Moliere: Der Menschenfeind, Nationaltheater Weimar
Man kann diesen „Menschenfeind“ fast zwanglos als Tragikomödie des moralischen Fundamentalismus sehen. Alceste verlässt am Ende die Gesellschaft, weil die Welt nicht ist, wie er sie sich wünscht. Die Frage, ob sie besser wäre, wenn sie wäre, wie sie sollte, ist eine andere. Wir neigen heute, nicht nur, weil der Internationale Frauentag noch keine Woche vergangen ist, dazu, mit Celimene zu sein und nicht mit diesem Veganer der Moral, auch wenn dereinst sich Moliere selbst in ihm verkörpern wollte. Vielleicht verteilen sich auch Sympathien nach Alterspyramide, vielleicht ist dieser Misanthrop, der ja keineswegs mies ist, der Jugend nahe, deren Privileg das unverzagte Urteil ohne Kenntnis des Lebens bleibt, während die Älteren, gar die Reifen, mit Philinte gehen, dem das Hoppeln der Hasen vertraut ist, der die Schwachheit des Fleisches kennt, der den Stab nicht bricht, weil solche Brüche irreparabel bleiben.
Peter Staatsmann hat das bald 350 Jahre alte Werk für die kleine Bühne im Foyer III des Weimarer Theaters in Szene gesetzt, Ann Heine einen hölzernen hellen Bühnenraum gebaut mit nur einer Tür und einem Kamin in der hinteren Mitte, ein paar Stühle sind parat und das war es schon. Die Kostüme (Sabine Thoss) sind heutig, vordergründige Modernisierungen unterblieben zum Nutzen des Stückes. Fußnote: Das Programm präsentiert sich außerordentlich aktuell, Benjamin Korns zweiseitiger Essay, den es zitiert, stand erst am 2. Februar in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Gespielt wird die deutsche Fassung von Jürgen Gosch/Wolfgang Wiens, die Arthur Luthers Übertragung nicht gewaltsam ausweicht und manchen Holpervers wohl sehr bewusst auch beibehält. Bert Wrede hat Musik beigesteuert, die sich anfügt. Knapp zwei Stunden dauert alles ohne Pause und beim Gehen sagte eine der schönen lachenden Frauen aus dem Publikum, es haben fast ausschließlich Frauen laut gelacht an diesen Abend: „Eins verstehe ich nicht: was alle Männer an diesem Mädchen mit dem grünen Röckchen und dem weißen Blüschen so toll finden.“
Dies wäre eine Frage, die man an den Abend richten könnte, falls man sich weiblicher Blickschärfe auf andere Weiblichkeit anschließen wollte, hier sei es ausgeblendet. Denn es hat einen mehr als nur passablen Abend gegeben, der viele Zwischenlacher, auch Szenenapplaus hervorlockte und wenn eine klassische Komödie das vermag ohne dramaturgische Botox-Aufspritzungen, dann soll das nicht kleiner geredet werden. Nicht jeder Bühnenabend muss sich der Griechenlandrettung oder dem Terrortrio zuwenden, um dem Theorie-Schiller gerecht zu werden, der ja auch in Weimar nur vor dem Theater auf dem Sockel steht. Hier ist Alceste ein Mann (Michael Wächter), der zum Ende fast Mitleid erregend hilflos an der Wand steht, von allen lachenden Frauen des Abends hätten wohl nicht wenige die tröstende Mütterlichkeit in sich nicht unterdrückt, wenn er sich an ihre Brust gelehnt hätte, sich übers Haar streichen zu lassen. All seine Wahrheit, all seine Geradlinigkeit, alle Liebe, alle Eifersucht helfen ihm nicht.
Celimene (Jeanne Devos) entscheidet sich überzeugend gegen die hochtrabende Phrase des Liebenden, verweist überzeugend auf ihr Alter von erst 20 Jahren, das Alter, in dem man der Welt nicht entsagt, weil die Welt und Alceste nebeneinander auf der Waage dann doch arg unterschiedliche Volumina darstellen. Zu ihren Gunsten spricht, dass auch die Männer, die sich scheinbar unverständlicherweise werbend um sie scharen wie einst die Freier um die Gattin des abwesenden Odysseus, nicht jene Hin-und-Weg-Männer sind, die nur „Schau mir in die Augen, Kleines“ sagen müssen. Christian Klischat ist Oronte, der Dichter, der jeden zum Abdruck von Lesergedichten durch seine Chefredaktion verdonnerten Lokalredakteur zu Verzweiflung treiben würde. Klischat trägt sein „Sonett“ so vor, dass das Publikum an seinen Lippen hängt, seine Mimik befeixt und dann auch klatscht mittendrin. Markus Fennert (Clitandre) und Bastian Heidenreich (Acaste) dürfen ein abgefeimtes Bündnis schließen, das beiden Balztänzern körperliche Unversehrtheit sichert im Fall eines absehbaren Sieges des jeweils anderen. Um Celimene geht es hier und immer in diesen zwei Stunden eigentlich nie, weshalb sie auch staunend bleibt bis zu ihrem Abgang. Sie versteht die Welt nicht, weil sie so eben nicht zu verstehen ist.
Nina Mariel Kohler und Johannes Schmidt sind das sich gegen Ende endlich findende Paar Eliante und Philinte, sie sind das verkörperte lebende Leben auf der genannten Waagschale. Schmidt hat deutlich mehr Text und er muss auch lange auf der Bühne sein, wenn er keinen Text hat, weil Alceste seine Überzeugungen herbetet. Das sieht gut aus, wie er es macht, seine Partnerin hat es schwerer. Bleibt Elke Wieditz als Arsinoe, die einen Zickenkrieg anzettelt vom Feinsten, alle Kampfesphasen zwischen Scheinsieg und schweren Gegentreffern gestisch und mimisch so meistert, wie man es wohl immer meistern sollte, wenn man in einem reinen Dialog-Stück agieren muss, wie witzig auch jeweils jeder Wortwechsel sei. Weil in den hölzernen und begehbaren Kamin schließlich noch ein Flachbildfernseher gestellt wurde mit Schleife drum und dem Flackern eines Kaminfeuers in HD-Farbe, will ich nur noch auf die nächsten Aufführungen hinweisen: 15., 23., 24. 31. März, 14. April, 4. und 23. Mai. Kann sein, dass die Karten schon rar sind.
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