Shakespeare: Was ihr wollt; Shakespeare Company Berlin

Was macht eigentlich die Faszination dieses Stückes aus? Am Anfang der Schiffbruch, am Ende das allgemeine und vollständige Happy End, nur der gelbstrümpfige Malvolio hat das unaufgehobene Nachsehen? Mal einen Kollegen zu zitieren, der vielleicht empört wäre, sich von mir Kollege genannt zu finden: „Was ist wollt“ ist für ihn „die verrückteste, die schönste, die zarteste, die bitterste Komödie William Shakespeares“. Sie ist ihm auch „eine Komödie der Unruhe, die bleibt.“ Gerhard Stadelmaier, denn von ihm ist die Rede, hat seinerzeit die Sammlung seiner 44 Lieblingsstücke unter den Titel „Traumtheater“ gestellt, ich folge ihm bisweilen gern. Alles ist drin in der Komödie, oder fast alles, ein bisschen hat der Meister auch für seine anderen Bühnenwerke aufgehoben. Ist es ein Problem, dass manche seiner Motive wiederkehren? Natürlich nicht. Von Inseln und Schiffbrüchen wäre ein eigenes Thema zu gewinnen. Man muss auch nicht besonders viel Assoziationskraft aufbringen, um bei Schiffbrüchen an so genannte Flüchtlingskatastrophen zu denken, Leichen, die am Strand liegen, keine Retter, keine Helfer zur rechten oder zu gar keiner Zeit. Dennoch ist die Bühne gut beraten, die hier nicht zu viel des Guten tut, weil es sofort zu viel des Schlechten würde. Die Shakespeare Company Berlin hat Gespür für Maß bewiesen.

Im Programmheft schreibt der künstlerische Leiter Christian Leonhard: „Wenn wir Sie heute Abend zum Nachdenken anregen können, während Sie sich gleichzeitig unterhalten fühlen, haben wir beide gewonnen. An welchen Strand auch immer uns das Schicksal spült, wir sind damit nicht allein. Shakespeare vollbringt wieder einmal das Wunder, dass wir uns heute Abend etwas näher kommen: Wir Ihnen, Sie uns und jeder sich selbst.“ Vermutlich müssen künstlerische Leiter und Programmhefte dergleichen in die Welt setzen, der Regisseur Alexander Flache (Jahrgang 1975) hat sich klug vor Überfrachtung gehütet. Er hat seine sechs Darsteller mit 15 Rollen herausgefordert, einzig Elisabeth Milarch ist Viola und sonst nichts. Yvonne Johna spielt die ihre Schwestern-Trauer zelebrierende Olivia, dazu den Antonio und den Valentin, Katharina Kwaschik ist der singende Narr Feste, die Zofe Maria und der erste Offizier. Die drei Herren des Abends erscheinen als Malvolio, Curio und zweiter Offizier (Erik Studte), als Tobias von Rülp und Fischer (Michael Günther), als Orsino, Sebastian und Andreas von Siechenwang (Nico Selbach). Ich müsste mich verbiegen, um nennenswerte Schwachpunkte zu erkennen, ich sah vor und nach der Pause genau das, was ich von einer Shakespeare-Komödie im Sommertheater erhoffe, nicht weniger, nicht mehr. Ich hatte Spaß.

Aus Sportler-Interviews wissen wir, dass dieses Spaß-Haben eigentlich das Wichtigste ist im Leben des Athleten, nicht die Medaille, die Endspielteilnahme, sondern: der Spaß. Wenigstens sagen das deutsche Athletinnen und Athleten mit verblüffender Übereinstimmung, sobald ein Mikro eingeschaltet und eine Kamera auf ihr Gesicht gerichtet ist. Ich neige inzwischen auch mit Teilen meiner gespaltenen Persönlichkeit dazu, gern Spaß zu haben. Mein Bedarf danach, mit akuter Atemnot zutiefst betroffen aus dem Theater zu wanken und nach der nächsten Notfall-Apotheke zu schielen, nimmt ab, mich selbst kenne ich gut sechs Jahrzehnte und sehe mich täglich im Spiegel, ich muss mir also nicht zusätzlich mit Pressekarte in der Hand auf Umwegen begegnen. Kurz: wenn ich wohl gestimmt dem S-Bahnhof Priesterweg entgegen strebe, um dann in Yorkstraße in die U 7 umzusteigen, dann sind vielleicht nicht die Gefilde der Seligen nah, wohl aber der Punkt, der bei Reich-Ranicki schon nah ans Adelsprädikat reichte: Ich habe mich nicht gelangweilt. „Was ihr wollt“ aus der zweiten Reihe auf hölzernem Spielpodium zu sehen, ist kaum übertreffbare direkte Begegnung. Und, ich komme aus den Trivialitäten nicht heraus: Es ist ein Hauptvergnügen, keine hastige Routine zu sehen, die Betonung liegt auf: keine, in allen fünfzehn Rollen.

Greifen wir nicht ganz wahllos heraus: In ihrer Rolle als Maria lachte Katharina Kwaschik über den gelb bestrumpften Malvolio, als dieser den Zuschauern noch nicht vor Augen gekommen war, auf eine so wild ansteckende Weise, dass Zuschauer schon mitlachten, als sie noch gar nicht wussten, worüber. Wie oft hörte ich krampfig gequältes Lachen auf Bühnen, weil man ja eigentlich gar nicht auf Befehl lachen kann. Bei den besseren und den guten Schauspielern gehört das Können zum Repertoire. Hier unter Bäumen war es ansteckend wie das wildeste Virus. Als Maria schwäbelte die Kwaschik, als Narr Feste sang sie zum Schifferklavier, dass es eine Freude war. Gabriele Kortmann (Kostüme) und Tamara Zenn (Maske) sind unbedingt zu erwähnen, weil, was sie schufen, gut anzusehen war, das spitze Narrenkäppchen allein war allerliebst und verleitete die Närrin zwanglos zu Unschuldsmiene und einer Illusion von mädchenbraver Treuherzigkeit. Die zweifarbigen Gesichter ließen einen Neugierigen schon vor dem Einlass fragen, welche der Farben die echte sei. Die Antwort des Befragten: beide. Nun denn: Regie und Dramaturgie (Miriam Szwillus) haben nicht nur eine Spielfassung gefunden, die zwanglosen Rollenwechsel ermöglichte, sie haben auch die Texte von Prolog und Epilog gemeinsam verfasst und die fügten sich nahtlos an.           www.shakespeare-company.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.

 


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