Johann Georg Kohl 200

Gemessen an der überaus imposanten Zahl seiner Buch-Veröffentlichungen ist die gegenwärtige Präsenz seines Werkes in neueren Ausgaben mehr als bescheiden. Johann Georg Kohl scheint weitgehend vergessen zu sein. Daran hat auch das Herannahen seines 200. Geburtstages am 28. April nichts geändert, eine kleinere Schweizer Tageszeitung erinnert seit Januar mit dem Nachdruck einer Reisebeschreibung aus dem Jahr 1846 an Kohl, der alljährlich erscheinende Literaturkalender des Stuttgarter Reclam-Verlages kennt das Jubiläum Kohls in diesem Jahr nicht.
 
Wenn heute die GOTHAER ALLGEMEINE an einen 1808 in Bremen geborenen und 1878 dort auch gestorbenen Mann erinnert, dann hat das einen sehr einfachen Grund. Gotha hat in seinem Leben eine zwar kleine, aber keineswegs unwichtige Rolle gespielt. Und die Forschungsbibliothek Gotha bewahrt eine mehr als stattliche Zahl seiner Bücher. Wer sich die Mühe macht und den Online-Katalog zu Rate zieht, den Namen „Johann Georg Kohl“ eingibt, bekommt nicht weniger als 71 Treffer angezeigt, von denen 65 tatsächliche Kohl-Titel ausweisen, davon sind 59 zu Lebzeiten Kohls erschienene Bände, oft jeweils mehrteilige Werke, die ältesten aus dem Jahre 1841.
 
Meyers Konversations-Lexikon, Ausgabe 1887, nennt Kohl einen „ausgezeichneten Reiseschriftsteller“ und weil er das tatsächlich war und weil er geradezu frappierend produktiv war, setzte er sich dem Ruf aus, ein Vielschreiber zu sein. Und das gilt hierzulande fast automatisch als Makel, als würde es bereits etwas über die Qualität des Geschriebenen aussagen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass es eine amerikanische Institution war, die ihm zuerst einen Doktortitel ehrenhalber für seine großen wissenschaftlichen Verdienste verlieh, die Universität Königsberg folgte bald nach. Vielleicht hätte er seinem Nachruhm mehr gedient, wenn er jenes Angebot für eine Professur in Graz nicht abgelehnt hätte, die ihm angetragen worden war.
 
Johann Georg Kohls Hauptinteresse aber war das Reisen, er tat es, so lange er konnte und er schrieb über seine zahlreichen Reisen zahlreiche Bücher. Die nie nur etwa rein touristische Schilderungen waren, die immer historische, volkskulturelle, geographische, im weiten Sinne sozialwissenschaftliche Erkenntnis vermittelten und Aussagen vortrugen und das eben in einer lesbaren Weise. Johann Georg Kohl war nach den allerersten Misserfolgen recht früh ein sehr erfolgreicher Schriftsteller, den der Erfolg dazu führte, vom Schreiben leben zu wollen. Er musste sein Studium wegen des Todes seines Vaters abbrechen, lebte etliche Jahre im Baltikum bei deutschen Adelsfamilien als Hauslehrer, reiste und sammelte Eindrücke und Kenntnisse.
 
Sein wissenschaftlicher Ruf in Übersee ist vielleicht am besten beschrieben mit einem Diktum von Charles Deane, der vor der Massachusetts Historical Society am 12. Dezember 1878 sagte: „Nach dem Tod von Humboldt war er zweifellos der bemerkenswerteste Geograph in Europa.“ Und dass er diesen Ruf gerade in Amerika erwarb, hat eben auch ein wenig mit Gotha zu tun. Denn hier studierte Kohl, von Weimar kommend, wo er das auch getan hatte, historisches Kartenmaterial, hier machte er sich fit für seinen vierjährigen Amerikaaufenthalt. Als er an den Folgen eines schweren Rückenmarksleidens am 28. Oktober 1878 in seiner Vaterstadt starb, wo er die letzten Jahre als Leiter der Stadtbibliothek gewirkt hatte, hinterließ er ein  kaum überschaubares Werk. Und mindestens einmal, 1869, war Kohl auch Autor in Petermanns Geographische Mitteilungen, der ältesten deutschsprachigen Fachzeitschrift für Geographie aus dem Gothaer Verlag Justus Perthes.
 Zuerst veröffentlicht in THÜRINGER ALLGEMEINE Gotha am 3. Mai 2008
 unter der Überschrift „Kartenstudium in Gotha“, Manuskriptfassung

Die wenigsten Eisenacher werden heute auf Anhieb wissen, wo der Hümmling ist. Im 19. Jahrhundert dagegen muss es viele gegeben haben, die mehr als nur dessen Lage kannten, weil sie dort buchstäblich im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienten. Am 28. April 1808, vor 200 Jahren also, wurde in Bremen als Sohn eines Weinhändlers ein Mann geboren, dem wir interessante Auskunft in dieser Sache verdanken. Sein Name: Johann Georg Kohl, sein Metier: Reiseschriftsteller und Geograph. Er hat eine für Außenstehende geradezu unglaubliche Menge von Büchern geschrieben, von denen in neuerer Zeit freilich nur ganz wenige neu aufgelegt wurden. Darunter einige nur als Reprint in Bremen.

Zuletzt brachte der Studien-Verlag Innsbruck, Wien und Bozen 2006 Kohls „Moskau 1841. Ein Reisebegleiter“ neu auf den Markt, es gab einige freundlich erstaunte Rezensionen. Das Kohl-Buch „Reisen durch das weite Land. Nordwestdeutsche Skizzen 1864“ aber erschien neu 1990 in der Edition Erdmann des Thienemann-Verlages und genau dort gibt es ein längeres Kapitel mit dem Titel „Der Hümmling“. Johann Georg Kohl betrat in einem Waldrest der einst waldreichen Gegend eine seltsame Hütte. Hören wir ihn selbst: „Bei Eintreten war ich nicht wenig erstaunt, den ganzen kleinen Raum mit derben, rüstigen und rußigen Männern gefüllt zu sehen, die mich in einem ganz fremdartigen Dialekt sehr freundlich willkommen hießen. Es waren Thüringer Kohlenbrenner und Holzschläger, die sich bei ihrem Feuer ausruhten und mit Kaffee und bei der Tabakspfeife erlabten. Sie erzählten uns, daß sie schon seit alten Zeiten aus ihren Wäldern bei Eisenach und Suhl in diese nördlichen Gegenden zu kommen gewohnt seien, um den Leuten des hiesigen Landes mit ihren Kenntnissen in der Waldwirtschaft zu dienen.“
 
Und der Autor erfährt, dass die Männer aus dem Thüringer Wald etwa zwei Wochen nach Weihnachten ihre Heimat verlassen und erst wenige Wochen vor Weihnachten wieder nach Hause zurückkehren. „Sie leben in ihren Waldhütten, die sie sich selber bauen, sehr sparsam, trinken ihren Kaffee ohne Milch und backen sich statt des Brotes ihre Pfannkuchen selbst.“ Die Einheimischen sehen, merkt Kohl nicht unkritisch an, die „Fremden“ mit einer gewissen Skepsis, die Thüringer selbst aber sind wegen ihrer großen Gefälligkeit ringsum beliebt. „Man findet die Thüringer daher auch hier fast in allen Gehölzen und Brüchen, bis nach Holland hinein.“ Und damit ist auch ungefähr angedeutet, wo nun dieser Hümmling liegt, der eine Gegend ist, lange ein eigener Landkreis war und heute zum Landkreis Emsland gehört, im Nordwesten Deutschlands also. Johann Georg Kohl aber,  der am 28. Oktober 1878 an einem schweren Rückenmarksleiden starb, nachdem er die letzten Jahre seines Lebens die Bremer Stadtbibliothek geleitet hatte, war nicht nur ein fleißiger Autor, er war auch ein bedeutender Geograph, der sich beispielsweise um die Küstengeographie Nordamerikas unsterbliche Verdienste erwarb.

Sein 1841 erschienenes Buch „Der Verkehr und die Ansiedlungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestalt der Erdoberfläche“ wird in der Fachwelt als Gründungsurkunde der Verkehrs-und Siedlungsgeographie bezeichnet. Nicht nur deshalb verdient Johann Georg Kohl Aufmerksamkeit auch über seinen runden Geburtstag hinaus.
 Zuerst veröffentlicht in THÜRINGER ALLGEMEINE Eisenach, 26. Juli 2008
 unter der Überschrift „Hümmling war zweite Heimat“, Manuskriptfassung


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