Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig, Nationaltheater Weimar

Claudia Meyer hat es nicht geschafft, sich von Beginn an einen Umgang mit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ zu verbieten, der den Text als eine wie auch immer zu verstehende Behandlung der Judenfrage sieht. In der Absicht Shakespeares lag so etwas ohnehin nicht, der Theatergänger weiß jedoch, dass ambitionierte Regie sich für nichts weniger interessiert als die Absichten eines noch dazu toten Autors, der sich nicht mehr wehren kann. So zitieren sowohl das Internetportal des DNT wie auch die Eintrittskarte jenen Satz, der den Zuschauer, und das kann nicht absichtslos geschehen sein, auf eine falsche Fährte lockt: „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?“ Es geht im „Kaufmann von Venedig“ nicht um das Bluten beim Stechen als Gleichheitssymbol, um einen emanzipatorischen Beweisantrag, der zu zeigen sucht, dass auch Juden Menschen sind wie du und ich oder wie eben Antonio und Nerissa. Shakespeare ist keine frühe Vorform Lessings, der dann schon wieder geneigt war, aggressiven Antisemitismus durch euphorischen Philosemitismus zu ersetzen.

Es ging Shakespeare weder um Venedig noch um Shylock. Es ging ihm um das England seiner Zeit, in dem glaubhaftem Zeugnis zufolge Juden nicht die geringste Rolle spielten. Nicht einmal die Programmheft-Behauptung, Juden hätten in Venedig nicht in der Stadt wohnen dürfen, sondern auf zwei Inseln, trägt zur Ortsbestimmung der Sache etwas bei. Wer je in Venedig war, weiß, wo das Ghetto lag und liegt, aber auch das hat mit Shakespeare nichts zu tun. Die Substanz des Stückes ist, freundlicher lässt es sich nicht formulieren, in Weimar mit der Strichfassung so stark beschädigt, dass der Nichtkenner des Textes in entscheidenden Punkten nicht weiß, was er sieht. Das ist zwar anders als sonst oft, wo der Nichtkenner im Vorteil ist, weil er nicht weiß, was fehlt, aber besser ist es schlussendlich keineswegs.

Denn wenn, um es gleich am Beispiel zu belegen, sich der Zuschauer daran gewöhnt hat, dass einige Darsteller zwei Rollen spielen, dann hält er ohne Textkenntnis die auftretende Richterin für eine vollkommen andere Person als die Portia, die auch von Claudia Splitt gegeben wird. Doch gerade hier ist, falls es denn eine neue Lesart sein soll und nicht nur ein Dramaturgieunfall war, der Schuss mit Schwung in den Ofen gegangen. Portia ist bei Shakespeare eine der von ihm immer wieder vorgeführten großen starken Frauen, von immenser Überlegenheit über alle anderen Personen des Stücks, vor allem auch über den Mann, dem sie dann letztlich doch zufällt, weil er das richtige Kästchen wählt. Diese Portia in Weimar hat das Format gerade nicht, sie ist so weit kalorienreduziert, dass sie eben noch als ziemlich geistreich durchgehen kann, die Souveränität jedoch, aus der heraus sie den Knoten des Konflikts in geradezu geniale Weise zerschlägt, die traut man dieser Federballspielerin nicht zu. Und das liegt, es sei nachdrücklich betont, nicht an einer gravierenden Fehlleistung von Claudia Splitt.

Wenn Bühnenaktion nicht durch vorhergehende Bühnenaktion motiviert oder erklärt ist, hängt der Zuschauer in der Luft. Er weiß nicht, warum Portia sich verkleidet aufmacht, den komplizierten Rechtsfall so zu lösen, dass letztlich beide Seiten des Verfahrens das Gefühl vermittelt bekommen, Venedig sei ein Rechtsstaat. Der Doge, den Julia Gräfner ebenso zu spielen hat wie Shylocks Diener Lanzelot Gobbo, hat keine Chance, das Recht zu beugen, aber Portia darf in talmudischer Schlauheit, wie ein Kritiker einst anmerkte, es auslegen, wie es im gesamtgesellschaftlichen Interesse gut ist. Sie steht bei Shakespeare, André Müller hat das vor Jahren stringent vorgeführt, für die absolute Königin Elisabeth, die es bei Schiller wie in der tatsächlichen Geschichte mit Maria Stuart aufzunehmen hatte. Deren Lebensleistung darin bestand, mit ihrer absolutistischen Herrschaft ihrem Land über viele Jahre Entwicklungspotential offen gehalten zu haben. Nach Müller ist Antonio, der Kaufmann von Venedig, eben kein „Global Player“, wie es der modernisierte Weimarer Text suggeriert, nur weil er drei, vier Schiffe auf verschiedenen Routen zu laufen hat.           www.nationaltheater-weimar.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


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