Ibsen: Baumeister Solness, Nationaltheater Weimar
Mit diesem Sebastian Kowski hat sich Weimar einen geangelt. Der Mann hinter mir, der seiner Partnerin erläuterte, wen „der Hasko“ von woher kennt und wen er deshalb auch von wo nach wo mitgenommen hat, könnte mir sicher auf die Sprünge helfen. Letztlich aber will ich es gar nicht so genau wissen. Mich bringt schon der Wechsel von Mephisto unter Hasko Weber zu Halvard Solness unter Jan Neumann auf die Idee, den zugegeben einfältigen Satz zu wagen: Es macht wieder Spaß nach Weimar ins Theater zu fahren. Wegen Kowski zum Beispiel. Der fläzt anfänglich mit hängenden Hosenträgern im Drehstuhl, beobachtet das Geschehen, spricht knapp, entschieden und entscheidend, hat Töne für jedes Gegenüber, ein großaufnahmenfähiges Gesicht in allen Situationen und einen nackten Hintern, den er dem Premierenpublikum am Ende zeigt, eher er in den Tod geht, den die Regie sich zu zeigen untersagt, ihm aber eine fast klassische Mauerschau widmet.
Solness, der norwegische Baumeister, ist Autodidakt. Einer, der weiß, wie man Gelegenheiten beim Schopfe packt. Einer, der sich bückt, wenn etwas sich aufzuheben lohnt. Der hinlangt. Und zugleich und durchaus überraschend an seltsame Sachen glaubt. Er hat Kirchen gebaut und Wohnhäuser, er hat seinen eigenen einstigen Dienstherrn zu seinem Angestellten gemacht, dessen Sohn ebenfalls. Er profitiert von den profunden Fachkenntnissen beider, die ihm selbst in wichtigen Feldern abgehen. Die Vorgeschichte seines Erfolges, die wie andere Vorgeschichten dieses Ibsen-Dreiakters nur Schritt für Schritt aufgehellt werden, ist arg profan. Eine Brandkatastrophe, die das Haus seiner Schwiegereltern vernichtete, machte den Weg frei zur Parzellierung eines großen Grundstücks. Von daher scheinen Erfolg und damit verbundenes Glück eher wirtschaftlicher Natur. Für die gern genutzte Interpretation des Stückes als Drama eines Künstlers, der Angst vorm Alter, Angst vor fremder Kreativität, Angst vor der Jugend hat, bietet der Text weniger Anhaltspunkte als ohne Textkenntnis zu vermuten wäre. Wo Solness sich selbst einen Künstler nennt, kommt das komplett überraschend und wird auch nicht weiter ausgebaut.
In Weimar wird die Text-Fassung von Hinrich Schmidt-Henkel gespielt, der Heutigkeit auch in diesem Stück signalhaft mit dem Wort Scheiße verbindet. Konnte man in seiner „Nora“ den Ausbruch mit der „verfickten Scheiße“ noch aus Ibsen selbst motivieren, denn Nora will ausdrücklich etwas maximal Schlimmböses sagen, ist es im „Baumeister Solness“ eher eine schon vor Dezennien von Hans Magnus Enzensberger in ein Gedicht gegossene Situationsbeschreibung, die evoziert wird: „Immerzu höre ich von ihr reden // als wäre sie an allem schuld. // Seht nur, wie sanft und bescheiden // sie unter uns Platz nimmt! // Warum besudeln wir denn // ihren guten Namen // und leihen ihn // dem Präsidenten der USA, // den Bullen, dem Krieg // und dem Kapitalismus?“ Man könnte nicht unpassend rufen: „Scheißeschreier aller Länder, vereinigt Euch!“ Darüber hinaus ist neue Modernität gut abgetarnt im übersetzten Text. Und das gebrechliche Gewissen des Übersetzers Hans Egon Gerlach ist einfach schöner als das profan empfindsame von Schmidt-Henkel. Der auch das wiederholte „spannend“ im Munde von Hilde Wangel gelegentlich ersetzen zu müssen meinte. Und dabei einen gleich mehrfach aktuellen Sprachbezug en passant aushebelte.
Der Baumeister mit diffusen Ängsten, Ahnungen von parapsychologischen Kraftwirkungen und einem Bezug zu Gott, der sich beidem vermischt, hat eine Frau Aline (Anna Windmüller), die gern von ihren Pflichten redet, sich fast immer beherrscht und nur zweimal ihr Innerstes aus sich entlässt. Einmal brüllt sie auf, als Gatte Halvard vom Zuhause redet, einmal bricht sie fast zusammen, als sie der Besucherin Hilde Wangel (Johanna Geißler) klar macht, dass der Verlust ihrer großen Puppensammlung sie mehr bewegt als der Verlust ihrer Zwillinge. Das passt zu Handlungen, die sie stumm vollzieht, wenn sie im Wintergarten hinten vor der Pause an ihren Pflanzen pusselt, wenn sie nach der Pause einen Blumentopf im Kamin eingräbt oder mit den eben frisch gespülten Händen Koks zusammenscharrt. Das sind stimmige Einfälle der Regie, das ist wirksam gespielt. Das Einfache, Tonhöhen, Lautstärken, Modulationen, fällt leider nur auf, wenn es fehlt, eben deshalb sei es erwähnt. Das betrifft auch die Verteilung von Spiel auf Fläche. Hätte ich nicht am Vortag das alptraumhafte Gegenteil gesehen, bliebe die vermeintliche Selbstverständlichkeit unerwähnt.
Beim Baumeister arbeiten eingangs der alte Knut Brovik (Bernd Lange), dessen Sohn Ragnar (Krunoslav Šebrek), dessen Nichte Kaja Fosli (Nora Quest). Šebrek hat schon während des Einströmens der Zuschauer viel zu tun, er rennt über die Bühne, klaubt Kaminkohle aus einem Loch, rutscht ein Gelände hinab, absolviert sportliche Übungen. Auch Bernd Lange hat den größten Körpereinsatz vor Beginn des ersten Aktes auf einem Laufband. Und Nora Quest simuliert Sprechen, ehe alles auf Start ist. Sie ist seit Jahren mit Ragnar verlobt, hat sich aber in den Baumeister verliebt und würde sich nur allzu willig von ihm verführen lassen, wenn der es nur wollte. Ihr erlaubt Regisseur Jan Neumann fast nur Komik, die sich aber nahtlos einfügt wie auch die vielen Kleinigkeiten, die vom Bühnenbild her Lacher provozieren. So hängt an der Wand unerreichbar weit oben ein Waschbecken mit Wasserhahn. So ist hinter der Tür, die Notausgang zu sein vorgibt, eine weiße Mauer zu sehen. Abgänge und Auftritte können nur durch den Wintergarten erfolgen, erst später öffnet sich der Bühnenbild nach hinten.
Das Bühnenbild (Tornike Kublashvili und Cornelius Oswald von der Bauhaus-Universität in Zusammenarbeit mit Daniel Angermayr) verdiente besondere Würdigung auch deshalb, weil es so etwas wie ein Wettbewerbssieger innerhalb eines Uni-Projektes war. Die anderen Ergebnisse wie auch entsprechende Entwürfe für die Kostüme waren als Fotodokumentation im Foyer zu besichtigen und fesselten nicht wenige Besucher vorab intensiv. Das Bühnenbild erlaubt Spiel auf drei Ebenen, erlaubt Projektionen, variablen Lichteinsatz und sah doch einem Bühnenbild aus Ibsen-Zeiten auch auf den zweiten Blick noch ziemlich ähnlich. Vom ihm profitierte am meisten Johanna Geißler als Hilde Wangel. Die plötzlich wie ein Paradiesvogel mit großem Rücksack und pinkfarbenenen Haaren aufkreuzt, weil sie eine Forderung an den Baumeister hat, die sich aus einem zehn Jahre alten Versprechen herleitet. So jedenfalls sieht sie es und so macht sie es auch dem Baumeister selbst glaubhaft, der sich eigentlich gar nicht richtig erinnern kann an seinen bewunderten Gipfelsturm zu Lysanger..
Johanna Geißler ver- und bezaubert den Baumeister, indem sie ihn überrumpelt, ihn provoziert, ihn aufreizt. Am Ende stachelt sie seinen Ehrgeiz auf die einfachste Art, mit der Frauen seit Urzeiten Männer zu allem bringen, was sie wollen, sie packt ihn bei seiner Männlichkeit. Da ist viel wunderbares Spiel zu sehen, die kleine junge Frau und der neben ihr doch wuchtige und deutlich ältere Mann, der sich hinreißen lässt, auch wenn er sich einmal lächerlich macht, der weich wird und liebenswert, wo er eben noch gegen Brovik und Sohn fast brutal war. Wer so lange hüpfen kann wie Johanna Geißler, wer so sicher auf den Spitzen spielt wie ein Leihgabe vom Ballett, muss zum Ende um seinen Sonderapplaus nicht bangen. Muss man wirklich wissen, dass hinter dieser Hilde Wangel ein Vorbild Emilie Bardach aus Wien steht, die den 61 Jahre alten Ibsen in Gossensaß in Südtirol schwer aus dem Gleichgewicht brachte? Dass Knut Hamsun jene Jugend verkörperte, die dem Dramatiker und Menschen Ibsen Angst machte? Nein, man muss es nicht, wenn auch die Episode mit der jungen Wienerin ihren Schmäh hat.
Dass bei Ibsen der Baumeister, der nicht schwindelfrei ist, dennoch die Richtkrone für sein eigenes neues Haus zum höchsten Punkt bringt und dann abstürzt, erscheint in Weimar stückgerecht nicht überraschend, es wird vorausdeutend vorbereitet. Der Text liefert Hinweise, dass da auch ein Element Todeswunsch im Spiel ist, denn die Vision vom Luftschloss, für Prinzessin Hilde erbaut, hat wohl großen poetischen Wert, aber wenig Chancen, reale Lebenspraxis eines ungleichen Paares zu werden. Denn diese scheinbar so leichtlebige, scheinbar so oberflächliche Hilde Wangel hat auch eine gebrechliche Moral oder eine in dieser Textfassung empfindliche. Sie kann die Frau mit den Puppen nicht zum Opfer machen, so wie es eben auch der Baumeister nicht kann, obwohl er sein Leben als eines neben einer lebendig Toten empfindet. Das Ende in Weimar ist eine vor allem theaterpraktische Lösung mit vielleicht doch größerer Überzeugungskraft als der Holzklotzsturz zu Dresden unter Burghart Klaußner, vor dem ich gewarnt wurde, den ich aber nie in Augenschein nehmen konnte aus schnöden Termingründen.
Schließlich war da auch noch Lutz Salzmann als Hausarzt Doktor Herdal. War seinem „Faust“ vor Monaten noch der Ruf hinterher geeilt, keiner gewesen zu sein, so ist in seinem Spiel nun Mephistophelisches wie der Tropfen Zitrone in einem kräftigen English Breakfest Tea. Nicht einmal, wenn er, sein Erkennen signalisierend, als Hilde Wangel aufschlägt, den „Anton aus Tirol“ im Sitzen plattelt, liegt er daneben. Im übrigen müssten schon deshalb viel mehr Stücke mit Hausärzten aufgeführt werden, um der weiten Öffentlichkeit von Gesundheitsreform-Deutschland zu zeigen, wie das früher und andernorts war, als diese Männer in allen Küchen und Wintergärten saßen, Hausfrauen trösteten, Ehemänner in Liebesdingen berieten oder Töchtern die Beichte abnahmen. Der Weimarer „Baumeister Solness“ ist auch eine Hommage an den Norweger Ibsen, der alle Modewellen unbeschadet übersteht, Modernität ohne Implantate vorführt, weil er einfach ein Mann des Theaters war. Beifall kräftig, Erwartungen unbarmherzig steigend. Mal sehen was „der Hasko“ noch so alles aus dem Hut zaubert.
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