Jack London: Der Ruhm des Kämpfers

An den Maßen Jack Londons gemessen, ist „Der Ruhm des Kämpfers“ fast ein Roman, in meiner Ausgabe knapp hundert Druckseiten. Erzählt wird von Pat Glendon, der mit seinem Vater, dem alten Pat Glendon, fern aller Zivilisation in den Wäldern lebt. Der Sohn ist, was mit dem Wort Naturtalent nur vage beschrieben wird. Ihn preist der Vater in einem Brief seinem alten Bekannten Sam Stubener an, der einst selbst Boxer war und nun Manager ist. Der Brief macht den Manager fast gegen seinen Willen so neugierig, dass er die mühselige Reise unternimmt, den Wunderknaben selbst in Augenschein zu nehmen. Was er sieht, übertrifft all seine Erwartungen. Er schließt mit dem Vater einen Kontrakt ab, der eine Ausschluss-Klausel enthält. Sollte jemals eine Schiebung ins Spiel kommen, wäre der Vertrag hinfällig. Der aus den Wäldern kommende junge Boxer, der nie einen ernsthaften Kampf bestritt, möchte am liebsten sofort gegen den Weltmeister antreten und Manager Stubener hat einige Mühe, seinem Schützling elementare Regeln nahe zu bringen. Man habe sich schrittweise nach „oben“ zu boxen, ehe man vielleicht einen der Großen herausfordern kann. Und der Weltmeister steht ganz am Ende, das kann Jahre dauern.

Pat Glendon schlägt seine ersten drei Gegner mit dem ersten und zugleich einzigen Schlag nieder. Stubener muss ihm klar machen, dass das Publikum nicht Eintritt zahlt, um einen Sekundenkampf zu sehen. Er möge mit dem finalen Punch warten. Das ist, streng genommen, schon unerlaubte Absprache, schon hier wäre der Vertrag eigentlich hinfällig. Jack London stattet seinen jungen Wunderboxer jedoch nicht nur mit unbegrenzter Kraft, mit unbegrenzter Reaktionsschnelligkeit, mit einer unfassbaren Lageeinschätzung aus, er schenkt ihm eine andere Leidenschaft, die einen fast provozierenden Gegensatz darstellt: Pat Glendon ist ein leidenschaftlicher Leser, und zwar ein leidenschaftlicher Leser von Gedichten. Noch heute versäumt kein gestandener Fußballreporter, den Abiturdurchschnitt eines Kickers auf dem Platz zu erwähnen, der zur offenbar tiefen Verwunderung des Journalisten das Gymnasium erfolgreich beendete. Es fasziniert professionelle Klischeeträger zweifellos, auf Intelligenz dort zu treffen, wo ihre eigenen Vorurteile diese nie vermuten ließen. Wie oft haben wir vom IQ der Sex-Ikone Sharon Stone gelesen und gehört? Jack London, seiner eigenen Körperlichkeit nicht nur sehr bewusst, sondern auf sie stolz, entwarf ein Wunschbild seiner selbst?

Es spräche weder gegen den Autor noch gegen seine Figur. Tatsächlich sind ja bis heute die überdurchschnittlich intelligenten Boxer etwas wie Wundertiere im Ring: „Dr. Steelhammer“ ist der erfolgreichste der letzten Jahre im Schwergewicht gewesen. Nur leider haben sie die Eigenart, aufgrund ihrer Überlegenheit im Kopf nicht selten nicht genug zu schlagen und vor allem nicht hart genug zu schlagen. Zu Jack Londons Zeiten aber waren Profi-Boxkämpfe offenbar unbegrenzt verlängerbar, die Rundenzahlen, von denen er schreibt, sind heute vollkommen undenkbar. Wie auch immer, der Ruhm des jungen Kämpfers verbreitet sich nach und nach, sein Manager streut dann auch mit geplanter Zeitverzögerung das Geheimnis seiner Herkunft. Stubener kennt die Regeln des Marketing-Geschäfts in seinem Sport und es hilft tatsächlich. Denn an den alten Pat Glendon können sich die Experten natürlich gut erinnern, auch wenn der nie einen der großen Titel erkämpfte, in den entscheidenden Kämpfen profanes Pech hatte (oder Schiebungsopfer war). Der junge Pat Glendon ist bald in der Lage, nach Absprache fast auf die Sekunde genau seine Kämpfe zu beenden, während er selbst nie auch nur in die Nähe der Gefahr einer Niederlage gerät.

Der heutige Leser darf dem Zeitgeist folgend an mancher Stelle erschrocken sein. Jack London illustriert etwa die Abgebrühtheit seines Managers Sam Stubener mit dieser Aussage: „Einmal hatte er einen Abziehriemen für Rasiermesser, aus der Haut eines gelynchten Negers verfertigt, erhalten ...“. Der alte Pat Glendon preist im Brief seinen Sohn: „Man redet von der Hoffnung der weißen Rasse. Die ist er.“ Dafür blendet der Autor eine gar nicht so kleine Kleinigkeit aus: Pat Glendon muss über 60 gewesen sein, als er Vater wurde und da die Mutter früh starb, hat er den Sohn allein aufgezogen in vollkommener Zurückgezogenheit. Das will gerade in einer Welt selbstverständlicher Rollenteilungen zwischen Mann und Frau nicht sonderlich glaubhaft erscheinen oder hätte mit Details erzählt werden müssen. „Ich weiß nicht, was Sie zu einem Burschen von zweiundzwanzig sagen, der noch nie im Leben Alkohol getrunken oder Tabak geschmeckt hat?“ London hat sich ziemlich sicher auch damit ein unerreichtes Vorbild vor Augen geschrieben, denn er selbst soff und rauchte unmäßig. So erscheinen dem Alten aus eigener Erfahrung Kämpfe im dicken Qualm des Publikums als Gefährdungen seines Sohnes.

Und noch eine Gefahr kennt der Vater: „Die Weiber haben manchen guten Boxer auf dem Gewissen, aber ihn werden sie nicht verderben“. Zum Sohn selbst sagt er: „Und was auch immer geschieht, nimm dich vor den Weibern in acht. Weiber bedeuten Tod und Verdammung, vergiss das nicht.“ Dass es ganz anders kommt und ganz anders ist, erfährt der junge Pat Glendon, als sein Erfolg so groß ist, dass sich die Presse für ihn interessiert. Lange kann der Manager seinen Schützling abschirmen und zugleich sein Sprecher sein. Dann aber kommt eine Journalistin mit Durchsetzungsvermögen. Man kann aus diversen Texten von Jack London eine Sammlung anlegen von Frauengestalten, deren Stärke den Autor offenbar zugleich bewundert und mit tiefer Verunsicherung betrachtet. Hier ist es eine junge Journalistin aus sehr reichem Hause, Maud Sangster. Sie will das „Höllenbiest“ interviewen, als das der junge Pat Glendon in den Massenmedien der Zeit gehandelt wird. Sie kommt mit allen Vorurteilen, die sich daran anknüpfen lassen und sie wird natürlich eines Besseren belehrt. Den entscheidenden Anstoß für ihr Umdenken liefert ein aufgeschlagenes Buch: Der Boxer liest gerade in den Sonetten Shakespeares.

Das würde man heute als besonders dummdreiste Marketing-Idee anschauen, man würde dem Image-Berater des Boxer raten, vielleicht doch nicht derart dick aufzutragen. Jack London aber hat diesem Moment vorgearbeitet. Unmittelbar vor einem Kampf besucht Glendon eine Vorlesung über Robert Browning, in seiner Tasche führt er Longfellow mit sich, es sind die ganz großen Namen der englischsprachigen Dichtung, die der europaerfahrene Autor da in starke Hände legt. „Nie hatte ein Boxer gelebt, der der Boxwelt so fremd war wie er.“ Maud Sangster gelingt es, die Aufmerksamkeit des jungen Mannes nicht nur zu erregen. Sie erobert ihn geradezu, ohne das eigentlich zu wollen oder auch nur spielerisch in Erwägung zu ziehen. „Jeder hatte sich den andern so verschieden von der Wirklichkeit vorgestellt, dass die Freude des Erkennens der Verwirrung gleichen musste.“ Jack London erzählt einen Spezialfall von Liebe auf den ersten Blick. Maud Sangster knackt den sich ausschweigenden Gesprächspartner, indem sie ihn mit ihrem Wissen konfrontiert, der folgende Kampf werde in der 16. Runde enden. Pat Glendon verspricht ihr, das werde nicht so sein, es werde die 18. Runde sein und nur sie allein davon wissen.

Doch die Welt ist böse, vor allem die Boxwelt. Und es zeigt sich, wie naiv der doch so kluge und vorausschauende Boxer einen ganz dummen Fehler begeht. Er hätte den Kampf früher beenden müssen als verabredet. So aber fällt sein Gegner ohne Wirkungstreffer buchstäblich wie vom Schlag getroffen, die Absprache ist erfüllt und die junge Journalistin kann gar nicht anders, als alles als Wortbruch zu deuten. Das Verhältnis zwischen Maud und Pat ist damit erst einmal aufs stärkste gefährdet, weil sie ja nicht weiß, wie es zuging. Er verschafft sich aber Zutritt in der Redaktion, wo sie arbeitet und erklärt ihr alles. In einer handstreichartigen Weise erobert er nun sie, sie lässt sich erobern und dann befinden sich beide schon in den Wäldern. Plötzlich ist die spannende und sehr realistische Geschichte ein Märchen. Pat Glendon will nur noch einen einzigen Kampf bestreiten, dann ganz aussteigen. Diesen letzten Kampf in der neuen Golden-Gate-Arena aber will er nutzen, eine Rede zu halten, die aufklärt über das schmutzige Boxgeschäft. „Die Boxer sind nur Boxer. Sie fangen ganz ehrlich an, aber die Manager und Unternehmer zwingen sie mitzumachen oder jagen sie weg.“ Wird er sagen und andere Wahrheiten. Und den Weltmeister niederschlagen.

In der Redaktion, in der Maud Sangster arbeitet, gibt es noch Laufjungen. Heute gibt es da kaum noch Redakteure, nur schreibende Synergie-Effekte und diese Desktops, an denen dubiose Mantelredaktionen aus einem Zulieferberg unterschiedliche Kopftitel mit gleichem Stoff zustopfen in der Hoffnung, Leser merkten es nicht. Sie merken es in der Tat nicht, weil sie nicht mehr lesen. In dieser sagenumwobenen amerikanischen Redaktion geschehen zwischen Maud und Pat die ewigen Dinge: „Er betrachtete sie mit einem heißen Blick, den sie unbewusst erwiderte. Noch nie hat ein solcher Mann gelebt, dachte sie.“ „Sie wusste, dass sie ihn ewig gehasst haben würde, wenn er jetzt eine Entschuldigung oder Erklärung gestammelt hätte.“ Jack London legt seiner Reporterin eine Assoziation an den Preußenkönig ins Portfolio und dies: „... der Duft von körperlichem Wohlbefinden und von Sauberkeit, der ihn zu umwehen schien – das alles wirkte auf sie, wie nie ein Mann auf sie gewirkt hatte.“ Sie ist von den Wäldern begeistert, von ihm begeistert: „und während die Worte noch nicht in ihren Ohren verklungen waren, wunderte sie sich, dass sie, eine der eigenwilligsten und unabhängigsten aus dem Geschlecht der Sangster, so gesprochen hatte.“

Den Titel hat die lange Erzählung von einem Satz, den der alte Glendon dem Manager Stubener sagt: „Er kennt nur die Tapferkeit, die Romantik und den Ruhm des Kämpfers“. Das hätte Jack London gut ebenso über sich selbst sagen können und indirekt hat er es auch in vielen Werken getan. „Dies war ein Geschöpf aus dem Urwald, mehr ein umherschweifender Naturmensch aus den alten Sagen als ein junger Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert.“ Es war übrigens ein laut London unreifer Sportreferent, der Pat Glendon „Höllenbiest“ taufte, einer, der ihn gar nicht kannte. Der Effekt: „Das veranlasste ihn, sich noch mehr als bisher in sich selbst zurückzuziehen, und entwickelte gleichzeitig in ihm ein bitteres Vorurteil gegen alle Zeitungsschreiber.“ Solch ein bitteres Vorurteil könnte auch Lawrence Pentfield in der Geschichte „Das Wort der Männer“ mit sehr viel Recht entwickeln. Der Fehler einer Zeitung, den andere Zeitungen abschreiben, nimmt ihm die Braut, pflanzt ihm bittere Zweifel über seinen Freund ein und bringt ihn dazu, eine andere Frau zu heiraten, die er nicht liebt. Das aber wäre schon wieder eine ganz neue Geschichte, eine mit Gold, mit Indianerinnen und einem Würfelspiel zwischen zwei Millionären im hohen Norden.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround