Reto Flückiger bei Dani Levy
Ausgerechnet der Schweizer Tatort (Nummer 4 der neuen Ära), den meine TV Spielfilm zum Tipp des Tages ernannte, ist der Qualität nicht gerecht geworden, die fast immer mit diesem meist sehr treffend vergebenen Prädikat verbunden werden kann. Vielleicht war der Vorschusslorbeer ja die Form der Abbitte für die teilweise absurden Behauptungen veröffentlichter Kritik zu den drei Vorgängern. Der hoch gelobte Dani Levy hat einen normalen, einen nur leidlich spannenden Tatort aus Luzern gedreht, der diesmal auch wieder in Luzern spielt. Zur Fasnacht, die dort etwas anders ist als bei uns, die Maskierungen sind grusliger, scheint mir auf den ersten Blick, wird vor den Augen eines sehr jungen Mann jemand erstochen. Der Mordzeuge ist so erschüttert, dass er nicht reden kann. Das Opfer kommt frisch aus einem Hotelzimmer, in dem er gemeinsam mit einem zweiten Mann einer Prostituierten ziemlich viel Gewalt angetan hat. Der Ermordete ist Bauausschuss-Vorsitzender in Luzern und mit Vergaben befasst und er hat die Prostituierte mit viel Geld bestochen und auch die Dame an der Hotelrezeption dezent unter Druck gesetzt.
Stefan Gubser alias Reto Flückiger ist diesmal auf der Flucht vor dem allgegenwärtigen Radau, er scheint eher ein Faschingsmuffel zu sein. Delia Meyer alias Liz Ritschard ist in eine sich anbahnende lesbische Sexszene verwickelt, als das unvermeidliche Diensthandy klingelt. Natürlich ist die erste Spur falsch und die zweite auch, sonst wäre der Krimi ja rasch zu Ende. Weder liefern die Verdachtsmomente aus der Sexorgie noch die aus dem Beziehungsgeflecht von Bauunternehmern und Amtsträgern das Motiv. Dafür sehen wir einen Chef der Abteilung Leib und Leben im saulustigen Kostüm eines Sträflings, wir sehen lustlose und wild durcheinander brüllende Polizistenmassen im Beratungsraum und langsam wird eine Zunft immer wichtiger mit männerbündlerischen Bräuchen, die „Zunft der Wächter am Pilatus“. Es gibt einen gigantischen Kostümfundus, Waffen, die durchaus gefährlich werden können, inklusive. Mit einem Dolch wird auch das zweite Opfer erstochen, die beiden Polizisten kommen gerade dazu.
Während Flückiger den als Harlekin mordenden Täter, der dann auch als E.T. auftritt und ihn direkt mit Namen anspricht, über die Dächer verfolgt, stirbt das zweite Opfer unter den helfen wollenden Händen der Liz Ritschard. Beide Ermittler sind fortan noch verstörter, noch unrasierter, noch müder als von Beginn. Recht bald sieht man den Täter die Maske abnehmen, er hat ein geheimes Reich unter einem sehr großen Hotel. Was ihn treibt, enthüllt der Film nicht allmählich, sondern auf einen Ruck. Und man sieht das Enthüllte in Rückblenden. Also das ist arg bieder gefilmt. Dieser Täter ist von seinen Zunftbrüdern in einer entscheidenden Situation im Stich gelassen worden, weil er einen drogensüchtigen Sohn hatte und damit einer kranken Familie angehörte. Die Brüder schlossen ihn aus der Zunft gar aus. Später hängt sich der abhängige Sohn im Gefängnis auf, wird aber mit bleibendem Hirnschaden gerettet.
Was nicht in die bisherige Legende von Kommissar Flückiger passt, der ja in der ersten Folge frisch aus dem Thurgau kam: er hat den süchtigen Sohn ins Gefängnis gebracht und damit ungewollt die Tragödie des Mörders verschärft. Es sind erstaunlich viele Beteiligte in diesem Fall mit leichten bis mittleren Schüsselrissen ausgestattet, der Täter wird am Ende auf dem Dach vom Hotel „Schweizerhof“ erschossen. Der Sohn aber, den er rächen wollte, spielt zum Schluss mit Flückiger Karten, ehe der Abspann anläuft. Viel zu viele Fäden werden nicht fortgesponnen in diesem Film, der vielleicht gerade deshalb überfrachtet wirkt. Es muss am Buch liegen von Petra Lüschow, dass auch Regie und Kamera überfrachten. Das Polizistenregiment, das zum Einsatz kommt, erzwingt eine lange Besetzungsliste. Man könnte die böse Vermutung haben, dass bei nur einem einzigen Schweizer Tatort pro Jahr alle mitspielen müssen, die es gibt im Zugriff der dortigen Fernsehens. Es muss ja nicht gleich ein Kammerspiel sein, aber weniger wäre mehr gewesen. Den fünften Schweizer Tatort wünsche ich mir mit weniger Aufstrich auf dem Brot.