John Reed 130

Wenn im Hause eines Schauspielers ein Film aufgeführt wird, ist das kaum etwas Ungewöhnliches. Wenn im Hause eines ehemaligen Schauspielers, der inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden ist und zum Kreuzzug gegen den Kommunismus aufruft, jedoch ein Film über das Leben eines Kommunisten aufgeführt wird, dann ist das schon mehr als ungewöhnlich. Passiert ist es zu Beginn des Jahres 1982, der Film trug den Titel „Reds“ („Rote“) und zeigte das Leben von John Reed. Warren Beatty – ein Star seit seinem Supererfolg mit „Bonny und Clyde“ - spielte die Hauptrolle, drei der begehrten Oscars fielen an den Streifen, der natürlich seine Herkunft aus dem typisch amerikanischen Kino nicht leugnen konnte und wohl auch nicht wollte.

Was auch immer gegen den Film einzuwenden ist: die Biographie eines der ersten amerikanischen Kommunisten als Stoff der Traumfabrik – und als Kassenschlager – ist mehr als nur ein Kuriosum. Menschen, die sonst den albernsten und zugleich gefährlichsten Vorurteilen gegen Kommunisten anhingen, die in den USA kursierten und kursieren, drängten sich, ein vergessenes und verdrängtes Kämpferleben anzuschauen und nicht einmal die „action“ fehlte. John Reed aber ist nicht einfach auf die Formel vom Propheten, der im eigenen Lande nichts gilt, zu reduzieren. Seine Lebensbahn war bei seiner Geburt am 22. Oktober 1887 in Portland, Oregon, keineswegs vorgezeichnet und wenn, dann in einer ganz anderen Richtung als der, die er letztlich einschlug.

John Reed ist nicht einmal 33 Jahre alt geworden, eine Bauch-Typhus-Infektion führte zu seinem frühen Tod am 17. Oktober 1920, von tiefer Symbolkraft ist seine letzte Ruhestätte: an der Kreml-Mauer in Moskau. Sein Name steht auf einer Gedenkplatte mit Ines Armand, I. W. Russakow und S. M. Pekalow, Kampfgefährten Lenins. Vor allem aber steht sein Name über einem Buch, das ihn unsterblich machte: „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“, Reeds Reportage über die Oktoberrevolution, die er als Augenzeuge erlebte. Die Oktoberrevolution wurde das entscheidende, das prägende Ereignis in seinem Leben. „Drei Lehren habe ich aus alldem gezogen: dass die Loyalität der besitzenden Klasse schließlich und endlich nur ihrem Eigentum gilt, dass die besitzende Klasse niemals freiwillig der Arbeiterklasse Zugeständnisse machen wird und dass die arbeitenden Massen nicht nur großartige Träume haben können, sondern auch über die Macht verfügen, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen.“

So fasste John Reed im Juni 1918, nach seiner vorläufigen Rückkehr in die USA, seine Erkenntnisse für die Zeitschrift „Liberator“ zusammen. Als Reporter hatte er schon blutige Klassenschlachten auf amerikanischem Boden gesehen, an vorderster Front die revolutionären Truppen in Mexiko begleitet, Karl Liebknecht in Berlin interviewt. Zum Mitbegründer der Communist Labour Party of America aber wurde er erst nach dem Erlebnis Russland, nach dem Erlebnis Lenin. Wenige Wochen vor seinem Tod wurde er vom II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale ins Exekutivkomitee gewählt. Übrigens hat auch die Sowjetunion John Reed einen Film gewidmet: Sergej Bondartschuks „Roge Glocken“, jüngst vom DDR-Fernsehen wiederholt. Im Weißen Haus in Washington wurde er nicht gezeigt.
Zuerst veröffentlicht in der Beilage 42 von FREIES WORT am 16./17. Oktober 1987,
Überschrift „John Reed – Reporter auf der Barrikade“, nach dem Typoskript

Besuchern des Lenin-Mausoleums auf dem Roten Platz in Moskau bietet sich nach dem Mausoleum selbst auch der Blick auf die Grabstätten an der Kremlmauer und die in die Mauer eingelassenen Tafeln. So lesen sie auch den Namen John Reeds, der zu den wenigen Ausländern gehört, denen diese Ehre zuteil wurde, dort ihre letzte Ruhestätte zu finden. Wer war der Mann, der am Sonntag, dem 17. Oktober 1920, drei Tage vor seinem 33. Geburtstag, an den Folgen einer schweren Typhus-Erkrankung fern von seiner Heimat starb?

Geboren in Portland, Oregon, in einer so genannten Middle-Class-Familie, mit früh erkennbarem Talent, auch mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein – so beschloss er mit neun Jahren, Schriftsteller zu werden -, kam er bereits im Jahr 1906 an die Harvard-Universität, die Elite-Bildungsstätte der USA. Erste Gedichte erschienen von ihm zu dieser Zeit. Berührung mit dem sozialistischen Studentenclub der Universität, der es, für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich, sogar durchsetzt, dass Kurse über Sozialismus abgehalten werden, macht ihm zwar Eindruck, dennoch geht er nach Abschluss seiner Studien erst einmal nach Greenwich Village in New York, als Künstler-Viertel noch heute berühmt, um freier Autor zu sein.

Er bekommt Kontakt zu verschiedenen Zeitschriften, erlebt als Reporter Klassenkampf auf amerikanisch: Streiks, die von firmeneigenen paramilitärischen Einheiten brutal unterdrückt werden. Im Auftrag zweier Zeitungen reist er nach Mexiko, um über die Bauernrevolution zu berichten, vier Monate lang ist er in den vordersten Reihen zu finden. Über den ersten Weltkrieg berichtet er bereits als konsequenter Kriegsgegner, der verstanden hat, welche Interessen in Wirklichkeit das Gemetzel leiten. Dann folgt das entscheidende Erlebnis seines Lebens. Im September 1917 reist er nach Russland, wird zum unmittelbaren Zeugen der Oktoberrevolution und schreibt über sie.

Das Buch, das entsteht, macht selbst Geschichte: „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ wird eine der bedeutendsten Reportagen aller Zeiten, der Titel zum Synonym für die Revolution schlechthin. „Dies ist ein Buch, das ich in Millionen von Exemplaren verbreitet und in alle Sprachen übersetzt wissen möchte“, schreibt Lenin in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe. 1918 studiert John Reed intensiv den Marxismus, sein Auftreten in den USA auf zahlreichen Vortragsabenden beschleunigt jene Spaltung der Sozialisten, die dann zur Gründung der Kommunistischen Partei der USA führt. Im Herbst 1919 ist er erneut in Russland, wird mehrfach von Lenin empfangen.

Im Juli 1920 nimmt er als Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an deren II. Kongress teil. Aus einem Mode-Journalisten, um dessen Arbeiten sich die bürgerlichen Zeitungen rissen, ist ein Kommunist geworden, der nur noch wenig Publikationsmöglichkeiten findet. Sein Tod reißt ihn aus allen großen Plänen. Dass der 70. Jahrestag der Oktoberrevolution und der 100. Geburtstag von John Reed so dicht beieinander liegen, ist ein symbolträchtiger Zufall.
Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, 30. Jahrgang , Nummer 19, Seite 2,
am 31. Oktober 1987, Überschrift „Leidenschaftlicher Revolutionär und Schriftsteller“


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