O'Neill: Eines langen Tages Reise in die Nacht, Landestheater Eisenach

Das Stück ist etwas älter als Landolf Scherzer, erblickte das Bühnenlicht der Welt aber mit deutlicher Verzögerung. Eugene O'Neill hatte verfügt, es dürfe erst 25 Jahre nach seinem Tode gespielt werden. Seine dritte Frau Carlotta aber als Witwe setzte sich in diesem Punkt über seinen letzten Willen hinweg, sodass die Welturaufführung am „Dramaten“ in Stockholm am 11. Februar 1956 stattfinden konnte, wohin sie testamentarisch in der Tat vergeben war. O'Neill starb im Alter von 65 Jahren am 27. November 1953. Das umfängliche Stück, in meiner Ausgabe stolze 162 Druckseiten umfassend, spielt an einem Augusttag des Jahres 1912 von morgens 8.30 Uhr bis Mitternacht im Sommerhaus der Familie Tyrone und hat nur fünf Personen.

Ein Mann, eine Frau, zwei Söhne, ein Hausmädchen, wer den Stücktext zur Hand nimmt, sieht mit Erstaunen die extreme Ausführlichkeit, mit der der Nobelpreisträger von 1936 die Szenerie des ersten Aktes beschreibt. Kein Ausstatter wird heute auch nur eine Sekunde darüber nachdenken, ob er diesen Regieanweisungen folgt. Nicht nur der Regisseur würde ihn für wunderlich halten. Auch das Interesse an den biographischen Bezügen darf heute verlustarm vernachlässigt werden, wenngleich eine Seite des Schauspiels natürlich die eines familiengeschichtlichen Schlüsseltextes ist. Das Junge Schauspiel Eisenach, Regie Peter Bernhardt, Dramaturgie der Intendant Ansgar Haag, hat eine klare Entscheidung getroffen. Es lässt das zeitlos starke Stück ein zeitlos starkes Stück sein. Die Zuschauer der Meininger Premiere, die Eisenacher war bereits am 17. September, saßen nur ganz kurz dem eigenen Irrtum auf, hier werde auf Börsenkräche und Ärztepfusch angespielt. Es wurde gespielt, nicht angespielt. Und Zuschauern, die in der Pause erst nachfragen mussten, was denn eigentlich Schwindsucht sei, wäre auch andernfalls kaum zu helfen gewesen.

Die Bühne in den Kammerspielen (Monika Maria Cleres) ist ein erhöhtes Podest mit weißen Rattanmöbeln, man sieht vorn Regale mit Büchern, auch auf der Spielfläche nicht wenige Bücher, von oben hängt ein Leuchter, unterm Tisch stehen leere Whisky-Flaschen und hinter den Büchern befindet sich der stille Vorrat solcher Flaschen, die eine Hauptrolle im Leben der Familie spielen, auch das Dienstmädchen Cathleen (Sophie Pompe) ist mit von der Partie, wenn es ans Gläserheben geht. Die Story ist eigentlich keine. Es sind nur Dialoge zwischen zwei Brüdern, einem Vater, einer Mutter. Deren Besonderheit darin besteht, dass sie sagend verschweigen und zugleich verschweigend alles verraten. Rücksichtnahme und Rücksichtslosigkeit gehen nahtlos ineinander über, Beschwichtigung wird Hass, Hass wird Panik und immer hilft Whisky, Whisky, Whisky. Man wird vom Zuschauen wirr und wagt sich nicht vorzustellen, dass das im Leben solcher Alkoholiker exakt so zugeht. Sie liebten und sie schlugen sich, hieß einmal ein berühmter Filmtitel. Die Hölle sind immer die anderen, ein Kernsatz eines ebenfalls sehr berühmten Dramas. Hier, bei O'Neill, ist auch jeder sich selbst die Hölle.

Regisseur Peter Bernhardt spielt die Rolle des Vaters, des alt gewordenen Tourneeschauspielers, den sein Dienstmädchen noch immer sehr stattlich findet, der in Grundstücken spekuliert, Angst vor dem Armenhaus hat und unendlich geizig ist. Und der natürlich ein echter irischer Säufer ist. Nach der Pause legt er sehr deutlich zu. Elke Hartmann ist seine Frau Mary, sie steht eigentlich im Mittelpunkt, sie ist morphiumsüchtig, sie kann nicht heraus aus ihrer Sucht, sie belügt sich und sie sieht sich klar, sie will retten, was zu retten ist und sie provoziert, dass die Wahrheit doch Wort wird und verbale Aggression. Elke Hartmann macht das von Beginn bis zum Schluss ohne jede Durststrecke zum Erlebnis, sie ist von einem zum anderen Moment völlig anders, ihre Tonlage wird anders, ihr Gesicht zeigt die Wechsel und Wandlungen, als wäre die Kamera für eine Großaufnahme auf sie gerichtet.

Wolfgang Reicher (Jamie) und Alexander Beisel (Edmund) haben es da schwerer. Der ältere Bruder ist auch Schauspieler, auch Säufer, während der jüngere Edmund Gedichte schreibt und hustet. Er hat die Schwindsucht, er verlässt am Ende mit dem Koffer in der Hand die Familie. Die Inszenierung hält das Publikum in Atem, phasenweise ist es buchstäblich totenstill, selbst der Lederhosenmann, der offenbar Meininger Premieren primär zum Zwecke des Zwischenlachens besucht, muckt nicht auf seinem Platz. Als Elke Hartmann, die lange Tagesreise in die Nacht hat den finalen Akt erreicht, in ihrem Hochzeitskleid erscheint, das nicht mehr so richtig passen will 36 Jahre nach der Zeremonie vor dem Traualtar, und sich ans Klavier setzt, da ist das der Moment des Abends. Sie spielt, dass man heulen möchte und sie sagt, ehe sie abgeht: „Ja, ich erinnere mich. Ich verliebte mich in James Tyrone und war so glücklich eine Zeitlang.“ Nach dem „glücklich“ eine kleine Pause. In diese Pause passt eine Welt und von dieser Welt hat Eugene O'Neill erzählt.

Das Leben, für das keiner etwas kann, erweist sich im Zusammenprall der Familie Tyrone als das Leben, das jeder selbst gemacht hat. Dass Edmund Eugene ist, hielt der SPIEGEL in seinem seltsamen Bericht (7. März 1956) von der Uraufführung in Stockholm für die Botschaft des Abends und machte seine Überschrift daraus. Namentlich erwähnte der anonyme Autor nur Inga Tidblad, die die Mutter spielte. Schwer zu sagen, wieviel Namen das Nachrichtenmagazin aus Meiningen vermeldet hätte. Für eine halbe Stunde Beifall immerhin reichte es an der Bernhardstraße nicht. Man spielt das Stück heute allerdings auch nicht mehr über vier Stunden wie dazumal. Den weiteren Aufführungen sind unbedingt mehr Zuschauer zu wünschen, das Junge Schauspiel Eisenach hat sie verdient.
 www.das-meininger-theater.de


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