Williams: Die Katze auf dem heißen Blechdach, Landestheater Eisenach
Wer die bis heute sicher verbreitetste Verdeutschung des berühmten Williams-Stückes von Hans Sahl gelesen hat, könnte meinen, dass Regie und Dramaturgie dieser Inszenierung (Jens Pesel/Gerda Binder) an einigen Stellen hinzu erfunden haben zu dem, was im Urtext ein wenig verdruckst klang. Der Blick ins Programmheft aber klärt auf. Erstens spielen die Meininger die Fassung von Jörn van Dyck, zweitens sind in diese Fassung offenbar Text-Passagen reintegriert, die in den fünfziger Jahren in den USA der Zensur zum Opfer fielen, beispielsweise die schöne Geschichte vom alten Elefanten, der sich noch nicht auf das reine Erdnuss-Teil zurückziehen wollte, die Big Daddy nach der Pause erzählt.
Die Meininger Premiere des Kammerspiels in drei Akten von Tennessee Williams war vor elf Monaten, die Eisenacher am 14. Januar. Wenn ich also heute geneigt bin, zu behaupten, dass mir diese Produktion den Glauben an das Traditionshaus zurück gegeben hat, den ich zuletzt wanken sah bis zur Bedenklichkeit, dann ist das eine Aussage mit Tücken. Denn die jüngsten Fehlleistungen erblickten ja nach dieser „Katze auf dem heißen Blechdach“ das Licht der Bühnenwelt. Dennoch will ich es und zwar reinen Herzens, ohne Arg und Hinterlist, ganz naiv behaupten. Diese gehobene amerikanische Jerry-Springer-Show ist viel weniger Jerry Springer, ist viel mehr großes Bühnenkino, als die pure Lektüre vorstellbar macht. Und dieser Regisseur Jens Pesel hat alle seine Darsteller zu einer sehr ansehnlichen Leistung getrieben. Ohne Mätzchen, ohne billige Einfälle.
Vielleicht ist, das wäre ja keine direkt in eine düstere Zukunft weisende Prognose für das Haus, diese Truppe im Ganzen mehr für moderne Klassiker als für DIE Klassiker gebaut. Was hat allein diese aus Suhl stammende Josephine Fabian (Jahrgang 1983, da verschweigt man sein Geburtsjahr noch nicht) für eine präsente Margaret auf die Bühne gestellt. Sie hat im ersten der drei Akte im Grunde einen nur der Form halber bisweilen unterbrochenen, fast nicht enden wollenden Monolog zu sprechen. Das macht sie nicht nur wacker, das macht sie eindrucksvoll und sie erinnert ebenso an Elisabeth Taylor unter Elia Kazan, wie sie sie vergessen lässt. Sie schafft es sogar, den nicht ganz zu verdrängenden Eindruck einer positiven Titelheldin glaubhaft zu relativieren und eben nicht nur mit dem Satz, mit dem sie bekennt, nicht gut zu sein, sie zeigt es auch im Gesicht, sie verzieht ihre Lippen, sie ist nicht die Dame, als die sie erscheint. Bei Tennessee Williams ohnehin nicht.
Liljana Elges hat den Mut zur Hässlichkeit ihrer Figur. Sie steigerte sich mit dem Text, den sie zu sprechen hatte, sie war als „Zuchtkuh“ Mae und Mutter der halslosen Monster, als Gattin des Anwalts Gooper (Renatus Scheibe) eine Rollenbesetzung, die nichts zu wünschen übrig ließ. Sie brachte die Nuancen vom explodierenden Eifer, von der geifernden Zicke bis zur stummen Kofferträgerin bruchlos. Auch Marianne Thielmann, die dritte Frau des Abends, sie in der Rolle von Big Mama, die sich die bösesten Beschimpfungen und Beleidigungen aus dem Munde des zum Krebstod verurteilten Big Daddy anhören muss, war gut. Sie vermied Überzeichnungen, wie sie bei Mutter und Schwiegertochter in diesem Spiel schon von der Rollenanlage her drohen. Im dritten Akt, zwischen Sofa und Sessel, eingekreist von der fast durchweg verlogenen Bande (inklusive Ulrich Kunze als Doktor Baugh), die sie auf durchaus sadistische Weise zu trösten sucht, hat sie die stärksten Momente.
Hans Joachim Rodewald ist Big Daddy. Das Meininger Urgestein, Verzeihung, muss niemandem mehr beweisen, was er kann. Er ragt unter den guten Leistungen aller noch heraus und sollte sich von keiner ihm je Traditionalität bescheinigenden Stimme irritieren lassen. Dieser reich gewordene einstige Plantagenaufseher mit den beiden Söhnen, mit der Frau, mit der er, wie er sagt, viel zu lange geschlafen hat, mit der attraktiven Schwiegertochter, die ihm mehr als nur so einfach gefällt, ist eine Rolle für gestandene Männer, sie muss nicht mit Bauch gespielt werden, es geht auch sehr gut schlank wie Rodewald. Der große Dialog im zweiten Akt, der die Spannung bis zum Knistern steigert und in dieses Knistern hinein kommt Reinhard Bock als Reverend Tooker und fragt nach der Herrentoilette, dieser Dialog verlangt alles von Rodewald und der packt alles aus.
Dann ist da noch der in Bozen geborene Lukas Spisser als Brick. Die Rolle meint es brutal mit ihrem Darsteller, denn der darf lange fast nichts. Außerdem war da einst und fast für immer Paul Newman mit den stahlblauen, ständig verloren ins Weite gehenden Augen, die vielleicht drohten oder innerlich beunruhigten. Doch auch Spisser fand, als er endlich durfte und nicht nur einen Monolog zu unterbrechen hatte, auf das Niveau der Inszenierung. Es bleibt in deren Schwebe, worum es nun schließlich wirklich ging in seinem zunächst genossenen, zunächst fast zelebrierten Weltekel, den Big Daddy überraschend ansatzlos durchschaute. Ob um ein Drama der Impotenz, ein Drama der Homosexualität. Was in den fünfziger Jahren der verklemmten USA, wo heute noch eine stillende Mutter auf dem Cover einer Apothekenzeitschrift einen Skandal auslösen kann, Drama war, kann in Meiningen und Eisenach längst fast vernachlässigt werden.
Natürlich geht es im gesamten Stück um Erbe, natürlich wird die Welt um diese Familie und ihren Kreis herum als Welt der Lüge schon im Stücktext bezeichnet. Maggie, die Katze auf dem heißen Blechdach, ist lieber reich im Alter als arm. Sie lässt es dafür, im Bild zu bleiben, sehr heiß unter den Füßen werden. Und um auch das noch loszuwerden: Die Idee, an Nachmittagen um 15 Uhr zu spielen, ist eine sehr gute Idee. Das Eisenacher Haus war gut gefüllt, das Publikum war verständig, der Beifall kam, bitte um Nachsicht, offenbar von Herzen. Meiner auch.