Lope de Vega: Tumult im Narrenhaus, Theater Rudolstadt
Im Jahr des 450. Geburtstages von Lope de Vega Lope de Vega zu spielen, ist vielleicht nicht die originellste Idee, eine gute aber allemal. Die Zeit, in der Lope wirkte, wird von Spaniern „Siglo de Oro“ genannt, das goldene Zeitalter. Das besagt mehr und zugleich weniger als unser aus der Kunstgeschichte einigermaßen willkürlich und mit viel Erklärungsaufwand in die Literaturgeschichte geschmuggelter Begriff Barock. Lope war einer wie Shakespeare, von denen es in jener Zeit seltsamerweise mehrere und später nie wieder welche gab. Sie waren unendlich produktiv, sie haben Dinge getan, die sich heute niemand mehr trauen würde: Sie sind dem Geschmack des Publikums mit großen Schritten entgegen gekommen, ohne deshalb das schlechte Dauergewissen heutiger um Längen schwächerer Dramatiker zu haben, deren höchstes Ziel der unspielbare Text ist.
Dennoch ist es kein Zufall, dass Theodor Wiesengrund Adorno keine Vorlesungsreihe zu „Tumult im Narrenhaus“ gehalten hat, Ernst Bloch ebenfalls nicht und keine pseudofranzösische Kippfigurentheorie mit Textflächeneinschreibungsthesen füßelt auf dieser Klamotte. Was nicht gegen sie spricht. Eher für sie. Man kann sofort und ohne Hintertürchen jeder Überlegung Valet sagen, aus diesem Komödientext Aktualitäten zu destillieren, dagegen sprechen weder die rampennahe Erwähnung eines Stadtrats noch die verballgeigten Zitate gegen Ende. Die nimmt der Zuschauer mit, er klatscht sogar, aber ohne sie hätte der Abend wenig verloren. Schon allein, weil einmal im Jahr, wenn Sommertheater ist, nicht nur echte Kostüme auf der Bühne stehen, sondern auch echte Statisten in Komplettverkleidung, Possenspiel eben und nicht der Anzug des Dramaturgen, mit einem grünen Punkt auf dem Hosenbein als Zeichen, es handle sich um einen Naturparkranger oder um einen in Unehren entlassenen Volkspolizisten aus der vorerst letzten deutschen Diktatur.
Man sieht erst einmal eine Mauer von einiger Höhe (Bühne Lars Betko), deren obere Fluchtsicherung zunächst in die falsche Richtung zu zeigen scheint, was gelernten DDR-Bürgern wiederum seltsam bekannt vorkommt. Dann erweist sich die Mauer als drehbar, sie hat nicht nur zwei Türen, sondern auch die Fähigkeit, sich in einen Hof zu verwandeln, der nach vorn offen ist. Unten gibt es noch eine Klappe, aus der Darsteller kommen, in der Darsteller verschwinden. Das reicht, viel mehr Türen sind bei solchen Komödien in den 450 Jahren seit Lope de Vegas Geburt im November 1562 nicht hinzu gekommen. Und für die Rudolstädter Spieler, die einen trockenen Abend hatten, auch wenn in der Pausenzeit dicke Wolken über die Heidecksburg strichen, reichte das. Carola Sigg, nicht Verena Blankenburg, ließ zu Beginn ein wenig Erinnerung an Schwester Ratched aufkommen, die Randle Patrick McMurphy mit eiserner Härte dressieren will im „Kuckucksnest“.
David Engelmann, Ende der vorigen Spielzeit im Sommertheater ein Chlestakow von Gogols Gnaden, ist jetzt ein lispelnder Helmträger und ein auftrumpfender Prinz, der das allgemeine Happy End einleitet, indem er enthüllt, dass nicht nur er nicht ermordet wurde, sondern auch nicht sein Diener, der seine Kleidung trug, als der Hieb Don Florianos ihn irrtümlich und dennoch nicht final erwischte. Don Floriano (Marcus Ostberg) ist sehr froh deshalb, denn der Grund, der ihn ins Narrenhaus trieb, ist damit hinfällig und Johannes Arpe, der Arzt, zieht ebenfalls Gewinn aus der Nachricht, denn er hört, dass nicht einmal die Künste eines Arztes bei Behandlung der Verletzung das Leben des Dieners auslöschen konnten. Arpe hatte erst nach der Pause seinen großen Auftritt und man konnte froh sein, dass die Regie (Alejandro Quintana) sich von der Kritik-Forderung, nach der Pause zu straffen, nicht beeindrucken ließ. Dann hätte er die Pause ganz streichen können.
Nicht nur Don Floriano ist keinesfalls irre, auch jene Dame nicht, die eingangs durch die untere Luke gekrabbelt kommt, nachdem sie mit ihrem Diener (Jörg Schlüter), diesem Liebe vorgaukelnd, dem väterlichen Zugriff und dessen Heiratsplänen entflohen ist. Die Dame mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Namen Erifila, im Narrenhaus dann Elvira, wird von Anne Kies gespielt und weil Anne Kies in jüngerer Vergangenheit auch schon Maria Stuart war, sei eine inzwischen leicht bemooste Narrenhauskritik aus dem Jahr 1958 zitiert. Dort lobte der Kritiker Manfred Vogel Agnes Fink mit den Worten: „Wenn eine Frau ebenso vorbildlich, mit ebenso durchdringender Ausstrahlung Klamauk und die Maria Stuart spielen kann: was will man da noch an theaterkritischen Adelsprädikaten für sie suchen?“ Das soll mal so im Raum stehen, eher als Ansporn, denn als schon erteiltes Adelspädikat. Agnes Fink spielte damals am Residenztheater.
Das Narrenhaus ist Aufenthaltsort für Tomas (York Hoßfeld) und Belarda (Anna Oussankina). Letztere hatte dafür, dass sie angeblich keinen Text hatte, nicht nur eine schöne Flaschenbodenbrillle auf, sondern auch erstaunlich viel Text. Sie holte aus ihrer Rolle mehr, als herauszuholen war, das ist die Strategie für Nebenrollen-Oscars, die freilich in Rudolstadt nicht vergeben werden. Hoßfeld mit vergleichsweise viel Text war nach dem Willen der Regie, die auch noch etwas Autorenbiographie einfließen lassen wollte, der Dichter Lope selbst, nun ja, nun ja. Vordergründig jedoch einer, der sich für einen Vogel hält und nach der Pause den Wunsch äußert, vor allem Publikum mal ein paar Eier zu legen.
Was als Überleitung zum Erwähnen allerhand deftiger und vordergündiger Gestik dienen kann. Die schönste Szene hatte dabei für mich Charlotte Ronas als Laida, als sie bibbernd mit geschürzten Röcken den Angriff des vermeintliche Heißsporns von hinten erwartet, das ist fast wie Meg Ryan mit ihrem gespielten Orgasmus, der Filmgeschichte schrieb.Vor allem das weibliche Publikum der Generation 40+ honorierte die Szene mit herzlicher Anteilnahme. Frauen, der nächste Gedanke, sind in dieser Komödie (wo eigentlich nicht, wäre der übernächste Gedanke), die aktiven Wesen. Sie wollen, sie wollen nicht, sie lieben und zwar querbeet und wenn gar nichts hilft, lieben sie einander. So auch Miriam Gronau als Dona Fedra, die im Wettkampf mit ihrer Dienerin Laida steht und sich gern einmal ein Bändchen aus der Gewandung pusseln lässt. Es gibt schöne Schnüffelszenen (Liebe ist auch, sich riechen können) und es darf natürlich alles auch albern gefunden werden. Liebhaber dieser Lesarten sollten dann doch lieber den Abend für Bayern Alpha verwenden oder die französische Fassung von ARTE.
Um schließlich protokollarisch zu enden: auf meinem Einlagezettel stand die Besetzungsänderung oben, die auch im Internet gefunden werden konnte. Auch ich bin kein Verfasser von SMS-Kritiken und gestehe, dass mir von den Sprüchen vor Ende „Schokoladenpudding für alle“ am besten gefiel, Platz 2 belegte „Narren aller Länder, verhört die Signale“, falls ich mich nicht verhört habe. Ich danke allen Rudolstädtern, die mich nicht dem Ordnungsamt meldeten, weil ich versehentlich auf einem Anwohnerparkplatz stand. Meinen Wagen parken vorerst noch keine Theatermitarbeiter dezent und kostenneutral um, wenn ich mal an der falschen Stelle stehe. Zum Goldoni in einem Jahr werde ich wohl erneut anrollen.
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