Joochen Laabs: Der letzte Stern

Noch immer ist das Werk von Joochen Laabs einigermaßen leicht überschaubar. Zwei Gedichtbände, zwei Romane, zwei Erzählungsbände, denen jetzt ein dritter gefolgt ist. „Der letzte Stern“ sammelt acht Erzählungen von höchst unterschiedlicher Länge und gleich in dieser Hinsicht seinen beiden Vorgängern: auch dort dominierte quantitativ jeweils ein Text. Auch dort ging das Prinzip Sammlung vor das Prinzip Komposition und immer noch wird den Lesern vorenthalten, wann die einzelnen Texte entstanden sind. Vielleicht lüftet der Verlag eines Tages das Geheimnis in einer Ausgabe „chronologischer Ordnung“? Joochen Laabs eröffnet seinen jüngsten Band mit der Erzählung „Der Karton“. Herausgenommen aus dem Kontext der Anthologie „Lebensmitte“, wo sie zuerst zu lesen war, Laabs fungierte dort gemeinsam mit Manfred Wolter auch als Herausgeber, hat sie nichts von ihrer Qualität eingebüßt.

Sie hält die schwierige Balance von Ironie und tiefem Ernst, reißt historische Dimensionen auf, ohne dazu eine gewaltsame Konstruktion zu benötigen, ist anzüglich gegenwärtig zugleich, kurz: sie ist ein rundum gelungenen Stück Literatur. Und gleich die zweite Erzählung „Der neue Mensch“, ein Text ganz anderer Art, eher ein Feuilleton, steigert den Lesegenuss noch weiter. Nacherzählung wäre hier ein aussichtsloses Unternehmen: „Der neue Mensch“ hat die Eigenschaft eines guten Gedichts, sich jeder Paraphrase zu verweigern. Die Nachbarschaft zwischen „Der Karton“ und „Der neue Mensch“ bringt zusätzlich beiden Bedeutungsgewinn, sie alternieren auf eine überraschende Weise. Heimliche Korrespondenzen gibt es noch mehrfach in diesem Band. Die dritte Erzählung hat die Aufgabe, ihren Titel zu widerlegen, der lautet: „Ich fühle mich wohl in meinen vier Wänden“.

Einer aus der Reihe der von Laabs nach wie vor bevorzugten Ich-Erzähler gibt ein tristes Bild seiner Isolation, beschreibt seine Ängste, offenbart seine erschreckende Verarmung. Abgründe liegen in einem Satz wie: „Nur das wechselnde Kalenderblatt erschreckt mich manchmal.“ Gegen diese drei Erzählungen, die den Prosaautor Laabs auf der Höhe seines Vermögens zeigen, wirkt „Abschied von der Erde“ beinahe wie eine kalten Dusche: Belanglosigkeit, die mit einer Prise von Selbstironie nicht zu kaschieren war. DDR-Geschichte machen auf unterschiedliche Weise „Das Fahrrad“ und „Wie ich drauf und dran war, ein bedeutender Schriftsteller zu werden“ anschaulich. Beide Erzählungen finde ich wichtig, wenn auch weniger gelungen,wobei ich weiß, dass Laabs die „Rückkopplung zum wirklichen Leben“, wie er es in einem Gespräch einmal nannte, über die ästhetische Wirkung seiner Texte stellt.

Das fatale Geschehen der Geburt eines Buches, das zugleich auch der Tod dieses Buches ist, wird in der längsten Erzählung des Bandes zwischen distanzierender Ironie und beinahe treuherziger Argumentation erzählt, tragisch ist genau besehen auch die erste Bekanntschaft eines Dorfjungen mit der Oberschule zu Beginn der fünfziger Jahre. Gescheitert ist Joochen Laabs, meine ich, mit der Titelerzählung „Der letzte Stern“ wie auch mit „Der wunderschöne Vogel“. Diese Erzählungen tragen die ehrgeizige Absicht, die Sinnfrage in raumzeitlich unendlichen Dimensionen zu erörtern, nicht. Mühsame Konstruktion und vordergründige Argumentation verleiden mir den Zugang zur höchst ernsten, höchst bedeutsamen Problematik, der ich mich aufschließen soll. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck.
Zuerst veröffentlicht in TRIBÜNE Nr. 79, Seite 11, am 21. April 1989 unter der
Überschrift „Zwiespältiger Lektüre-Eindruck“, nach dem Typoskript

Wie entsteht ein Buch „allein zu dem Zweck, sich seinem vorbestimmten Schicksal auszuliefern: in den oberen Regalen der Buchhandlungen zu verstauben und in den Zeitungskiosken zu vergilben?“ Joochen Laabs widmet dieser Frage in seinem jüngsten Erzählungsband seinen längsten Text „Wie ich drauf und dran war, ein bedeutender Schriftsteller zu werden“. Er steigt stark ironisch distanziert ein, allerdings geht diese Ironie unterwegs phasenweise fast vollkommen verloren. Zu tun hat das meines Erachtens mit den mindestens zwei Seelen in der Brust des Autors. Eine davon sagt: wie lächerlich doch eigentlich alles war, wie komisch Ruthild, die unbeirrbare Literaturbeamtin, und Richter, der Mann, der alles begründet, wenn ihm genug Zeit gegeben ist, Argumente zu erfinden.

Die andere aber schaut zurück in Trauer und Nostalgie: schließlich war es die gute alte Zeit der Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren, abgekürzt AJA, Laabs selber gehörte ihr als Gast seit 1958, als Mitglied sein 1961 an. Das da ureigene Erfahrungen eingeflossen sind, versteht sich bei ihm von selbst. Nun wissen wir jedenfalls, wie so ein Buch entsteht, besser: entstand, wir haben ein Blick in die bunte Literaturgeschichte unseres kleinen Landes geworfen und können uns beruhigt bestätigen: ganz anders läuft es jetzt, ganz anders. Joochen Laabs mischt in seinen Erzählungsbänden immer einen langen und mehrere kurze Texte zusammen und immer ist der längste Text nicht der beste, wenn er auch, zugegeben, Stoff genug liefert in diesem Falle, seine Unentschiedenheiten zu tolerieren. Die Alleinherrschaft der Ich-Erzähler ist in diesem Bande gebrochen, sie dominieren nichtsdestotrotz noch immer. Sie stoßen noch immer an die gleichen Grenzen, an die sie seit dem Debüt des Prosaautors Laabs anno 1970 stießen.

Am gravierendsten scheint mir das in der Titelerzählung „Der letzte Stern“. Dieses Amalgam aus Science-Fiction-Traum, Feuilleton und moralischem Statement ist einfach nicht das geeignete Vehikel um zu transportieren, was offensichtlich transportiert werden soll: des Autors ehrenwerte und universalhistorisch angereicherte Auseinandersetzung mit den großen Fragen unserer Zeit. Ähnlich verpufft für mich auch „Der wunderschöne Vogel“ in der sichtbaren, vom Text nicht getilgten Anstrengung. Dagegen fügt sich die Wendung ins Menschheitliche dem kleinen Wunderwerk „Der neue Mensch“ ganz organisch ein. Das ist ein Text! Lange nicht vergessen werde ich auch „Ich fühle mich wohl in meinen vier Wänden“ und „Der Karton“. Das sind kurze, hintersinnige, überraschungsvolle Erzählungen von bestechender Prägnanz. Sie lassen die Unerheblichkeit „Abschied von der Erde“ weit hinter sich, sie zeigen Joochen Laabs auf der Höhe seines Könnens, wo ich ihn, bitte schön, am liebsten sehe.
Zuerst veröffentlicht in: JUNGE WELT, Nr. 247, Seite 10, am 20. Oktober 1989,
unter der Überschrift „Die zwei Seelen“, nach dem Typoskript


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