Büchner: Woyzeck, Landestheater Coburg

Inge Diersen hat, das ist auch schon wieder ein Vierteljahrhundert her, anlässlich des 175. Geburtstages von Georg Büchner geschrieben: „Es gibt kein Stück „Woyzeck“, auch der Titel ist nicht authentisch.“ Lakonischer kann man es kaum ausdrücken, die Theatermacher hat es dennoch seit der Uraufführung am 8. November 1913 im Residenztheater München nicht davon abgehalten, sich immer wieder gerade diesem Text zuzuwenden, der selbst mit dem verwaschenen Begriff Fragment nicht angemessen beschrieben ist. Die Handschriften liegen in Weimar, die Interpreten könnten sicher mittlerweile in ausgedünnter Regimentsstärke jeden germanistischen Exerzierplatz füllen und bis heute gibt es sogar noch echte Ärgernisse. Christian Milz sorgt aktuell für eines mit seinem Buch „Georg Büchner. Dichter, Spötter, Rätselsteller“, erschienen in Peter Engelmanns Wiener Passagen-Verlag, also an durchaus prominentem Ort.

Matthias Straub ist für seine Coburger Inszenierung gar nicht erst lange bei den philologischen Metzeleien stehen geblieben, er hat eine Grundidee gehabt, die nicht zwingend auf der Hand liegt, aber durch ihre Realisierung überzeugt. Er lässt seinen „Woyzeck“ als Koproduktion des Schauspiels und des Balletts über die Reithallen-Bühne gehen und erzielt zusätzliche Verfremdung durch den Einsatz von Sprache. Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob es andere als rein pragmatische Gründe gäbe, die Marie durchweg englisch sprechen zu lassen. Gesprochen wird darüber hinaus auch isländisch, japanisch und taiwanesisch. Und wenn die Übertiteltechnik funktioniert, bei der Premiere brauchte es eine Weile, bis es klappte, dann sieht man halt den Büchner-Dialog oben als Schriftband, was gewöhnungsbedürftig, aber keineswegs destruierend wirkt, es ist halt eine Idee mit ahnbarer Veranlassung.

Wer in einer Rehaklinik für Magersüchtige einen Falstaff sucht für die Theatergruppe, muss auch Zuschauer-Erwartungen enttäuschen. Mir will scheinen, dass ein möglicherweise sehr gebrochenes Deutsch in einer Haupt- und drei Nebenrollen der Inszenierung um Längen schlechter bekommen wäre als die Lösung, zu der Straub und die Choreografin Tara Yipp schließlich fanden. Für die Tänzerinnen und Tänzer ergab sich zwanglos eine Herausforderung, die vielleicht sogar größer war als die, der sich die professionellen Schauspieler/innen stellten, die mussten „nur“ auch tanzen. Das Ballettensemble aber sprach, soweit es sprechen sollte, in jeweiliger Muttersprache. Nach den nur 65 Minuten des Spektakels gibt es ein einfaches Fazit: Sie haben es allesamt auf hohem Niveau bestanden, der Beifall nebst Bravorufen signalisierte es allen elf Mitwirkenden und auch den drei Machern, die sich premierengerecht eingereiht mit verbeugten.

Emily Downs als englische Marie sei herausgehoben. Was sie auch an Mimik, an klarer Artikulation ins Spiel brachte, an stummem Spiel, während die anderen neben ihr in Aktion waren, das ist mehr als nur beachtlich. Den anderen Nicht-Schauspielern blieb den Rollen entsprechend deutlich weniger Entfaltungsraum. Doch schon der Beginn des kurzen Abends, als alle elf Mitwirkenden in  Anzügen, die vage an Militär- und zugleich Gefängniskluft erinnerten, aber auch ein wenig an Mao-Uniformen, dem Kenner sehr viel Inhalt vorwegnahmen in ihrer Choreographie, war klar, dass hier nicht einfach nur ein kurzer Text gestreckt werden, oder optische Opulenz hinzugefügt werden sollte. Das hat Eigenwert. Freilich setzt die Regie eigentlich voraus, dass man mehr als nur oberflächlich weiß, was bei Büchner in den teils sehr kurzen Szenen vor sich geht.

Ich bilde mir ein, den Kernsatz Woyzecks „Jeder Mensch is ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ nicht gehört zu haben. Gespielt wurde er auf alle Fälle. Denn nur als eben solcher Abgrund ist dieser Geschundene halbwegs zu verstehen. Er ist ja nicht dumm, er ist nicht einmal wirklich ungebildet, dieser Woyzeck, manchmal muss er sogar (Mathias Renneisen setzt da einen kleinen Glanzpunkt) über seine eigene Pfiffigkeit kurz lachen, was er dann aber sofort unterdrückt. Um ihn herum ein Hauptmann (Nils Liebscher), der ihn jovial belatschert und einen guten Menschen nennt, ihm aber sein Denken ankreidet, ein Doktor (Niklaus Scheibli) der leicht ins Dämonisch-Rumpelstilzchenhafte tendiert bei seiner Experimentier- und Beobachtungslust. Wie fast immer in Coburg sind die dezidiert soziale Anklagepotenz des Textes und religions- sowie kirchenkritische Akzente eher zurückhaltend berücksichtigt. Vielleicht fällt das aber nur dem auf, der DDR-sozialisiert ist. Dort glaubte man einstmals sogar, in Georg Büchner eine Art von Marx-Vorläufer sehen zu müssen.

Das Premierenpublikum hatte ein kleines Weilchen mit den Fremdsprachen zu kämpfen. Als Takashi Yamamoto (Andres) im Dialog mit Woyzeck zum erstenmal japanisch sprach, gab es Verlegenheitslacher, die sich wiederholten später an jeweils unpassenden Stellen. Po-Sheng-Ye, der auf einem Rollstuhl von Niko Ilias König (Kind) auf die Bühne geschoben wurde, war plötzlich die Großmutter, die vom einsamen Kind erzählte. Die Wirkung dieses Auftritts, die in nicht wenigen anderen Inszenierungen der Vergangenheit größte Nachhaltigkeit erzielte, ging zu stark verloren, weil zu viel an Übertiteln zu lesen war und deshalb zu wenig Zeit blieb, Text nachklingen zu lassen. Trotzdem hatte die Szene etwas Prägnantes.

Die Idee, aus dem Tambourmajor (Adrian Stock) einen Vokuhila-Protz zu machen, war vielleicht die am wenigsten überzeugende, das massive Prickeln zwischen diesem Bild eines Mannes und der Marie, die hin- und hergerissen ist zwischen nacktem Begehren und schlechtem Gewissen (bei Büchner), das konnte sich hier nicht einstellen, sollte es aber womöglich auch gar nicht. Denn man kann diesen Tambourmajor durchaus auch als Karikatur nehmen. Das Bühnenbild Udo Herbsters bestand vor allem aus einem podestartigen Aufbau, der mal wie ein abgedeckter Brunnen wirkte, am Ende den See darstellte, in dem Woyzeck versinkt, als er sich das Blut abwaschen und das Mordmesser verschwinden lassen will. Dieses Messer spielt, es sei eigens hervorgehoben, während der gesamten Spieldauer eine separate Hauptrolle, mal in der Hand des Kindes, mal in der Maries und natürlich in Woyzecks, der mit ihm Maries Gurgel durchschneidet. Verdienter Beifall!
 www.landestheater-coburg.de


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