Schiller: Maria Stuart, Landestheater Coburg
Tobias Materna hat sich in seiner Inszenierung der „Maria Stuart“ Schillers für weniger radikale Striche an Personal und Text entschieden, als sie zuletzt in anderen Häusern zu verdauen waren. Das macht das Spiel, erstaunlich genug, wenn man den Ansagen mancher Spielleiter für ihre jeweiligen Beweggründe denn überhaupt Ernst beimisst, weder langweiliger noch verstaubter. Was das Coburger Premierenpublikum zu sehen und zu hören bekam über gut drei Stunden mit Pause nach dem dritten Akt, hatte Opernelemente, hatte Melodramatik und es hatte in den beiden weiblichen Hauptrollen (Kerstin Hänel als Elisabeth, Anna Staab als Maria) einen nicht ohne weiteres erwartbaren und auch darum eindrucksvollen Übergang von der statuarischen Rolle Königin zur dynamisch-lebendigen Rolle Frau.
Auf einer schwarzen Bühne agierten schwarz, weiß und grau kostümierte Darsteller (Till Kuhnert), die Farbe Rot erschien zweimal kurz als Bühnenhintergrund und für das Gewand der Maria vor ihrer Enthauptung. Rot waren auch diverse Stühle: von dem riesigen Exemplar, das den Thron zu symbolisieren hatte für Elisabeth bis zu den zahlreichen kleineren, die nach der Pause die Spielfläche füllten. Weiße Folienbahnen wurden ausgerollt, von oben senkte sich eine Art Mobile. Eine Krümmung im Hintergrund ergab einen Halfpipe-Effekt mit manchen Nutzungsmöglichkeiten für die agileren Phasen des Spiels. Die reservierte bis zur Pause vor allem Vivian Frey für sich. Er gab den Mortimer, als hätte er noch immer überschüssige Energien aus seiner Rolle als Büchners Leonce in Bewegung umzusetzen, was aber die Standbilder der beiden Königinnen wohltuend ausbalancierte.
Hanna Kennedy, die Amme (Philippine Pachl), war allein schon durch ihre pure Existenz auf der Bühne Garantie, dass Schillers Symmetrien gerade in dieser Tragödie nicht schon durch Rollenstreichung ausgehebelt wurden. Es gibt ohne diese Rolle keinen wirklich guten Einstieg ins Stück, das einen auf den letzten Akt beschränkten Einsatz des Haushofmeisters Melvil (Sebastian Pass gab ihn, nachdem er zuvor auch schon der französische Gesandte Graf Aubespine war) dagegen ganz achtbar erträgt. Man muss nicht zwingend wissen, dass der Beichtvater Melvil, ohne dass seine Herrin davon erfuhr, sich die Qualifikation tatsächlich erwarb, wie man auch nicht zwingend wissen muss, was gerade diese Bühnenepisode für Skandal machte noch zu Lebzeiten Schillers und Goethes. Die Aufklärung dazu im von Georg Mellert verantworteten Programmheft ist ebenso wohltuend wie die Zitate aus Stefan Zweigs Darstellung der historischen Maria Stuart, in der Schillers Umgang mit dem Stoff fast gar keine Rolle spielt.
Die Inszenierung hat sich für kräftigen Musikeinsatz entschieden, Martin Urrigshardt komponierte sie eigens. Nicht alle Zuschauer goutierten das, aber es wirkte auf alle Fälle im Sinne des Konzeptes. Ob man dies nichtrealistisch nennen muss, wie es Dramaturg Mellert in seiner Einführung tat, sei dahingestellt. Die Geschichte auf der Bühne entfaltete unübersehbar, unüberhörbar einen Sog auch auf Regie und Darsteller, Schillers Text durfte Wirkung entfalten, Betroffenheit, Berührung vermittelten sich und als die beiden Königinnen während und nach der Kernszene ihrer Begegnung im Garten von Fotheringhay plötzlich Kreatur wurden, nicht mehr nur Rolle, offenbarte der vermeintliche Schulstoff-Text seine schwer auslotbaren, weil positiv unendlichen Tiefen.
Mancher Schillersatz hätte, trotz der verständlichen Furcht jeder heutigen Schiller-Inszenierung vor Zitatenschatz-Deklamation, klarer akzentuiert werden sollen. Denn: eine Phrase ist, wie der Aphoristiker sagt, nicht nur eine zu Tode gerittene Wahrheit. Sie ist, wie immer sie scheint, auch eine Wahrheit. Angesichts einer lebendigen Darstellung auf einer Landestheaterbühne ist nicht zuerst oder gar ausschließlich zu fragen, welche Diskurse dem Text eingeschrieben sind, was Schiller als Autor ohnehin kaum verstanden hätte. Es ist vor allem zu erleben, ob die Geschichte kalt lässt oder anstößt. Manche Publikumsreaktion deutete während der Premiere darauf hin, dass eine Episode wie die um den Staatssekretär Davison (Sönke Schnitzer) heute vielleicht sogar mehr Wirkung entfaltet als zu Schillers Lebzeiten. Denn sie weist auf Kontinuitäten hin, die nicht erst durch Regie-Mätzchen auffällig gemacht werden müssen.
Was bei Schiller nicht steht und folglich auch nicht zwingend in eine Aufführung gehört, ist die primär historische Tatsache, dass diese so fragwürdige Königin Elisabeth eine der ganze großen Ausnahmeerscheinungen der jüngeren Geschichte war. Und nach ihrem Tod von einem Sohn der hingerichteten Maria abgelöst wurde, der der Ehe mit genau dem Mann entstammte, dessen Tod Maria auch im Stück als ihre Schuld auf sich nahm. Ein Nachkomme, James, erscheint in Coburg als Kind auf der Bühne. Helmut Jakobi spielte seinen Burleigh konsequent als Mann, dem England alles ist, notfalls auch die Königin weniger. Thomas Straus verbrachte seine Shrewsbury-Zeit im Rollstuhl und verabschiedete sich am Ende ehrwürdig aus seinem Amte. Frederik Leberle hatte wie andere Leicester-Darsteller vor ihm schon mit der Schwierigkeit zu ringen, ein Mann zu sein, dem zwei Königinnen Neigung und mehr zu widmen bereit sind. Stefan Mertl gab den Amias Paulet prinzipienfest und am Ende berührt und getroffen.
Dass die Regie die beiden Franzosen, neben Sebastian Pass auch Niklaus Scheibli, zwang, komische radebrechende Pfauenfeder-Chargen zu sein, hat mich nicht überzeugt, auch den Nebel hätte ich in der Büchse gelassen. Sonst aber meine ich, dass Zutaten wie die Ballett-Bilder (Tara Yipp) oder Anlehnungen an fernöstliche No-Theater-Optik dem Abend zu einer Rundung verhalfen, wie man sie im Schiller-Dutzend keineswegs vom Band geliefert bekommt. Coburg ist dank Autobahn besser zu erreichen als je und mit solchen Theaterangeboten sowieso ein lohnendes Ziel.
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