Ossi go home

Stockenmatt, das zu Stalden gehört, das wiederum zu Sarnen gehört, liegt also im Kanton Obwalden, der ein Halbkanton des Kantons Unterwalden ist, dessen andere Hälfte auf den Namen Nidwalden hört. Sarnen hatte dazumal 7300 Einwohner, konnte sich demnach mit Stadtilm in dessen besseren Zeiten durchaus messen, nur hat es Stadtilm nie zur Hauptstadt gebracht trotz seines ruhmreichen Marktplatzes. In Sarnen liegt dafür das „weiße Buch“ oder es stammt von da, jedenfalls ist es so etwas wie eine Ur-Urkunde für die Schweiz, andere Ur-Urkunden liegen in Schwyz, wo ich auch war, einmal umsonst und einmal tatsächlich an den Vitrinen, das aber wäre wieder eine andere Geschichte.

Stockenmatt also, weit oben, mit herrlichem Blick. Man kann, wenn man gerade da ist und wir waren gerade da, am Nationalfeiertag der Schweizer, überall Feuer beobachten zu später Stunde. An ein Feuer sind wir sogar herangefahren bis zu einer Stelle, wo es nicht mehr weiter ging und die dort stehenden friedlichen Schweizer Soldaten eher abweisende Mienen zeigten. Die Schweizer haben ihre neutrale Militärausrüstung zu Hause im Schlafzimmerschrank stehen und wenn das Vaterland in Form eines Aushanges im Gemeindeschaukasten ruft, dann folgt der Schweizer und schießt ein wenig. Das bringt im Nebeneffekt noch Übung für die vielen Jäger, die, wenn die Jagdsaison eröffnet wird, so wild jagen, dass überall Warnungen ausgehängt werden, man möge vorsichtig sein. Der erste Jagdtag in der Schweiz scheint so etwas zu sein wie der erste Sex nach einem Jahr Enthaltsamkeit. Touristen in waldreichen Gegenden sei eine laue Nacht gewünscht, in der man mit dem wunderbaren Schweizer Wein, der ebenfalls eine weitere Geschichte wäre, lange aushalten kann, denn Schlaf fällt aus, es wird geschossen.

Stockenmatt also bescherte uns eine sehr hübsche Wohnung mit Seeblick, wir sahen und hörten das glückliche Schweizer Rind, dessen Hals eine Glocke ziert und das entweder alles abweidet, was in Maulnähe kommt oder aber in seiner Futterraufe findet, was der Bauer an Hängen, die bei uns nicht einmal eine Gämse erklimmen würde, eigenhändig abmäht. In der Schweiz muss die EU, die freilich ohnehin nicht für die Schweiz zuständig ist, keine Programme auflegen, damit irgendeiner sich findet, der mal eine Waldwiese mäht. Man muss nicht lange nachdenken, warum es den Schweizern eher besser als schlechter geht, wenn man sieht, wie sie jede Fläche nutzen. Und sie grüßen freundlich, als ob alle Dörfler wären.

Hinter unserem Haus stieg eine Wiese bergan, auf der natürlich auch glückliche Schweizer Kühe mit glückskündenden Glocken standen. Während wir Höhenmeter knackten und dabei darauf achteten, die Haufen zu meiden, die den Kühen hinten raus platschen, wenn sie vorne ordentlich gemalmt haben, sahen uns die Kühe wohlwollend zu. Ein Mann, der wirkte, als hätte er schon unter General Bourbaki die Schweizer Grenze übertreten, sprach uns an, vermutlich, weil er uns etwas im Zusammenhang mit den Eigentumsverhältnissen der Wiese erklären wollte, die wir zu überqueren im Begriff waren. Wir nickten tapfer und sagten Unzusammenhängendes, wozu er tapfer nickte. Am Ende hatten wir uns nicht verstanden.

Wenn wir auf unserem Balkon standen oder saßen, meist saßen wir und tranken Wein, siehe oben, hörten wir auf einem Balkon unter uns einen Menschen in vertraut klingender Diktion Telefongespräche führen. Wenn er nicht telefonierte, gab er klare Anweisungen an Gattin und Sohn. Der Sohn hatte die Physiognomie eines feisten Pickelherings, aus dem sich in den Folgejahren ein Kandidat für Sexualdelikte entwickelt, in Filmen jedenfalls sehen sie so aus. Und die Gattin, nun ja. Bei der Wahl zu Miss Stockenmatt hätte sie unter vierzehn Bewerberinnen den undankbaren Platz sechzehn belegt. Dieses dynamische Trio war uns am Ankunftstag aufgefallen, weil sie von ihrem Parkplatz zu unserem Parkplatz schnürend sich zu unserem Kennzeichen gebückt hatten.

Sie verwickelten uns in ein Gespräch des Inhaltes, dass es ja schön sei, dass auch wir aus dem Osten jetzt mal in die Schweiz fahren dürften, obwohl das in der Schweiz ja alles sehr teuer sei und folgerichtig nicht wirklich für die Zonenbürger erschaffen. Sie seien, ließen sie uns wissen, ja selbst einmal DDR-Bürger gewesen vor Hunderten von Jahren, dann aber hätten sie dieses wirklich schreckliche Gebilde verlassen, weil man es da ja nicht hätte aushalten können. Das Interesse an unserem Kennzeichen fand eine einfache Erklärung. Die Sippe stammte aus Vorderfern* am Straßenrand zwischen Schmiedefeld und Schleusingen und, nun ja, sie war 1988 ausgereist unter Zurücklassung allen Habes und Gutes. Es wäre ja so toll gewesen, da endlich rauszukommen.

Wir erkundigten uns teilnahmsvoll nach den Daten ihrer Weltkarriere in den zurückliegenden Jahren auf freiheitlichem Boden, sie ergingen sich in Andeutungen über wunderbare Fügungen und so war der feste Untergrund für tägliche Grußtausche gegeben. Bis die Woche sich neigte und man uns fragte, ob wir denn wohl nun wieder nach Hause fahren würden. Wir verneinten wahrheitsgemäß und sagten, dass wir noch zwei weitere Wochen bleiben würden, was zu einer gewissen Starrheit in den Mienen der Ex-Vorderferner führte. Am nächsten Morgen lasen wir auf der Heckscheibe unseres weinroten Peugeot 306 ein Zettelchen mit der Kugelschreiberbotschaft: Ossi go home. Wir verzichteten auf den anempfohlenen Home-Gang, denn mindestens die Peugeot-Werkstatt nahebei sollte noch von uns profitieren, der wir unseren zerstörten Scheinwerfer anvertrauten gegen ein geringes Entgelt von 300 Schweizer Franken.

* Name von der Redaktion geändert


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