Horvath: Geschichten aus dem Wiener Wald, Landestheater Coburg
Mit Pause drei Stunden, das war kein Streichkonzert. Regie und Dramaturgie (Susanne Lietzow und Georg Mellert) fanden den Text des reichlich achtzig Jahre alten Stückes von Ödon von Horvath tragfähig genug, ihm Substanz und Wortlaut weitgehend zu belassen. Eine Neuerfindung ist zu vermerken, die Regisseurin hat ein Hirschlein eingefügt, das es bei Horvath nicht gibt (Julia Mahl) und mit diesem weißen Hirschlein verbeugten sich am Ende neun Darsteller, die sechzehn Rollen besetzten von den zweiundzwanzig, die im Personenverzeichnis der Dichters stehen. Thomas Straus und Rosemarie Deibel waren in je vier, Kerstin Hänel und Vivian Frey in je zwei Rollen gefordert. Das Bühnenbild (Marie Luise Lichtenthal) blieb unverändert: offene Fläche mit Laub bedeckt, im Hintergrund eine Wald-Projektion, rechts und links jene Türen, die bei Horvath in der stillen Gasse im achten Bezirk nebeneinander liegen. Mal ein Bett, mal ein paar Stühle, die Art der drei Geschäfte knapp charakterisiert durch eine Schweinehälfte, einige aushängende Zeitungen und ein Skelett. Der Wechsel zwischen Wachau und Wien so vollkommen ohne Aufwand.
Die Regie hat sich unaufgeregt der Versuchung entzogen, die bekannteste Umsetzung des Stücks, die filmische mit Helmut Qualtinger als Zauberkönig und Birgit Doll als Marianne, zu Nachwirkung kommen zu lassen, einzig der allein mit seiner Körperlichkeit rückverweisende Stephan Mertl steht freiwillig oder unfreiwillig in der Linie. Immerhin, auf der Bühne war der erste Zauberkönig im November 1931 ein gewisser Hans Moser, viel später spielte in Berlin am Schillertheater Curt Bois den Vater, der die Tochter verstößt. Stephan Mertl hat seine Sache sehr gut gemacht. Im Mittelpunkt des Stückes aber steht Marianne und die Coburger Marianne heißt Anna Staab. Sie war zuletzt Maria Stuart, Lena, Agnes, da kommt einiges zusammen an Rollen, die sich nicht einfach so abspulen lassen aus Routine und Kniff. Diese Marianne, die von Niedrigen erniedrigt wird, eine Madonna des achten Bezirks (beide Alfred-Polgar-Formulierungen sind so gut, dass sie von einem Spätgeborenen nicht übertroffen werden können), steht über den anderen Figuren und muss sich klein machen, sie ist klüger und fragender und muss sich dumm nennen lassen, sie muss höchstfliegende Liebe und schulterhängende Resignation einen. Das ist eigentlich zuviel für eine Darstellerin, so gut sie auch sei.
Sebastian Pass spielt den Alfred, der fast als einziger sich selbst nüchtern sieht, Schuld erkennt, Schwachheit einräumt, den aber keine Erkenntnis zu irgendwelchen Konsequenzen verleitet und der, wenn er sich denn nur andeutungsweise zeigt, immer den bequemsten Weg nimmt. Die Strizzi-Typik verfremdet er nicht, wie auch Vivian Frey als der Hierlinger Ferdinand voll das Klischee bedient und sich zugleich als hessisch „babbelnder“ Neffe des Zauberkönigs die heftige Karikatur Erich leistet, der fast unbemerkt ein Judenhasser und ein Rassist ist. Nils Liebscher muss den wenig dankbaren Part des Schlachters Oskar bringen, dem die Kontrastfigur Havlitschek genommen wurde. Er verkörpert die böseste Drohung des ganzen Textes, Marianne könne seiner Liebe nicht entkommen, nicht bis ins letzte. Sein Biss als Kuss zu Beginn, sein Judowurf als Einlösung des Pfänderspiels beim großen Verlobungsjokus an der schönen blauen Donau sind mehr Behauptungen als Versinnlichungen. Da war es den Damen Kerstin Hänel, die Alfreds Mutter und Valerie, die Trafikantin spielte, und Rosemarie Deibel, die vor allem die böse, böse Großmutter, aber auch die Tante Henriette, das Fräulein Emma und die Baronin spielte, fast leicht gemacht, zu glänzen, wenn auch bisweilen urplötzlich zu laut oder zu schrill.
Es sollte gelacht werden und es sollte, so hörten die Teilnehmer der Einführung vorher, das Lachen dann auch mal im Halse stecken bleiben. Beides funktionierte und einen hohen Anteil daran darf sich Thomas Straus anrechnen, der als ständig die Quoten erfragender Rittmeister noch lediglich zum Schmunzeln animierte, dann aber in Tüllröckchen oder als Halb-und-Halb-Figur die lauten Lacher auf seine Seite zog. Es ist natürlich vollkommen legitim, in einem Volksstück, das das Volksstück verulkt, mit einer einfachen Großbadehose das Publikum zu belustigen (Stephan Mertl), das offenbar zu einem erstaunlichen Teil die Geschichte selbst nicht kannte. Dann aber, als Marianne vor dem weißen Hirschlein kniete, welches zum Text des Beichtvaters, der die Absolution verweigert, die Lippen bewegte, bewies die Regie, wie dass Kippen gelingen kann. Marianne klagt Gott an, das veraltet nicht.
Selbst die vielen versteckten Bezüge auf den Klassiker aller Klassiker, auf Goethe, die Ödön von Horvath hinterlistig in seinen Text gebaut hat, sind weitgehend erkennbar geblieben. Am straffsten gekürzt wurde die längste Szene des dreiteiligen Stücks, der Heurigenabend und die Geschichte im zwielichtigen Nachtclub Maxim. Dafür, wiederum zutiefst verständlich, wurde eine großartige Slapstickidee bis an die Grenze ausgepielt: Marianne, barbrüstig nach der Liebesszene am Donauufer (blaues Licht von oben und schon ist diese „Donau“ blau), wird gleich von drei Figuren aufgefordert, sich anzuziehen und um das zu beschleunigen, ziehen alle drei sich selbst aus und haben dann alle Mühe, ihre Sachen wieder zu finden im Haufen Bedeckung, den wild entschlossen Marianne verweigert. Und kam da nicht die Trafikantin mit Rasierschaum unter der Nase aus ihrem Laden? Kampf dem Damenbart?
Zweimal hat Susanne Lietzow Darsteller Regieanweisungen Horvaths per Mikrofon vortragen lassen und damit dem Publikum Mühe erspart, stummes Spiel deuten zu müssen, früher hätte man das wohl Verfremdung im Sinne Brechts genannt. Was an Musik und Gesang zum Einsatz gelangte (Gilbert Handler), passte, und war zeitbedingt etwas härter als einst vor Operettenhintergrund entworfen. Dass die Inszenierung Lust auf mehr Horvath von dieser Hand macht, sei verraten. „Es ist sehr schwer, eine derartige Komödie mit doppeltem Boden sinngemäß zu inszenieren und dem Publikum, soweit es einfältig ist, den Doppelcharakter des Ganzen anschaulich zu machen.“ Behauptete nach der Berliner Premiere 1931 der Dresdner Erich Kästner. Auch ein weniger einfältiges Publikum macht es nicht nennenswert leichter. Weil in Coburg zur Premiere nicht alle Plätze besetzt waren, klatschten die, die gekommen waren, für die Fehlenden mit. Mit gutem Grund.
www.landestheater-coburg.de