten Original des alten Schweden erspart uns der Schweizer arge Längen und wenn er ganz am Ende die gute Alice sagen lässt: „Edgar ist ein totaler Mensch gewesen.“, während Edgar Laute von sich gibt, denn tot ist er nicht, dann stellt uns das direkt an den Abgrund, verordnet uns einen therapeutischen Blick hinab. Wir fühlen mit Edgar: „... die Wirklichkeit ist entsetzlich“. Und wissen mit Dürrenmatt: Die Wirklichkeit wird sich dessen nicht schämen.


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