Molnar: Delila oder Der Liebestest; Theater Rudolstadt

Natürlich ist das ein Fürzchen. Aber kein stinkendes. Eher ein duftiges, wenn’s erlaubt ist. Wenn man, bezüglich seiner Gewichtigkeit, deren Abwesenheit beschreiben wollte, könnte man sagen, ein Gänsekiel sei dagegen wie der Oberschenkelhalsknochen eines Vogel Strauß. Rudolstadt hat, ich wage es kaum zu sagen, Stärken da, wo es sich vermutlich fast schämt, sie zuzugeben. Ferenc Molnar war einmal eine Größe in der Theaterwelt. Jahrgangsgefährte von, um nur ein paar der bekanntesten Namen zu nennen im deutschsprachigen Bereich, Alfred Döblin, Erich Mühsam, Egon Friedell, Martin Buber, Robert Walser, unter den Dramatikern: Carl Sternheim, Georg Kaiser. Er hatte einen Welterfolg mit „Liliom“, allein Hans Albers soll die Rolle nicht weniger als 1800mal gespielt haben. Wenn eine Bühne sich denn einen Molnar vornimmt, dann ist es mit der größten anzunehmenden Sicherheit die Vorstadtlegende „Liliom“, kein Londoner Wettbüro hätte auch nur einen Penny auf den Einsatz gegeben, würde auf Spielpläne gewettet. Das Fürzchen aber mit dem Titel „Delila oder Die Liebesprobe“, das hätte mit eben der größten anzunehmenden Sicherheit niemand zum Wettgegenstand machen können, weil es niemand kennt. Man kann halbwegs mühsam herausfinden, dass es 1937 eine Uraufführung hatte, man erfährt im Rudolstädter Programmheft, der Originalverlag sei ein Londoner, der Bühnenvertrieb einer aus Wiesbaden.

Die große 20 Bände umfassende Gesamtausgabe Molnars erschien zu seinem fünfzigsten Geburtstag 1928, dass da Stücke aus den 30er Jahren fehlen müssen, liegt auf der Hand. Und ein bedeutender Molnar-Kenner meinte, die Stücke aus diesen Jahren seien eigentlich gar keine wirklichen Stücke. Molnar habe fast nur noch Rollen für seine Frau geschrieben. Gemeint war Lili Darvas (1902 – 1974), Molnars dritte Frau nach Margit Vészi und Sári Fedák. Hört man in „Delila oder Der Liebestest“ von zehn Ehejahren des Paares Virág, kann man zwanglos an das Paar Molnar denken, das 1926 heiratete. Man kann, ohne das Spielchen biographisch zu befrachten, die Marianne dieses Stückes, das vermutlich ein Dreiakter ist, jedenfalls gab es in Rudolstadt zwei Umbaupäuschen, als eine Hommage des Gatten Franz-Ferenc an Lili lesen, die seine Rollen natürlich, wo immer es ging, selbst spielte. Wichtig ist das aber nicht, denn die Geschichte um die Wirkung eines Lottogewinnes von 180.000 Euro enthält nichts, aber auch rein gar nichts, dem man irgend einen tieferen Sinn anpappen müsste. Es gibt Kritiker, die genau deshalb selbst vielfach substanzhaltigeren Stücken ihre Sternchen verweigern, weil diese ihnen nicht hinreichend die heutige Welt erklären. Als ginge man deshalb ins Theater. In Rudolstadt gehen an diesem Freitag nur Menschen ins Theater, die die Welt schon ziemlich lange kennen, Senioren also.

Muss man denen Aufklärung geben über die Verführungskraft des Geldes? Natürlich nicht. Muss man denen ein wie auch immer geartetes Lied auf die Liebe singen? Natürlich nicht. Obwohl in diesem Stück gleich viermal gesungen wird und das gar nicht so schlecht. Also: Das Ehepaar Virág betreibt in Rudolstadt ein Gasthaus mit dem schönen Namen „The Roasted Donkey Tavern“. Es ist auf das Fleisch des Esels spezialisiert und der gelernte DDR-Bürger, der in Rudolstadt noch halbwegs oft vorkommt, weiß sofort, dass man früher von der ungarischen Salami immer hörte, sie sei Eselswurst. Die Kreidetafel mit den Angeboten des Tages preist, wenn das Spiel beginnt, Esels-Rippchen und Esels-Nierchen, später erweitert die Frau des Hauses noch um Eselssuppe und Eselspudding. Der schöne Regieeinfall dabei, sie wird mit dem Schreiben wegen der rasanten Handlung nicht fertig: es bleibt „Eselspudd“ stehen. Da darf man schon mal leise lachen. Zwei windige Verkäufer wollen dem Esels-Gastronomen eine Immobilie und ein Auto verkaufen, der Lottogewinner aber will nicht, er hört die Nachtigall auf der Brücke trampeln, dass die Stützpfeiler zittern. Johannes Arpe (Immobilien) und Joachim Brunner (Auto) haben hier ihren ersten Auftritt mit Matthias Winde, dem plötzlich Reichen. Und auch Windigen, wie man rasch bemerken darf.

Denn der Herr Virág säuselt zwar in Gegenwart seiner Frau wie der Amselmann auf dem Dachfirst, wenn Marianne (Manuela Stüßer) aus dem Bild ist, aber kann er seinen Blick vom Hinterteil seiner Kellnerin Ilonka (Anne Kies) nicht lösen. Sie hat, wie man im Verlaufe der rund achtzig Spielminuten rechtzeitig erfährt, schon viermal ihre Hochzeit verschoben, jetzt steht die fünfte Verschiebung an. Denn, warum hier ein Geheimnis daraus machen, das Geld ruft. Der Bräutigam Berényi, der ein Motorrad hat und mit Helm aber auch gar nichts hört, ist Marcus Ostberg und ohne Vermögen. Also geradezu arm, wenn man den Lottogewinn dagegen hält. Ilonka zwitschert und züchtelt herum, im Kern will sie am allerliebsten geheiratet sein, aber eben deutlich lieber von einem mit Geld als einem ohne. Der Eselswirt ist die Taube auf dem Dach, die den Spatz in der Hand klar aussticht und wohl auch mehr als nur bereit, sich der leicht zu leerenden Spatzenhand anzuvertrauen. Anne Kies wackelt hinter der Theke nicht nur wie einst Ingrid Steeger, während Marcus Ostberg „Somewhere over the rainbow“ singt, sie singt selbst das Lied der Steeger-Urmutter „Diamonds are the Girls best friends“. Und sie hat drei Kurzsätze von höchster Bedeutsamkeit: Ich schwebe. Ich schwanke. Ich leide. Nach dem Umbau ist die Rückseite der Thekenfront ein Wohnwagen, nach dem zweiten Umbau steht alles wieder auf Anfang. Das herzige Bühnenbild stammt von Alexander Martynow, Matthias Windes Jogging-Hose ist auch seine Idee.

Muss natürlich eine Verwicklung im Stück sein. Die kluge Marianne geht auf das Ansinnen ihres verliebten Gatten ein und gibt ihn frei, er schwebt kurz auf Wolke Dreizehn, dann aber kommt der Hammer: Die Gattin möchte das Lotterielos und zwar sofort. Er gibt es ihr, sie verwendet es zu einem Zweck, von dem die finale Überraschung kommt. Vorher wird viel geheult. Lustig geheult,  denn es ist eine Komödie, ob nun Boulevard oder Gasse, mag für nebensächlich angesehen werden. Herrlich, wie Anne Kies den Winde fragt: „Wie werde ich denn heißen, wenn ich glücklich bin?“ Fast ebenso herrlich war eine Weile vorher Johannes Arpe, als er seiner Chefin vormimte, was zwischen Virág und Ilonka so lief, ein wenig spechtet er selbst in Richtung dieser Marianne, was sie natürlich spürt und nutzt, wo es geht. Selbst den Verlobten ihrer Nebenbuhlerin wickelt sie um den Finger wie ein Zwirnsfädchen, nicht zu seinem Schaden freilich, wie sich im Finale erweist. Was das mit Samson und seiner Delila war, kann er, rät Marianne, gelegentlich nachschlagen. Wer an die Quelle will, darf sich das „Buch der Richter“ hernehmen in dem Longseller „Die Bibel“. Ferenc Molnar hat das mit den Parallelen nicht überzogen, also streng genommen muss man sehr guten Willens sein, um überhaupt Parallelen zu sehen. Delila, die Powerfrau?

Bisweilen wird, bin ich überzeugt, bei den negativen Folgen des Klimawandels heftig übertrieben. Eine zweifelsfrei positive Wirkung erleben wir mit „Delila oder Der Liebestest“ im Theater Rudolstadt. Sommertheater mitten im Winter. Zwar noch unterm Dach, aber das kann sich ja ändern. Die ZEIT, von der bekannt ist, dass sie sich nicht immer auf der Höhe derselben befindet, auch wenn sie das von sich autosuggestiv vermeint, schrieb in ihrem Literatur-Lexikon über Molnar: „Die Stücke aus den 1930er Jahren zeigten schon Symptome des Verfalls, der leeren Routine.“ Regisseur Oliver Trautwein hat vorgeführt, dass diese Routine so leer nicht war. Es soll nun freilich daraus nicht gefolgert werden, dass das Wiederentdecken eines Stücks, das seit 1937 niemand mehr in der Urfassung spielte, einen neuen Königsweg bahnen könnte weg vom Roman auf den Bühnen hin zum Drama aus der gelüfteten Mottenkiste. Eine Leistung aber kleinreden, nur weil das Fürzchen schon verflogen ist, wenn der Theatergänger an der Garderobe seinen Überwurf entgegen nimmt, wäre keine Leistung. „Es ist schwer, ohne Geld ein Mann zu sein“, verrät das Stück. Und: „Auch unter den sinnlichen Frauen gibt es anständige.“ Wenn das nicht Botschaften sind, die wir nicht nur hören, sondern auch glauben möchten?
www.theater-rudolstadt.de


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