Otto Julius Bierbaum: Aschermittwoch

Am Aschermittwoch über Aschermittwoch zu schreiben, geht sicher nicht in die Geschichte der großen Ideen unserer Zeit ein. „Aschermittwoch“ von Otto Julius Bierbaum ist zudem kein Werk von überzeitlicher Bedeutung, es ist nicht einmal ein Buch, steht aber in einem. Das heißt „Die Haare der heiligen Fringilla und andere Geschichten“. Meine Ausgabe in der Reihe Langens Markbücher, Band 8, entstammt dem 11. bis 13. Tausend aus dem Jahre 1914, Autor Bierbaum, der am 1. Februar 1910 in Kötzschenbroda bei Dresden starb, war da schon vier Jahre tot. Um das Maß voll zu machen: als ich am 25. Juni 1981 diesen „Aschermittwoch“ zum ersten Mal las, missfiel er mir ziemlich, ich finde in meinen damaligen handschriftlichen Notizen dies: „Das ist eine sehr harmlose, anspruchslose Szene. Personen: der Dandy Emil nach einer wilden Nacht und sein Diener Kasimir. Wenn da wo ein Sinn ist, dann vielleicht der: Junge Herren, die Diener haben, sind auch wenn sie nach Kräften voller Kultur scheinen wollen, höchst platte, hohle, überflüssige Menschen. Dandy Emil dichtet zu allem Übel auch noch. ... Dieser Dandy ist in meinem Alter. Man verspürt nicht die geringste Lust, etwas auszufiltern, eine Bedeutungsschicht. Lesen und vergessen.“ So ist man schnell fertig, man folgt in jungen Jahren eher dem kritischen Standrecht.

Reichlich dreißig Jahre später gewinne ich diesem „Aschermittwoch“ Genüsse ab, gar keine ganz kleinen Genüsse. Als Sätzefreund bin ich nur scheinbar anspruchsloser geworden, denn ein schöner Satz bleibt mir eher im Gedächtnis als eine mit viel Fugenkleber gebaute Erzählhandlung. Was Bierbaum geschehen lässt, ist eher millionenfach nachvollziehbare Erfahrungstatsache als originelle Situation. Denn der verkaterte Dandy Emil, der die letzte Nacht des Faschings durchgemacht hat, besitzt zwar einen Diener Kasimir, den er belatschern kann, vor den Bettvorhängen könnte jedoch leserseitig auch eine andere Person gedacht werden. Der Tag, an dem das vierzigtägige Fasten beginnt seit dem Pontifikat Gregor des Großen (540 – 604), in Latein FERIA QUARTA CINERUM oder auch DIES CINERUM, mündet heute nicht selten in ein Heringsessen und Politiker haben sich angewöhnt, einen politischen Aschermittwoch zu inszenieren, dessen Hauptkennzeichen das grobe Auskeilen gegen den politischen Konkurrenten ist. Mit dem man später gern koaliert.

Politik hat Otto Julis Bierbaum nicht verbaut in seiner Zwei-Personen-Szene. Aber Sätze wie „Sie sollen sich das Wort „eigentlich“ abgewöhnen! Das Wort ist eine Impertinenz!“ Viele Jahre später hob sich ein gewisser Theodor Wiesengrund Adorno in die moderne Geschichte der Ideologie-Kritik mit dem Büchlein „Jargon der Eigentlichkeit“. Daran muss man nicht denken bei Bierbaum, aber man kann. Es ist wie mit dem Duschvorhang und dem Telefonkabel bei Rüdiger Hoffmann, der, wie es der Zufall will, in dem Jahr geboren wurde, als Adorno sein Werk bei Suhrkamp veröffentlichte, als der Verlag noch mit Büchern mehr als mit Eigentumsstreitigkeiten die Feuilleton-Schlagzeilen zu beherrschen suchte, nämlich 1964. Man liest bei Bierbaum: „Der Alexandrit ist der Aschermittwochstein. Zwar noch inwendige Glut, aber überflort.“ Das weckt Recherche-Geister: Man nennt ihn den berühmtesten Farbwechseledelstein der Welt, für den so genannten Alexandrit-Effekt ist der Chromgehalt verantwortlich, der seltene Stein gehört zu den seltenen Varietäten des CHRYSOBERILL. Bitte nachschlagen.

Dandy Emil, hinterm Vorhang, er hat sich nicht einmal ausgezogen, trägt noch sein Pierrot-Kostüm im Bett, was ihn dann doch ein wenig irritiert allein aus hygienischen Gründen: „Und überdies: Wozu sind wir Philosophen? Was hätten wir Philosophen zu tun, wenn die Welt vollkommen wäre? Es ist in der Tat alles sehr nett eingerichtet. Auch das mit dem Aschermittwoch ist gut disponiert. So kann sich der Mensch doch ausruhen, weil er muß.“ Die Vollkommenheit der Welt würde nicht nur den Philosophen überflüssig machen, die Vorstufe dieser Vollkommenheit wäre auf alle Fälle schon einmal der Status „nett eingerichtet“. Ob Gregor der Große einst an einen Tag zum Ausruhen für Suffköppe dachte, darf auch außerhalb der Liturgie oder Dogmengeschichte bezweifelt werden. Das schließt freilich die Notwendigkeit eines Katerfrühstücks nie aus: „Womit könnte man den Aschermittwoch stimmungsvoller beginnen, als mit graukörnigem Malossol?“ Allen, die hier nicht schon wieder nachschlagen wollen, sei verraten, gemeint ist schwach gesalzener Kaviar russischer Produktion, der Rollmops der besseren Kreise.

Der Dandy kennt sich natürlich nicht nur mit passenden Steinen und Katerfrühstücken aus: „Es gibt kein Versmaß, das so den Lokalton des Aschermittwoches hätte, wie der alte, brave schleifbeinige Hexameter. - Herr Professor Dr. Johann Heinrich Voß, ich gestatte mir eine kleine klassische Libation!“ Meint ein Trankopfer, welches Emil allerdings mit einem Mundwasser zum Gurgeln erbringt, was nicht ganz der klassischen Lehre, sehr aber der Situation entspricht. Er dichtet auch selbst, was mir 1981 noch aufstieß, jetzt aber gar nicht ganz unpfiffig erscheint: „Ein Angesicht wie Käse, // Die Beine knick und matt, - // Wohl dem, der Aschermittwochs // Keinen Spiegel im Hause hat.“ In die Geschichte der Gelegenheitsdichtung nach Goethe gehen diese Verse eher nicht ein, wer aber weiß, dass Otto Julius Bierbaum eben auch ein Brettl-Dichter war und sogar einer, der sich nicht hinter dem Bühnenvorhang zu verstecken brauchte, der kann die Reimerei wohl einordnen. Diener Kasimir muss, ehe er zur Kirche gehen darf, Vollzug melden: das Bad sei geheizt, Masseur und Maniküre anwesend, auch das Pferd bereits, selbst wenn es zunächst nicht das richtige ist. Die Fastenzeit droht: „Vierzig Tage lang fasten wie der Johannes von Sudermann, den man nicht aufführt.“ Mag es kommen, wie es muss: „Es wird einem heutzutage impertinent schwer gemacht, originell zu sein. Das meiste ist schon weggedichtet. Die ganze Vergangenheit ist ein einziges großes Plagiat an der Gegenwart.“

Am 28. Juni könnte man den 150. Geburtstag von Otto Julius Bierbaum feiern, der 1865 in Grünberg/Niederschlesien geboren wurde. Vermutlich werden weder Rüdiger Safranski noch die beiden Deckers neue Bierbaum-Biographien auf den Markt werfen, wir können die Leipziger Buchmesse ruhig abwarten. Wer in seinem Buchbestand aus der zweiten deutschen Diktatur in direkter zeitlicher Folge nach Bierbaum schauen möchte, wird „In Rixdorf kennt mich jedermann“ finden aus der Reihe „Klassische Kleine Bühne“ des Henschelverlages (1971). Er wird „Zäpfel Kerns Abenteuer“ finden, mit Bofinger-Illustrationen im Kinderbuchverlag Berlin, Reihe Alex-Taschenbücher 32, und er/sie wird natürlich auch auf „Annemargret und die drei Junggesellen“ stoßen, Eulenspiegel-Verlag 1975. VEB Brockhaus Verlag Leipzig erfreute die Liebhaber der Reihe „Klassische Reisen“ 1984 mit „Die Yankeedoodle-Fahrt“  Als die DDR schon Gegenstand pikierten Erinnerns war, 1992, ließ der ehemalige Verlag des ehemaligen Landes Rütten & Loening noch „Eine empfindsame Reise im Automobil“ folgen, da aber starrten wir alle auf andere Horizonte.


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