Shakespeare: Othello, Theater Rudolstadt

Ein in seinem anonymen Schaffen als Gagschreiber für das nachmittägliche Unterschichtenfernsehen offenbar unterforderter Autor hat unter dem freilich leicht anzüglichen Pseudonym Shakespeare dem Rudolstädter Theater eine Klamotte eingereicht, der er den Titel „Othello“ gab. Wohl schien der Regie (Carlos Manuel) der ganze Plot einigermaßen dämlich, doch bestrebt, auch dem Nachwuchs minderen Talentes bisweilen eine Chance zu geben, nahm sich das Haus des Werkes an. Zwar wirkt jede Nanoaufdampfung in ihrer Dicke und Tiefe verglichen mit diesem „Othello“ wie ein Marianengraben oder ein Mont-Blanc-Massiv, aber es kommt im Text vergleichsweise häufig ein Neger vor, also ein Mohr, also ein farbiger Mitbürger mit afrikanischem Migrationshintergrund. Was die wunderbare Gelegenheit bietet, ein Vorspiel auf dem Theater anzudocken, in dem der spätere Darsteller des Othello (Benjamin Griebel), geschminkt wie der komische frühe Hollywood-Tonfilm-Neger Al Jolson, eine Art ostthüringische Publikumsbeschimpfung vorträgt. Des Sinns, dass wir alle,  die Zuschauer, so eine Art Rassisten sind, mit unserem rassistischen Humanismus vom Ausbeuten der dritten Welt vollgefressen, und nun darauf warten müssen, dass uns endlich der Hunger und die Not ereilen. Benjamin Griebel war angehalten, Pidgin-Englisch zu sprechen und dann das Stück von diesem Shakespeare anzukündigen. Man muss sich nur erinnern, wann Handke seine Publikumsbeschimpfung in die weite Theaterwelt jagte, um zu sehen, wie uralt solche Attitüde ist, aber auch Heesters war ja alt und sang trotzdem noch vom Maxim, in das er mit dem albernen weißen Schal um die Faltengurgel immer gehen wollte.

Mitten in dem allgemeinen Klamauk auf der Bühne, das Spanplattenbühnenbild von Vincenz Gertler wurde variabel geschraubt mit Akku-Schrauber und zerhauen mit einem silbrigen Baseball-Schläger, trieben fremdartige Textteile an den Zuschauerohren vorbei, von denen einige den Saal mangels Begeisterung vorzeitig verließen. Diese Textteile wirkten, als wären sie hineinkopiert in den Rest. Ich stehe nicht an zu vermuten, dass die Pause, die im Interesse der Parkettfülle gestrichen wurde, größere Fluchtbewegungen mit sich gebracht hätte, so aber hielten die Verbliebenen tapfer aus, bis Othello der eben erwürgten Desdemona eine Kippe in den Schlund geschoben hatte. Was für ein Theaterabend! Auch ich, ich gebe es gern zu, war bisher der irrigen Auffassung, es handele sich bei „Othello“ um eine der großen Tragödien Shakespeares, und damit der ganzen Welt. Ich hatte tatsächlich geglaubt, dieser Jago sei einer der großen Schurken der Theaterliteratur und nicht dieses Intrigenmöpschen aus der GSZS-Retorte. Wie man sich täuschen kann. Bei Shakespeare gibt es einen Hintergrund, es gibt Zeitumstände, es gibt, wie soll man sagen, Text. Alles Blödsinn, alles Mumpitz. In Wirklichkeit sind Othello und Desdemona ein dauerrammelndes Paar, Bianca hat sich in einen Mann verwandelt (Markus Seidensticker), der angelegentlich dem Florentiner Cassio (York Hoßfeld), der natürlich nur bei diesem vermufften, versifften, verstaubten alten Shakespeare ein Florentiner ist, einen ordentlich bläst.

Venedig ist vor allem Karneval (dass die Akte 2 bis 5 bei Shakespeare gar nicht in Venedig spielen, nebbich, kann man beachten, muss man aber nicht). Es wird getrötet, Papierschlangen hängen um die Hälse und alles tobt um die Holzhütte wie beim internationalen Gottlieb-Wendehals-Festival in Blömitz am Schrund. Ein Einleger im Programmheft verkündete nicht nur eine zwanzigminütige Zeitersparnis, sondern eine Besetzungsänderung. Ulrike Knobloch spielte demzufolge jene Emilia, die im Programmheft selbst noch gar nicht vorkam. Eine zusätzliche Rolle macht andernorts Stücke länger, hier brachte es weitere zehn Minuten Ersparnis gegenüber der Änderung.Vermutlich hätten, wenn alle bei Shakespeare aufgeführten Rollen besetzt worden wären, die Zuschauer sogleich mit dem Schlussbeifall beginnen können. Bleibt noch die Frage, worum es eigentlich ging. Also dieser Pferdeschwanz-Jago (David Engelmann), also der hatte von diesem Othello dermaßen die Schnauze voll, dass er ihm eine reinwürgen wollte. Dann war da noch Rodrigo (Johannes Arpe), der sich aus, ja Himmelherrgot, was denn für Gründen, in die Lagune stürzen wollte zum Zwecke der wassergestützten Selbstentleibung.    www.theater-rudolstadt.com

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


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