Karl Schönherr: Der Weibsteufel, Burgtheater Wien

Wenn ich schon nicht zum Burgtheater komme, dann kommt es zu mir. Es nimmt den glatten Weg über den einstigen Theaterkanal des Zweiten Deutschen Fernsehens, wo jede Inszenierung einen Vorteil gegenüber jeder Inszenierung auf einer realen Theaterbühne hat, den der Großaufnahme. Im wirklichen zweiten Rang kann es einem ohne Opernglas schon passieren, dass man die gefrorenen Mienen der Darsteller nicht wahrnimmt, falls sie gefroren sind, ohne dass dies die üblich lustige Idee der Regie wäre. Die Fernsehregie lässt draufhalten und jetzt erst sieht man, was da tatsächlich an Spiel läuft. Und ich sehe, diesseits allen begeisterten Jubilierens der seinerzeitigen Kritik, eine Birgit Minichmayr, die allen, allen Jubel verdient hat. Was hat sie aus dieser Rolle gemacht!

Es ist ja nicht so, dass einem der Karl Schönherr aus Österreich, geboren 1867, vertraut ist wie dieser oder jener. Eher verschreckend ist, was in diesem oder jenem einfachen Nachschlagewerk zu lesen ist über ihn, der 1926 Akademie-Mitglied wurde und es blieb, als alles, was Rang und Namen hatte (wenig Ausnahmen), anno 1933 aus ihr verstoßen wurde oder freiwillig ging. Er blieb nicht nur, sondern unterzeichnete auch die Ergebenheitsadresse an Hitler mit, begrüßte den Anschluss seiner Heimat an das Reich fünf Jahre später. Aber er hatte, auch das leicht erfahrbar, eine so genannte Volljüdin als Ehefrau, von der er sich nicht trennte. Im Gegenteil: „Mein Führer, schenken Sie doch meiner Frau zum Muttertag die Arisierung und damit das Reichsbürgerrecht...“, erbat er sich und zusätzlich die Möglichkeit, weiter für die deutsche Sache zu schaffen. Der Führer gewährte das Muttertagsgeschenk zwar nicht, aber Schönherr durfte schaffen.

Das im Hinterkopf, könnte man versucht sein, alle Verwunderung dieser Welt über alle Kritiker, die skrupelarm begeistert waren von dieser Inszenierung des Regisseurs Martin Kušej, in entrüstete Worte zu fassen. Es ließe sich spekulieren, ob die Aufführung eines Stücks aus der entgegengesetzten Ecke der Diktatorenansprache ähnlich großzügig aufgenommen worden wäre unter fast vollständigem Absehen von der Vita ihres Verfassers. Hier soll jedoch nicht den unbelehrbarsten Staatsbürgerkundelehrern nachträglich Belegmaterial geliefert werden, denn das Problem liegt keineswegs auf dieser Ebene. Um das zu verstehen, ist es mehr als hilfreich, einen 1974 entstandenen Text von Hans Weigel (1908 – 1991) zu Rate zu ziehen. In seinem „Fragment über Karl Schönherr“ findet sich nicht nur auf gut einem Dutzend Seiten eine rasante Gesamtschau auf österreichische Dramatik seit Raimund und Nestroy, sondern auch der gebahnte Weg, den Fallstricken des Versatzstückurteilens zu entgehen.

Kostprobe: „Der Blut-und-Boden-Wahn der Nationalsozialisten war hassenswert, aber nicht alles, was Adolf Hitler schätzte, war darum von übel. (Ebenso war „nicht alles Gold, was im dritten Reich nicht glänzen durfte“.) Wer kann solcher Logik besser folgen als der verbliebene DDR-Bürger, dem jedes Mauer-Gedicht und jede Stasi-Story jenseits seiner Grenze zur Weltliteratur stilisiert wurde, weil sich ihnen die Wucht des Apparates entgegen setzte? Hans Weigel erkennt in Schönherr vor allem den extrem seltenen Baumeister szenischen Bühnengeschehens und verblüfft mit diesbezüglichen Urteilen über die viel berühmteren, viel gewürdigteren Namen seiner Literatur. Man muss, vermute ich, selbst Österreicher sein, um das alles in aller Unschuld niederschreiben zu können. Prägnant beschreibt Weigel, was der Aufnahme Schönherrs im Wege stand und steht und es ist fast bodenloser Sarkasmus, wenn er am Ende seines Fragmentes ein heimliches Unternehmen vorschlägt.

„Man  möge Schönherrs Meisterdramen in das irische Milieu übertragen, in die Sprache der üblichen schlechten deutschen Übersetzungen angelsächsischer Dramen übersetzen, mit einer Portion Hysterie, einer starken Prise Klassenkampf und einer kräftigen Dosis Verkrampftheit anreichern und als Werke von Sean O'Casey  an die Theaterkanzleien verschicken. So käme ein Unsriger auf dem Umweg über die Iren zu den Seinen.“ Für solche kleinen Ideen müsste es größere Preise geben als die, mit denen fette vergessbare Romane für eine halbe Saison in den Feuilletonhimmel gejubelt werden. Hans Weigel ist hierzulande wahrscheinlich noch unbekannter als sein Jahrgangsgenosse Friedrich Torberg, der auch von Theater wusste und schrieb.

„Der Weibsteufel“ aber, wie ihn die Wiener Regie auffasste, ist ein Ereignis. Ein Paar ohne Kinder lebt abgeschieden und vom Schmuggel. Er ist deutlich älter als sie, beide haben bei Schönherr keine Namen, auch der Dritte nicht, der das Spiel zum Dreieck macht auf den Baumstämmen vor der Betonkletterwand des Bühnenraumes. Der Dritte ist ein neuer Jäger, den sein Kommandant auserkoren hat, endlich dem Schmuggel gerichtsfest auf die Spur zu kommen, das Nest auszuheben. Der neue Jäger hat noch kein Pickerl auf den Schulterklappen, in Österreich ist das fast so schlimm wie Titellosigkeit, der Ehrgeiz verständlich, denn eines Tages soll die Gattin Frau Oberwachtmeister genannt werden können und nicht nur mit Namen. Der Gatte kommt auf die schlaue Idee, und er hält sie und sich gleichermaßen für sehr schlau, die Gattin als Lockvogel zu nutzen, die den Jäger umgarnt, bezirzt, ihm Avancen macht, auf alle Fälle ihn aber von Jagen abzuhalten.

Man muss sehen, wie Birgit Minichmayr von fast unbewegter Miene zum Erstaunen übergeht. Sie hat den Mann geheiratet, weil sie ihm etwas sein kann. Mehr Verbalisierung bringt sie nicht auf für den Charakter ihrer Beziehung, Liebe nennt sie es schon gar nicht. Unten unter den dicken Stämmen (Bühne Martin Zehetgruber) steht eine Kiste, die eben keinen Schatz verbirgt, sondern Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht nach einem Kind. Man muss Birgit Minichmayr gesehen haben, wie sie den Jäger anschaut, als der ihr Geheimnis lüftet, indem er mit seiner kräftigen Faust die verschlossene Truhe zerhaut, deren Schlüssel sie in den Fluss geworfen haben will. Erst wehrt sie sich, Werkzeug des Plans ihres Mannes zu werden, dann spielt sie mit, dann spielt sie mit dem Jäger und das Spiel wird ernst. Immer sieht man alles im Gesicht von Birgit Minichmayr. Und sie spricht mit ihrer leicht heiser klingenden Stimme immer Sätze, die den beiden Männern zeigen, wie sehr sie aus sich ist und immer mehr für sich wird.

Es wäre eine eher den Philologen zuzuordnende Ermittlung, ob der Regisseur sechsdreiundzwanzig oder siebennullvier von Karl Schönherrs Ur- und Kern-Intention abweicht oder sie gar besser trifft, als sie dem Autor selbst bewusst war. Am Anfang ist es der sechste Hochzeitstag des Paares, sie träumt von dem Haus, das der Gatte mit seiner Hehlerei verdienen und kaufen will, ein Haus am Marktplatz, auch ein Seidenkleid will ihr himmlisch scheinen. Die Summe für das Wunschhaus mit der Hausnummer 15 ist fast beisammen, der ehrgeizige Jäger könnte in der Tat kurz vorm Ziel einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Der Jäger verfällt ihr, er fällt aus seiner Rolle. Ich möchte flennen, sagt er. Der Mann fordert sie auf, nicht solche Augen zu machen, man fürchte sich vor ihnen. So geht es hin über neunzig Minuten. Es wird nicht im Kreis gerannt wie neuerdings gern auf etlichen Bühnen verübt. Man klettert auf und ab. Sie provoziert den Jäger, kommandiert ihn fast wie eine Domina, die Domina aus dem Schmugglerfuchsbau.

Mag Schönherr eine dämonische Frau, die Frau als Dämon vor sich gesehen haben, die Wiener Regie macht aus diesem Weibsteufel ein Weib, das nicht benutzt sein will, von niemandem. Sie will ein Kind und sie ist dann auf einmal so weit, sich gar den Tod ihres Mannes zu wünschen, der nur als gewaltsamer denkbar scheint. Es ist groß, wie im Dialog zwischen Birgit Minichmayr und dem Jäger Nicholas Ofczarek langsam der Mordgedanke aufscheint und Wort wird, bevor er Tat werden kann. Davor liegt scheinbarer Abschied, scheinbarer Sieg des schlauen Plans. Der Gatte hat den Jäger, der ihn nicht anzeigte, seinerseits angezeigt. Es sieht alles aus wie sein Triumph. Er überschreibt das Haus am Markt seiner Frau. Sie schwebt über die Bühne mit grünen Weinflaschen vor der Brust, während sich der Zusammenprall der Männer vorbereitet, fein gepusht von diesem Weibsengel. Zuerst hat der Gatte das Messer in der Hand, dann zwischen den Rippen.

Männer, verzeiht, sagt Birgit Minichmayr fast zum Schluss. Und ich sage: Nein, liebe Nachtkritik, vom Stigma des Heimatdichters hat der Regisseur den Autor Schönherr nicht befreit. Das hätte er ja erst haben müssen und wäre es denn ein Stigma gewesen außer im Kopf der fortlebenden heimatlosen Gesellen? Neben Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek hat auch Werner Wölbern alles gegeben als der Mann. Wenn er spricht: Mein Weib ist meine Sach, kusch, wenn Männer reden, dann hat er gesehen, wie sich seine Frau wandelt, verstanden hat er nichts. Man sollte sich forthin für diesen Schönherr interessieren, das Burgtheater kommt gut auch ohne Lob aus dem fernen Thüringen aus. Wobei es schlechtere Gegenden gibt, aus denen Lob kommen kann.


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