Peter Michalzik im Nationaltheater Weimar

Kleist fällt in Weimar immer noch durch. Außer Peter Michalzik saßen im Foyer I des Nationaltheaters fünfzehn Menschen, die Moderatorin eingerechnet, ein Drittel gehörte zum Haus, ein Drittel kam von auswärts, der Rest ältere Damen. Das spricht nicht gegen Peter Michalzik, der sein Buch „Kleist. Dichter, Krieger und Seelensucher“ vorstellte, es stellt der gefühlten Welthauptstadt der Kultur aber ein wenig berauschendes Zeugnis aus. Draußen klimpert sich zu herrlichster Vormittagssonne der Weihnachtsmarkt warm, erste Glühweine kontaktieren kontaktfreudige Speiseröhren, die Innenstadt ist schon voller Besucher, die Bussen entstiegen sind.

Die moderierende Chefdramaturgin lässt sich auf akademische Viertelstunden nicht lange ein, es geht zügig los, der lesende Buchautor und Theaterkritiker hat ihr 70 bis 75 Minuten Zeit avisiert, die er braucht und so ist man vorab bei anderthalb Stunden einig geworden für diese Matinee unter dem Titel „Seitenblick“. Zu den Hausgästen gehört Nico Delpy, der Darsteller des Prinzen von Homburg in der jüngsten Kleist-Inszenierung des DNT, denn der Untertitel von „Seitenblick“ heißt: „Aktuelle Premieren im Gespräch“. Was freilich nicht sonderlich zutreffend war, denn sowohl die Premiere des Homburg als auch die Premiere des Michalzik-Buches sind bereits Geschichte.

Er habe, sagt Michalzik, einer ganz einfachen Frage nachgehen wollen mit seinem Buch, der: Wer war Kleist? Und er hat, lässt sich am Ende der Lesung zusammenfassen, sich zu keiner ebenso einfachen oder gar platten Antwort hinreißen lassen. Der Versuchung, in Weimar besonders akribisch das Unterthema Kleist und Weimar abzuhandeln, hat Michalzik widerstanden, den beiden in Frage kommenden Zeitabschnitten in Kleists Leben entnahm er den spektakuläreren. Er trug seine Darstellung des Theaterskandals um die Uraufführung von „Der Zerbrochne Krug“ am 2. März 1808 unter der Regie Goethes vor. Deren Wert sicher darin besteht, die gängigen Erklärungsversuche in Frage zu stellen, also die vorgebliche Einteilung in drei Akte sowie die Leistung des Adam-Darstellers Heinrich Becker.

Ich habe in meinem Vortrag „Goethe mobbt Kleist“ Michalzik lebhaft zustimmend zitiert und bin in Meiningen darauf zurückgekommen, als ich zu „Kleists Bühnenfrauen“ sprach. Inzwischen relativiere ich meine vorbehaltlose Zustimmung aus einem sehr einfachen Grund. Das Lob des Kostüms der sehr jungen Eve-Darstellerin Beate Elsermann, mit der Goethe ein Sondertraining absolvierte, ist wenigstens teilweise kein versteckter Hinweis auf ihre schwache Leistung am Ende der Komödie. Denn damals waren Darstellerinnen und Darsteller noch selbst für ihre Kostüme verantwortlich, sie kamen nicht aus Fundus oder Werkstatt des Theaters, ein Lob hatte also auch positive Substanz. Dennoch wissen wir nun: Wenn Michalzik schreiben würde, der Darsteller war gut rasiert, dann meint er, er habe den Abend vermasselt.

Den Hörern im Foyer I rundete sich schließlich ein Lebensbild des modernen Autors Heinrich von Kleist, dessen 200. Todestag ja noch keine ganze Woche vergangen ist. Peter Michalzik griff einzelne Passagen aus seinem 557 Seiten starken Werk heraus, die frühe Phase von 1799 bis 1802 etwa und am Ende sehr ausführlich die Geschichte des Selbstmordes am Kleinen Wannsee. In seinen eigenen Zwischentexten blieb er bisweilen zu verknappend, die späte Zschokke-Erinnerungen etwa wären besser nicht ohne Kommentar geblieben, auch die als pure Tatsachenaussage hingeworfene Behauptung, Kleist sein in dieser Zeit beim Geheimdienst gewesen, gilt in der Kleistliteratur keinesfalls als gesichert.

Doch wäre es unfair, Michalzik an einem Anspruch zu messen, den er gar nicht an sich selbst stellte. Sein Buch will natürlich auch von der Kleist-Philologie ernst genommen werden, doch beansprucht es nichts weniger als das Verkündigen neuer endgültiger Kleist-Wahrheiten. (Eine ihrerseits nur vorläufige Sicht auf sein Buch findet sich in meiner Rubrik „Bücher, Bücher“ mit zwei Klicks). Unter den Fragenden nach Lese-Ende war, wenn mich mein kurzsichtiges Auge nicht täuschte, Rüdiger Safranski, zum Drittel aus Auswärtigen gehörend. Er fragte nach Büchner und hörte von Michalzik, der sei seiner Meinung nach ein vollkommen anderer Typ Autor gewesen. Und ich bilde mir nun endgültig ein, dass meine scherzhaft gemeinte Voraussage, Safranski lasse seiner Goethe-Schiller-Freundschaft sicher, weil es für einen eigenen Kleist zu knapp geworden wäre, nun eine Büchner-Biographie folgen, so dumm nicht war. Nicht mal fern liegend.


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