Shakespeare: Othello; Staatsschauspiel Dresden
Nein, „Othello“ ist kein Flüchtlingsdrama. „Othello“ ist auch kein Rassismus-Drama, obwohl Rassismus eine keineswegs flüchtige Substanz der Tragödie ist. Der Rassismus liegt bei Figuren des Spiels, nicht etwa bei Shakespeare. Er ist da, aber nicht im Sinne eines Themas. Das Thema in „Othello“, es sei, man mag es absichtlich verkennen, ist ein anderes. Was genau, darüber ist Verständigung möglich. Als in den Siebzigern „Othello“ plötzlich wieder in Spielplänen auftauchte, brachte Georg Hensel das mit einer spürbaren Tendenz der Entpolitisierung des deutschen Theaters nach der Erfahrung der Sechziger in Verbindung. Was Zadek in Hamburg (mit Ulrich Wildgruber und Eva Mattes) und Hollmann in Basel (mit Christoph Quest und Susanne Tremper) trieben, war wohl mehr oder minder nah bei Shakespeare in der noch einigermaßen frischen Übertragung durch Erich Fried, aber es war Menschen-Drama, nicht Welt-Drama. Nur weil Eifersucht und Manipulation in einem Bühnenwerk sichtbar und hörbar sind, heißt das nicht automatisch, dass zeitgenössische Einspielungen gar nicht anders können dürfen, als davon absehen. Ganz abgesehen davon, dass Leidenschaften, Passionen eine universelle Sprache sprechen, sie brauchen weder den Gebärdendolmetscher noch den Symbolmaler. Wenn, fragte Hensel 1976, Regisseure vielleicht gar nicht „Othello“ haben wollen, warum stellen sie ihn dann trotzdem auf die Bühne?
Oberflächlicher und darum heftiger als „Der Kaufmann von Venedig“ hat „Othello“ das Problem der Darstellbarkeit des Helden. Nicht das tatsächliche Problem freilich, denn viele, viele Regisseure und viele, viele große Darsteller haben das Nicht-Problem mehr oder minder wunderbar bewältigt. Das zugerechnete Problem rollte künstlich Steine in den Weg, die zudem auch noch künstliche Steine sind. Wir hatten plötzlich eine Black-Facing-Debatte, vom Zaun gebrochen von den üblichen Verdächtigen, und die Verdächtigten fielen darauf herein, wie in „Othello“ alle auf Jago. Sie nahmen den Schein als Sein und wurden panisch. Wenn Druckabbau zur Kernidee einer Regie wird, ist der Versuch schon fast verloren, ehe er unternommen wurde. Othello ist ein schwarzer Feldherr in Venedig, wie genau er wurde, was er ist, wenn das Spiel anhebt, hat Shakespeare sich nicht zur Darstellungspflicht gemacht. Wie es zu der seltsamen Liebe zwischen dem „Mohren“ und der weißen Senatorentochter Desdemona kam, das freilich hat er sehr ausführlich erzählt, Desdemona selbst darf der Hergang detailreich schildern. Dass Vätern Schwiegersöhne nicht passen, war weder zu Shakespeares Zeiten ein Novum noch wurde es später dazu. Warum Schwiegersöhne Vätern nicht passten, hat weit öfter mit Status und Einkommen zu tun gehabt seit biblischen Zeiten als mit der Hautfarbe des Kandidaten. Auch in „Othello“ bewegt es wirklich nur Vater Brabantio.
In Dresden hat Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, ein in Belgien lebender, englisch sprechender Isländer, wenn ich richtig verstand, was Ahmad Mesgarha in seinem sehr persönlichen Vorspiel auf dem Theater vortrug, das Scheinthema der Farbigkeit der Titelfigur einfach und elegant umgangen. Mesgarha, in Dresden ein ausgemachter Publikumsliebling, erzählte von sich, seiner Vergangenheit als DDR-Bürger mit persischem Vater, von Pionier-Zeit und NVA-Zeit, davon, dass er mit seinem Namen nie Schwierigkeiten hatte, wohl aber mit der Verblüffung anderer darüber, dass er so gut deutsch sprach. Der Name habe ihm erst in der Jetztzeit Fragen eingebracht. Sein Bekenntnis für den Abend: Mein Name ist meine Maske. Dennoch rückt auch sein „Othello“ nicht stärker in den Mittelpunkt, als es die Rolle hergibt. Erst gegen Ende, als bei Peter Zadek vierzig Jahre früher eine von schwarzer Farbe befleckte Eva Mattes den Tod fand, findet in Dresden eine Katharina Lütten den Tod, nachdem sie mit ihrer weißen Farbe den guten Anzug Othellos befleckt hat: motivische Umkehr, die vielleicht tatsächlich eine Anspielung anzeigt auf Inszenierungsgeschichte. Zadek war ja nicht irgendwer im Geschäft. Während einst aber Eva Mattes fast über Nacht in aller Munde war, auch weil sie splitternackt spielte, hätte Katharina Lütten wohl nicht einmal solche Nacktheit aus ihren mehrfachen Verlegenheiten geholfen, gut, dass der Versuch einfach unterblieb. www.staatsschauspiel-dresden.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.