Schiller: Maria Stuart; DNT Weimar

Eine Pressekonferenz nach dem gescheiterten Anschlag auf König Elisabeth gibt es natürlich bei Schiller nicht. Dennoch hat die Szene zu Beginn des zweiten Spielteils nach der Pause etwas. Sebastian Kowski, der den Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh gibt, steht wie ein etwas schnöseliger Regierungssprecher an einem Mikrofon, welches Staatssekretär Wilhelm Davison (Thomas Kramer) seltsam dienstfertig-duckmäuserisch aufbaut, ehe er durch die Reihen im Parkett hüpfend, die verschiedenen Medienvertreter mimen muss, denen Kowski typische Antworten gibt. Einmal attackiert er einen französisch sprechenden Frager mit dem Hinweis, man befinde sich in Deutschland, er solle gefälligst deutsch fragen. Der mit Medienbildern und Medienabbildern übersättigte Theaterbesucher hat etwas zum Lachen, Regierungspressekonferenzen stehen nicht im Ruf, der Wahrheitsfindung im Sinne der meist weniger interessierten Öffentlichkeit zu dienen.

Neuinszenierungen von Klassikern stehen dagegen vollkommen unzweifelhaft im Ruf, an mindestens einem Punkt die Fähigkeit der Regie vorführen zu müssen, etwas gefunden zu haben, was vordem noch niemand, wenigstens aber seit sehr langer Zeit niemand fand. Das Programmheft nennt noch eine Spieldauer von 2 Stunden 40 Minuten, die fünfte Vorstellung, die ich sah, hatte bereits einen Schwund von mehr als reichlich 20 Minuten, die Pause ebenso inklusive wie den verspäteten Anfang wegen Aufrufs zur Teilnahme an einer anti-rechten Gegendemonstration, die von den Weimarer Theaterleuten natürlich unterstützt und mit getragen wird. Auf spezielle Weise findet sich so die Erkenntnis eines Kritikers bestätigt, es handle sich bei „Maria Stuart“ um ein Drama, das „am stärksten und klarsten, am wenigsten von Zügen und Zeichen aus anderen Lebenssphären verdeckt und beirrt, den Stempel des politischen Gedichts trägt.“ (Johann Frerking).

Was Markus Bothe auf die Bühne bringt (Dramaturgie Nora Khuon, Beate Seidel), ist zunächst einmal die längst nicht mehr originelle Streichung von vermeintlichen oder tatsächlichen Nebenrollen. Für Frauen des Ensembles blieb nichts außer den beiden Königinnen (Nadja Robiné als Elisabeth und Johanna Geissler als Maria), sechs Männer-Rollen kommen insgesamt hinzu. Die weitgehend ungebrochene Tradition gerade dieser Streichweise weckt längst Sehnsucht nach jenen Szenen, die Schiller ja keineswegs als Spielmasse zu beliebiger Verfügung schrieb, denn, Binsenweisheit, Charaktere auf der Bühne erwachsen aus Wechselspiel, weniger Wechselspiel ist, automatisch, weniger Charakter, da beißt die Maus kein Fädchen ab. In Weimar fängt die graue Maria sofort mit dem Eingeständnis jener Schuld an, deren erneutes Bekennen am Ende den Kern der Beichte ohne Beichtvater bildet. Mortimer ist sofort und somit unvorbereitet da: ein Fummler.

Jonas Schlagowsky, dieser Mortimer, der das puritanische Bekenntnis gegen das römisch-katholische vertauschte und sich allein am Bild der Maria in sie verliebte, ist als Gast seines Onkels Amias Paulet (Christoph Heckel), des Hüters der gefangenen Maria, an der Leibesvisitation beteiligt, die es anstelle der Schillerschen Introduktion gibt. Er und Burleigh müssen ersetzen, was der Dichter in den ersten beiden Auftritten des ersten Aktes entwarf, es versinnbildlicht dennoch natürlich die Situation, in der sich die gefangene Königin der Schotten, einst auch Königin der Franzosen, befindet. Ein 42-Männer-Gremium hat getagt und sie für schuldig befunden des Mordkomplotts gegen Elisabeth, die Königin von England. Das Urteil fußt auf Falschaussagen von Schreibern, ein wichtiger Zeuge für eine mögliche Gegenüberstellung in einem sauberen Verfahren lebt bereits nicht mehr, man kennt die Geschichte, die Schiller seinen Absichten unterstellte.

Maria hat begründete Angst, sie könnte einfach ermordet werden, sie hat zugleich die Hoffnung, nur auf ewig im Kerker verbleiben zu müssen. Wie schnell glaubt sie diesem Mortimer, als der sich zu erkennen gibt, wie rasch ist sie bereit, Zeichen günstig zu deuten. Kowski spielt den Burleigh gerade nicht als den nur kalten Machtmenschen der Staatsraison, er verleiht der Rolle tatsächlich überraschende Züge, wenn er etwa im Erfolgsrausch nach hinten weghüpft wie ein Balletteleve im Sprungtraining. Blass bleibt, es gleich zu sagen, der Gutmensch Georg Talbot, Graf von Shrewsbury, in der Darstellung Lutz Salzmanns. Er sagt die moralisch wertvollen Sätze auf, denen er leider nicht die Autorität verleiht, die Schiller ihnen, wie man jetzt sagt, einschrieb. Warum ihn Elisabeth unbedingt halten will, als er den Ring seiner Würde am Ende zurückgibt, bleibt unerklärlich, die Erhard Epplers der Weltgeschichte wären niemals gute Kanzler geworden.

Mit Pathos ließe sich fragen, warum immer wieder, immer wieder Robert Dudley, Graf von Leicester, in Weimar ist Max Landgrebe dieser Mann, mangels Format durch das Netz fällt, in dem man ihn fangen möchte als Mann, den zwei Königinnen lieben. Im wirklichen Leben hat er lange an Elisabeth festgehalten, auch als seine Chancenlosigkeit längst von ihm akzeptiert war, das wirkliche historische Leben seiner Figuren interessierte Schiller aber nur mäßig. Der Kritiker Armin Eichholz hat vor vielen Jahren einmal einen Münchner Darsteller bezichtigt, diesen Grafen statt als Herrn mit zwei Königinnen als „Vorzimmergröße, die höfischen Glanz mehr vortäuscht als ausstrahlt“, gespielt zu haben. Da er sich als Charakter-Null erweist, bleibt jedem Bühnenspiel die durchaus ernste Herausforderung, zeigen zu müssen, warum zwei großen Königinnen genau dies verborgen blieb. Selbst wenn sie es bewusst übersehen haben sollten, müsste der Zuschauer genau das sehen.

Verkleinert gar ihre spezifisch weibliche Blindheit die Figuren der Königinnen? Wenn man nicht geneigt ist, Vermenschlichung und Verkleinerung gleichzusetzen, dann lautet die Antwort klar und ohne Verzögerung: Nein. Was auf der Brücke zwischen den beiden dunkelgrauen Wänden (Bühne Robert Schweer) sich abspielt zwischen dem Auftritt Elisabeths mit Plüschtieren und Blumen im Arm („Mein Volk liebt mich“) und ihrem schließlichen stummen Abgang, dem Maria ihren Urschrei folgen lässt, wird erst ganz deutlich, als Elisabeth in der Folgeszene am Boden liegt, außer sich vor Wut und Hass, die auch zu hohem Anteil Wut und Hass auf sich selbst, auf die Ratgeber sind. Das berühmte Treffen der Königinnen war Intrigenziel und keineswegs ungeschickt eingefädelt und dennoch treibt es die Katastrophe herbei, der Tod Marias ist nun endgültig keine Frage des Abwägens mehr, nur das Procedere ist noch zu ersinnen, das gesichtswahrende.

Markus Bothe hat seine beiden Königinnen nicht mit dem höchsten Impetus der Klischee-Umkehr auf die Bühne gestellt. Solches Ansinnen führt ohnehin fast regelmäßig in die Irre. Immerhin, das graue, antiattraktive Erscheinungsbild der blonden Maria passt zu einer Frau, die viele Jahre in Haft verbrachte, ihr Personal fehlt in Weimar, also auch alle die Intimität, die genau daraus erwachsen kann, dass es Vertraute wie bei Schiller die Hanna Kennedy gibt. Johanna Geissler ist eine starke Maria Stuart vor allem auch deshalb, weil sie alles selbst zeigen muss. Und Nadja Robiné, die den Vorteil hat, schön sein zu dürfen, begeht nicht den Lapsus, zuerst auf das Äußere zu vertrauen. Sie ist tatsächlich erstaunt, als sie Maria sieht, die nicht ohne Grund das erwünschte Zusammentreffen lieber vorbereitet gesehen hätte, und zwar keineswegs gedanklich-argumentativ, sondern vor allem hinsichtlich des eigenen Erscheinungsbildes. Hier ist sie auf ganz eigene Weise katholisch.

Alle Fassungen von „Maria Stuart“, die auf den Grafen Kent verzichten, haben das Problem mit dem Schiller-Schluss. Nur Kent kann sagen: „Der Lord lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“ In Weimar steht der Lord an der Seite im Halbschatten, in der Mitte die Königin in vollem Ornat, die sich jetzt mit Krone schmückt, jetzt die berühmte Halskrause umhat. Sie fragt ihn direkt: „Nicht auf dem Schiff nach Frankreich?“ und bekommt natürlich keine Antwort. Vor dem Schlussbeifall muss sie sich noch lautstark selbst ausrufen. Burleigh geht in die Verbannung, Davison, der Mann, der noch einmal den finalen Tee bringt, soll in den Tower, wo ihn der Tod erwartet. Letztlich sind alle Opfer, die Königin hat nur den Vorzug der komfortabelsten Ausstattung des Opferseins. Dass der Sohn ihrer toten Feindin ihren Thron erben wird, hat Schiller nicht beschäftigt in seiner Tragödie, der Zeitzeuge Shakespeare hat sein Werk großteils darauf gebaut.
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