Shakespeare: Maß für Maß, Südth. Staatstheater Meiningen

Nein, ein Stück über Machtmissbrauch und Korruption ist das nicht. Auch keins über die Doppelmoral der Politik. Jedenfalls nicht bei Shakespeare. Der tiefere Sinn, einer von denkbaren auf alle Fälle, ist bei dem Mann aus Stratford in der überschaubaren Botschaft zu sehen, dass Politik und Moral zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Shakespeare hat ein Stück über Staatsklugheit geschrieben. Eine Komödie. Das vor allem macht es der Gilde der Sonntagsredner besonders vertrackt und dem Verein für entrüstete Entrüstung. Die unbelehrt bis jetzt im „Il Principe“ des Macchiavelli ein Handbuch der Bösigkeit sehen. Staatsklugheit aber ist vom aktionistischen Populismus heutiger Politik quer durch die Parteien fast so weit entfernt wie William Shakespeare von Ernst Wildenbruch oder Paul Lindau.

„Maß für Maß“ hat als Stück sehr lange im Schatten anderer Shakespeare-Brocken gestanden. In rund zwei Dutzend Kritiken des märkischen Theodor Fontane, die Shakespeare gelten, kommt „Maß für Maß“ nicht einmal vor. Und Siegfried Jacobsohn jubelte 1918 über seine Entdeckung nach mehr als 300 Jahren wie über ein großes neues Werk. In jüngster Vergangenheit haben sich Regie-Größen wie Karin Beier, Stefan Pucher, Thomas Ostermeier am Wiener Herzog Vincentino und Konsorten versucht. Wien, Köln, München, Hamburg, Salzburg waren Spielorte, Stuttgart zeigt allein in diesem Dezember bis zur letzten Aufführung am Silvestertag die Komödie 23-mal. Nun also Meiningen, nun also Veit Güssow als Regiegast im neuen alten Haus. Zur Wiedereröffnung nach langer Renovierungspause wünscht sich wohl nicht nur der Intendant einen Paukenschlag.

Ob er es war? Ich bezweifle es stark. Regie (Veit Güssow) und Dramaturgie (Dirk Olaf Hanke) haben, wenn wir diesen Shakespeare nur ganz kurz mit dem sprichwörtlichen Eisberg vergleichen, die sieben Achtel unter der Oberfläche, alles, was in die Tiefe geht, sozusagen, komplett unterschlagen. Das Achtel oberhalb mag als eine Art von Shakespeare-Parodie oder auch Shakespeare-Travestie durchaus achtbar auf der Bühne stehen. Die Idee, aus dem bei Shakespeare als fundamentalistischen Puritaner gedachten Angelo eine Angela zu machen und damit eine Rolle für Neuverpflichtung Anja Lenßen zu schaffen, die jede Qualität dafür hat, führt umgehend in Fallstricke. Denn wo ein Angelo eine Isabella zum Sex nötigt als Preis für die Freilassung ihres zum Tode verurteilten Bruders Claudio (Lukas Spisser), hat eine Angela ein einfaches Problem. Entweder muss Isabella sich in einen Isabello verwandeln oder aber es wird lesbisch. Und, nun ja, es wird lesbisch.

So weit wäre alles noch durchaus veritabel, hätte der Name Angela nicht die ausgesprochene Unglücksidee nach sich gezogen, politische Aktualitäten der allerplattesten und allervordergründigsten Art zu assoziieren. Ich bin ehrlich: Wenn ich dumme oder intelligente Witze über Guttenberg, Angela Merkel oder Schäuble hören und sehen will, schalte ich Urban Priohl und seine Anstalt ein und fahre nicht hundert Kilometer ins Große Haus eines altehrwürdigen Theaters vom Rufe Meiningens. Nun, denn. Während Shakespeare eine wirklich große, eine wirklich zeitlose, darum auf alberne Aktualisierungen nicht im Ansatz angewiesene Sache verhandelt, zu diesem Zweck eine große Rolle wie den Wiener Herzog Vincentino geschaffen hat, macht die Meininger Inszenierung daraus eine Klamotte mit lauter komischen Augusten und Augustinen.

Das hat nicht wenige wirklich lustige Spielideen, eine Komödie darf natürlich auch lustig sein, eine wie diese mit ihren berühmt-berüchtigten Rüpelszenen, mit ihren Deftigkeiten zumal. Die Größe dieser Komödie liegt aber zu sehr großen Teilen eben darin, das sie haarscharf ans Tragische driftet und eben keine alberne Intrige vorführt, die mit einem noch alberneren Happy End nach dem Vorhang ruft. Warum nur inszeniert dieser Herzog dieses ganze seltsame Spiel? In Meiningen wird eine Begründung vorgetragen, die zu kurz greift. Denn es geht eben nicht darum, diese Angela die vermeintliche Drecksarbeit machen zu lassen. Bei Shakespeare sind eben nicht die Bordelle, das Laster oder die unehelichen Kinder das Problem, sondern die neue politische Kraft, die da sich in diesem Stellvertreter verkörpert. Dass es damals um den Übergang von der großen Elisabeth zum nicht ganz so großen Jakob, von Tudors zu Stuarts ging, muss heute sicher nicht zwingend mit inszeniert werden. Um Spielchen aber ging es auf keinen Fall.      www.das-meininger-theater.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


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