Shakespeare: Othello; Landestheater Coburg

Regisseurin Konstanze Lauterbach begreift ihre Arbeit an „Othello“ offenbar schönheitschirurgisch. Die gealterte Schönheit dieser Tragödie, weniger mit sich selbst unzufrieden als von ihren falschen Lieberhaberinnen und Liebhabern zu dieser Sicht gedrängt, wird aufgespritzt und aufgepolstert, theatralisches Botox unter die Haut, dramaturgisches Silikon, wo immer es sich implantieren ließ, dazu eine Sprachkur, gegen die Vergewaltigung als Beweis von Zärtlichkeit zu sehen wäre. Gespielt wird ein Mix aus drei neueren Übersetzungen, was den Vorteil hat, dass niemand nachprüfen kann, was da gespielt wird. Gesprochen wird nicht hohe Tragödiensprache, gesprochen wird nicht einmal platte Alltagssprache, gesprochen wird ein widerlicher ordinärer Mix von Scripted-Reality-Sound des Hartz-IV-Nachmittagsfernsehens unserer lieben privaten Abspielsender. Es geht auch zu wie dort, armer Shakespeare. Eine der, im Sprachlevel der Inszenierung zu bleiben, abgefuckten Preudo-Ideen des Abends: Jago mit einer Frau zu besetzen, mit Kerstin Hänel. Sonst gilt in der hohen Kunst Ideenklau als ehrenrührig. Wenn es um kontrafaktische Rollenbesetzung geht, gilt es als hip, bis der Arzt kommt. Hier also Kerstin Hänel, seit 2011 fest im Coburger Ensemble und schon mit sehr überzeugenden Leistungen zu sehen gewesen. Was aber war das jetzt? Die Idee fraß sich selbst.

Denn die Regie wusste sich, vermutlich vor allem aus militärischer Voll-Ahnungslosigkeit heraus, aus ihrer Idee nicht stimmig herauszuhelfen. Wenn ich Jago, den kleinen und dennoch klassischen Bösewicht dieser Tragödie, der nur deshalb erfolgreich ist, weil er in einem Milieu von Blinden, Blöden und Begriffsstutzigen agiert, von einer Frau spielen lasse, dann kann das eventuell nur ein Spielangebot an eine Frau sein, die, mit Verlaub, wegen ihres biologischen Alters, einfach nicht mehr genügend gute Rollen bekommt von ihrem Haus, weil das Haus zu wenig auf sie passende Stück im Spielplan hat. Eine gute Idee wäre das immer noch nicht. Hier aber wird Jago nicht nur von einer Frau gespielt, Jago ist nach dem setzenden Willen von Konstanze Lauterbach eine Frau. Die erste Konsequenz: Emilia kann nicht die Frau einer Frau sein, wird also in Jagos Schwester umlackiert. Bliebe die Frage nach den Eltern der Schwestern, die dämlich genug waren, ihre Tochter Jago zu nennen. Man kennt Jaga aus Literatur und Märchenfilm als die Hexe Baba Jaga, ein weiblicher Kasernenhof-Feldwebel Jago ist neu und sollte rasch wieder vergessen werden. Denn auch die krudeste Regie-Idee verlangt nach Stimmigkeit, nach innerer Stimmigkeit. Hier fehlt sie.

Jago als Frau ist ein militärisches Unding. Es ist nicht nötig, die schon bei Shakespeare eher sachferne Kombination von General und Leutnant oder gar General und Fähnrich noch weiter in die Unmöglichkeit zu drängen. Noch Jahrhunderte nach Shakespeare war ein weiblicher Unteroffizier undenkbar. Konstanze Lauterbach hat, in vermutlich nahe liegender weiblicher Ahnungslosigkeit sich nicht vorstellen können, dass ein übergangener Fähnrich wegen ausbleibender Beförderung zum Leutnant (Leutnants sind im wirklichen Militär Massenware, in der Literatur wie auf dem Theater kamen sie eine Zeit lang häufiger vor als fast alles sonst) eine solche Intrigensau werden kann. Was sie sich gut vorstellen konnte, nicht nur weil sie in „Othello“ ja ohnehin eine tragende Rolle spielt, ist Eifersucht. Also mixt sie ihrem Slipeinlagen-Jago Eifersucht bei, unterstellt sie ein früheres Verhältnis zwischen dem General und der Unteroffizierin. Das ist theoretisch vielleicht denkbar, trotzdem unwahrscheinlicher als das Auftreffen eines Kleinmeteoriten in der Coburger Kostümschneiderei während der Kaffeepause. So ist also ein ganzes Konstrukt schon hinfällig, ehe es gespielt wird, es funktioniert nicht. Nun kommt aber eines hinzu: Kerstin Hänel spielt nahezu durchweg eben keine Frau Jago, sondern gibt sich so klischee-männlich wie nur irgend möglich.

Sie sitzt breitbeinig, sie spricht feldwebeltonal, scharf, hart, abgehackt, sie bewegt sich, mit Bitte um Verzeihung an alle Genderlehrstühle sage ich das, unweiblich. Nur einmal schmust sie an Othellos Rücken, man soll wenigstens ahnen, dass da was war. Es ist, das Thema zu beenden, nicht nur ein weiblicher Fähnrich in der Armee Venedigs undenkbar, es ist auch die vorgeblich enge Zusammenarbeit, die überragende militärische Rolle eines Fähnrichs für einen General undenkbar. Sie kann ihm die Dienste gar nicht geleistet haben, selbst wenn sie ein ER wäre. Das stünde dann aber im Register von Shakespeares Sünden. Einmal mittendrin (nach der Pause) erscheint sie in einem bunten Folklorekleid, warum, bleibt das Geheimnis der Regisseurin, die auch als Kostümverantwortliche im Programmheft steht. Vieles bleibt ihr Geheimnis. Die Bühne (Ariane Salzbrunn) ist bestückt mit allerlei Seltsamkeiten; hinten hängt ein Sandsack, wie man ihn aus diversen Boxstudios in Film und Fernsehen kennt. Bisweilen senkt sich von oben mit Krone nach unten ein Nadelbaum. Vorn links steht eine Badewanne, an der Emilia urplötzlich heftig zu schrubben beginnt, nachdem sie gerufen hat: ich habe Hunger. Kontrafaktische Gestik gehört auch ins Regiekonzept. Sie löffeln und löffeln, sagt Emilia und gestikuliert dabei vom Mund weg.

Kurz noch die Implantate aufgezählt: Rassismus, Chauvinismus, Herrenmenschentum, Zypernfrage.
Das alles muss man in „Othello“ hinein interpretieren, denn heraus interpretieren lässt es sich nicht. Somit wäre der übliche Betrug am Zuschauer vollzogen, man lockt die Theatergänger mit dem Namen Shakespeare, kündigt eines seiner vielen wunderbaren Werke an, Komödie, Tragödie, Königsdrama – und spielt dann, was einem auf dem Klo so alles eingefallen ist. Was man für aktuell hält im schlimmsten Falle. Doch schafft es selbst das österreichische Aktualitätshascherl Elfriede Jelinek nicht, alles in ihre Textflächen in einem Tempo zu packen, das mit den Medien halbwegs Schritt hält. Da aber neuerdings die Massenmedien wie die sozialen Medien Themen erst aus den Fingern lassen, wenn sie totgeritten sind, kommt nachvollziehende Kunst immer und immer dramatischer zu spät. Mehr, als dass es schlimmen Rassismus gibt mit schlimmer Sprache, zeigt ja auch dieser Botox-Othello aus dem Hause Lauterbach nicht. Das aber weiß jeder, es zu hören, muss er in kein Theater, schon gar nicht für teures Geld. Ein Implantat fällt aus dem Rahmen: Verdis „Othello“ in der Inszenierung von Walter Felsenstein, dem legendären Intendanten der Komischen Oper Berlin. Musik und Film kommen als Einspiele mit wunderlichen bis seltsamen Nebeneffekten.

Im Felsenstein-Film sieht man den Titelhelden selbstverständlich mit gefärbtem Gesicht, des Kontrastes wegen weiß gewandet. Gleichzeitig steht Nils Liebscher, der Unglücks-Othello Coburgs, mit weißem Gesicht in schwarzer Gewandung auf der Bühne: Stinkefinger an die Blackfacing-Debatte. Verdis grandiose Opernmusik verwandelt den Coburger „Othello“ phasenweise in einen alten Hollywood-Film, in dem die Musik die Akzente setzt und zwar meist melodramatisch. Oper-Ästhetik, die Regisseurin weiß das natürlich, ist nicht Dramen-Ästhetik. Bisweilen aber verdoppelt sie die Szene: Man sieht aus dem Film, was man auch auf der Bühne sieht. Allenfalls ein netter Effekt, Sinn macht das keinen. Über allem aber, endlich muss es heraus, lastet eine wahrhaft katastrophale Schauspielerleistung, die natürlich Schauspielerführung ist. Denn der Mime mimt, was ihm gesagt oder bei ihm nicht korrigiert wird von der Regie. So haben wir denn im großen und ganzen einen schlimmen Knallchargen-Abend, der weh tut. Denn alle diese Darsteller und Darstellerinnen sind besser, wesentlich besser, als sie in diesem „Othello“ zeigen dürfen. Da taumelt Nils Liebscher buchstäblich den halben Abend über die Bühne, als wäre er Uwe Seeler und hätte eben das Wembley-Finale 1966 verloren. Seeler aber war nur zu oft im Ohnsorg-Theater gewesen.

Desdemona (Solvejg Schomers) ist vor allem eine backfischige Kichererbse mit seltsamen Ausflügen in die Polit-Influenzerei. Warum sie gegen Ende in selbstmörderischer Dauerschleifen-Rede die Rehabilitation des Leutnants Cassio fordert, erschließt sich aus der Inszenierung nicht, aus dem Stück im Original kaum. Zu reinen schlimmen Witzfiguren degradiert sind der Doge (Bernhard Leute), der venezianische Edelmann Rodrigo (Benjamin Hübner). Montano ist zum Statthalter-Vorgänger aufgebläht, der er bei Shakespeare nicht ist, es bleibt unklar dort. Alle, alle reden mehr oder minder krasses Rassismus-Zeugs, Lodovico (Kasten Zinser) kommt wie der Storch im Salat einher. Fähnrich Jago erschlägt am Ende erst Cassio, dann erwürgt er Rodrigo, Schwester Emilia lässt sie am Leben, anders als bei Shakespeare, was nun schon kaum noch überrascht. Die arme Kerstin Hänel muss seltsame Tänzchen aufführen, an der Seite herumzittern, während Nils Liebscher vor allem „OhOhOh“ zu stöhnen hat, dann zu rasen wie ein Muster-Psychopath. Emilia, zeitweise hinten schreitend wie die fromme Helene oder die Witwe Bolte, sie sagt, Othello brauche professionelle Hilfe, mit diesen Worten sagt sie es. „Othello“ ist in Coburg plattgewalzt, ein Blatt Seidenpapier daneben erschiene als Fels ohne Brandung. Schade, schade, singt Udo Lindenberg.

Nicht im Stück natürlich. Damit man sich unter der Sprache des Abends etwas vorstellen kann: Othello „fickt wie ein Gorilla“. Jago fragt ihn: „Willst du als Spanner zusehen, wie sie gestoßen wird?“ Gemeint ist Desdemona, die unschuldige und ahnungslose. Es ist die Rede von einer „Fickmaschine“ in diesem gemischten Chefinnen-Salat „Othello“, Jago ist ein „Frontschwein“. Bezüglich der fraglichen männlichen Teile, in Coburg dank enger Trikot alle bestens präsent, geht das Wort von der „Schwarzwurzel“ Othellos im Kontrast zum „Spargel“ Cassios. „Lang lebe unser schwarzer Freund“ wird intoniert im Tonfall amerikanischer Rekrutenausbildung, wie man sie aus Filmen kennt. „Fotze“ darf Jago natürlich auch einmal sagen. Und was ist mit dem Taschentuch? Der Theatergänger in Coburg bekommt erst so spät Aufklärung darüber, dass es zu spät ist. Alleweil gibt es die Frage, ob jemand Kaffee will, schwarz oder weiß, das sind Gags, bei denen man in den Keller gehen muss, um dort nicht zu lachen. Nachdem Othello in Endlos-Würgung Desdemona getötet hat, nimmt er auch erst einmal einen Schwarzen. Irren Blickes. Und schließlich auch noch: Warum nennt ein venezianischer General einen venezianischen Gesandten englisch „Sir“? Die Schlussfrage des traurigen Theaterabends lautet. „Und wer regiert jetzt unser Land?“ Ja, wer denn?


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