Tina Krell sammelt frühe Eloesser-Feuilletons

Kann ein Buch gleichzeitig unschätzbar verdienstvoll und doch eine Katastrophe sein? Das ist keine rhetorische Frage, denn ich kenne solch ein Buch und bin darüber nicht nur verärgert. Ich bin wütend, wenn ich es jetzt wieder zur Hand nehme. Ich war wütend, als ich es vor mehr als einem Jahr systematisch zu lesen unternahm, nachdem ich bis dahin lediglich sporadisch, an Themen gebunden, zu ihm gegriffen hatte. In meinem leidlich langen Leseleben, das seit mehr als dreißig Jahren auch ein professionelles Leseleben ist, weil ich über Bücher schreibe, eine Zeit lang sogar als Freiberufler, der davon leben konnte, ist mir kein ähnlicher Fall vorgekommen. Ich hatte Bücher in meinen Händen, in denen einzelne bis Dutzende Seiten fehlten, weiß waren oder gar nicht vorhanden, ich hatte Bücher, in denen Seiten doppelt erschienen und andere dafür gar nicht. Ich hatte und habe bis heute Bücher aus kleinen wie auch aus ganz großen und hyper-renommierten Verlagen, die verzeihliche bis dumme Druckfehler enthielten, fand schlecht informierte Nachworte, arrogant unübersetzte Fremdsprachen-Passagen, augenfeindliche Kleinsttypographien, überflüssige Illustrationen. Lange hielt ich die gelbe Ausgabe des Münchener Carl Hanser Verlags von Günter Kunerts Erzählung „Gast aus England“ (1973) für die grausigste Fehlersammlung, die ich je las.

Bis mir ein Buch in die Hände fiel, seltsamen Formates freilich und auf seltsame Art zweispaltig gedruckt, dessen Titel und dessen versprochener Inhalt mich zunächst in euphorische Begeisterung versetzte. Der Berliner Vergangenheitsverlag (www.vergangenheitsverlag.de) präsentierte mir und anderen potentiellen Lesern im Jahr 2013 den Titel „A. E. Die frühen Feuilletons von Arthur Eloesser von 1900 – 1913“, Herausgeberin Tina Krell. Dem Einbandrücken entnahm ich, dass Tina Krell zum Jahrgang 1988 gehört, dass sie Kulturwissenschaft und Philosophie an der Humboldt-Universität studierte, was mich als Philosophie-Studenten der Jahre 1975 – 1980 an just dieser Humboldt-Universität schon einmal für sie einnahm. Fast Hochachtung befiel mich, als ich las: „Ihr Interessenschwerpunkt liegt bei der Entstehung und Entwicklung des Feuilletons und seinem Einzug in das deutsche Pressewesen ab 1900, bis zu seiner Blütezeit in der Weimarer Republik.“ Die Hochachtung mischte sich nahezu umgehend mit Skepsis. Woher hat sie die seltsame Datierung für die „Entstehung“ des Feuilletons? Wie konnte es, ich besitze etliche Bände mit gesammelten Feuilletons, dazu kommen, dass etwas zwischen Buchdeckel geriet, was es ihrem Ansatz zur Forschung zufolge noch gar nicht gab? Als Mini-Beispiel: das so genannte Wiener Feuilleton?

Die deprimierende Plattheit der Lösung: Für Tina Krell ist Feuilleton das, was in einer Zeitung unter dem Strich steht. Wann dieser Strich und wo genau zuerst in einer Tageszeitung auftauchte, hat mich, ehrlich gesagt, nie interessiert. Jetzt weiß ich mehr darüber, aber es interessiert mich immer noch nicht. Es gibt heute Zeitungen mit wunderbaren Feuilletons, die gar nicht auf die Idee kämen, ihre Seiten mit einem fetter gedruckten Querstrich oberhalb des unteren Seitendrittels aufzuteilen, um nicht zu sagen, zu strukturieren. Mich interessierte Arthur Eloesser. Von dem auf einen Streich nicht weniger als 160 Texte (Feuilletons) in den Händen zu haben, von denen ich bis dahin keinen einzigen kannte, das war für mich ein Feiertag. Ziemlich zu Beginn meines Umgangs mit dem 350 Seiten starken Buch, das zu meiner großen Freude auch ein Personenregister enthielt, neben einer Nachbemerkung und Anmerkungen eine Biographie in Daten, ein Werkverzeichnis, irritierte mich das Inhaltsverzeichnis hinten. Vorn eine nur „Inhalt“ genannte chronologische Nennung der Beiträge, freundlich nach Jahren sortiert, hinten ein „Rubriken“ genanntes zweites Verzeichnis: Literaturkritiken, Theaterkritiken, Kommentare, Reiseblätter, Berichte, Charakteristiken, zuletzt Großstadtporträts, eine abenteuerliche Einteilung, Verdacht erregend.

Der Verdacht: eine gewisse Hilflosigkeit in der Zuordnung, die man der Herausgeberin, 25 Jahre alt, als das Buch erschien, natürlich nicht zum Vorwurf machen darf. Hier wäre ein Betreuer, ein wissenschaftlich kompetenter Lektor, ein akademischer Lehrer der Universität gefragt gewesen, solche nicht zwingenden Rubriken zu vermeiden. Denn warum ist ein Text über Berlin und seine Bewohner ein Kommentar und kein Reiseblatt, warum erscheinen etliche Texte, die Buchkritiken sind, in der Rubrik Charakteristiken, die eine Bezeichnung von Arthur Eloessers akademischem Lehrer Erich Schmidt aufgreift? Im Nebeneffekt aber weist die Rubrifizierung auf ein gravierendes Defizit des Buches hin, bevor man noch die erste Zeile gelesen hat. Arthur Eloesser ist 1899 aus Paris als Nachfolger von Paul Schlenther in die Redaktion der „Vossischen Zeitung“ berufen worden, zunächst um die „Nachtkritik“ zu bedienen, rasch auch für die regulär ausführliche Kritik. Doch sind nur bescheidene 25 von 160 Feuilletons Theaterkritiken. Lege ich meine eigene, sehr selektive Tätigkeit als Theaterkritiker zugrunde, ich habe in reichlich zehn Jahren 244 Kritiken publiziert, ergäbe das einen Schnitt von knapp 25 Kritiken pro Jahr, was für den festangestellten Kritiker Eloesser in 14 Jahren hochgerechnet 350 Kritiken ergäbe, nur sieben Prozent sind im Buch.

Die absolute Mehrzahl aller Theaterkritiken Arthur Eloessers stand eben nicht „Unterm Strich“, sondern weiter oben. Damit aber ist der willkürliche und mit nichts vernünftig begründbare Entschluss, ausschließlich „Unterm Strich“-Texte in die Sammlung aufzunehmen zugleich die Entscheidung gegen ein halbwegs adäquates Bild des Autors Eloesser. Die Nachprüfung der Jahrgänge der „Vossischen Zeitung“ von 1899 – 1913 hat allein bis zum Jahresende 1908 bereits 506 Theaterkritiken ausgewiesen. Da aus der Zeit der zweiten Festanstellung Eloessers bei der „Vossischen Zeitung“ noch eine ansehnliche Zahl weiterer Theaterkritiken hinzu kommt, ist ihre Repräsentanz bei Tina Krell und im Vergangenheitsverlag damit fast als Falschinformation zu sehen. Wobei die späten Jahre für die Herausgeberin kein Gegenstand mehr waren. Doch ist an dieser Stelle sofort eine zweite Fehlleistung zu benennen. Tina Krell weiß um das Defizit, zieht zur Entschuldigung unter anderem die Schwierigkeit der Identifizierung der einzelnen Beiträge heran, was man insofern nachvollziehen kann, als die alte Schrift im Druckbild nicht immer leicht und auf den ersten Blick eindeutig zu entziffern ist (wenn man ungeübt ist darin). Die Herausgeberin besteht darauf, für die Jahre 1899 – 1913 alle Texte versammelt zu haben, die „Unterm Strich“ standen.

Auch das ist leider falsch. Allein bis Ende 1908 lassen sich neun Eloesser-Texte nachweisen, die „Unterm Strich“ standen und nicht in Tina Krells Sammelband erscheinen. Die Ursachen für diese Fehlleistungen sind unterschiedlich. Zu einem scheint sie die Register für das Feuilleton des abgelaufenen Kalenderjahres nicht benutzt zu haben, die jeweils in der ersten Ausgabe des Neujahres zu finden waren. Von dort her lassen sich auch solche Feuilletons eindeutig Eloesser zuordnen, denen im Druckbild womöglich das vollständige Kürzel A. E. fehlte, wofür sicher nur der Druck verantwortlich war. Die übersehenen Feuilletons verteilen sich über die Jahre 1904 (1), 1905 (1), 1906 (5), 1907 (1) und 1908 (1) auffallend ungleichmäßig. Wie viele noch folgen werden, werden die weiteren Recherchen ergeben. Zu korrigieren ist ein weiterer Fehler, der sich in der von Krell erstellten Biographie findet. Sie hat ihn allerdings von Horst Olbrich übernommen, von dem auch ich ihn einmal übernahm, ehe ich die entsprechenden Daten überprüfen konnte. Nicht „Die Karschin“ in der Ausgabe vom Dienstag, 6. März 1934 war Eloessers letzter Beitrag für die „Vossische Zeitung“, sondern eine Buchkritik zu Johann Georg Sprengels „Der Staatsgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ in der Sonntagsausgabe vom 25. März.

Diese Arbeit war die sechste und letzte Eloessers für sein langjähriges Haus- und Stammblatt, sechs Tage später erschien die für immer letzte Ausgabe der Zeitung: am 31. März 1934. Aus heutiger Sicht liest sich der 1932 in vielen Fortsetzungen gedruckte Rückblick „200 Jahre Kultur im Spiegel der Vossischen Zeitung“ von Eberhard Buchner wie eine vorgezogene Abschiedstournee für die immer weniger werdenden treuen Leser. Wie auch immer, die 160 „Feuilletons“, die Tina Krell aus den Jahrgängen 1900 bis 1913 fischte, um sie erstmals wieder einer neuen Leserschaft zugänglich zu machen, es war die bis dahin umfänglichste Neu-Publikation von Eloesser-Texten und ist das bis heute (leider) geblieben, erlauben einen Blick auf den weitestgehend vergessenen Autor, wie er vordem noch nicht möglich war. Um so ärgerlicher ist es und bleibt es, wie unfassbar schlampig die Edition selbst daher kommt. Der Verlag hat es nicht einmal unterlassen, vorn die Namen zweier Korrektoren abzudrucken, die vermutlich nicht eine Minute auf die Korrektur dieses Manuskriptes verwendet haben, ich verschweige diese Namen hier, weil sie vermutlich kaum Schuld trifft. Es ist ebenso wenig anzunehmen, dass Herausgeberin Tina Krell auch nur eine Minute auf die Revision der von ihr gesammelten Texte verwendet hat. Anders ist die unfassbare Fehlermasse undenkbar.

Zu reden ist hier nicht von jenen Kleinigkeiten, die jeder kennt, ein Zahlendreher hier, ein n statt ein r dort, ein n statt ein m, was halt so auf Tastaturen vorkommt. Nein, auf diesen 350 Seiten wimmelt es von haarsträubenden Lesefehlern, idiotische Sätze im Dutzend finden sich, deren vollkommene Sinnlosigkeit irgendjemandem hätte auffallen müssen, ständig finden sich Wörter, die es gar nicht gibt, alles hätte den Blick in das Original erzwingen müssen, stattdessen aber ist blindlings gedruckt worden. Nicht einmal die Quellenangaben für die Erstdrucke stimmen immer, wobei hier noch am ehesten Toleranz walten kann: je mehr Zahlen, um so eher auch einmal falsche Zahlen. Das gewählte willkürliche Kriterium für die Aufnahme ins Buch, Druck „Unterm Strich“, verhindert, dass die allererste Arbeit Eloessers für die „Vossische Zeitung“ im Buch erscheint, der Hinweis auf sie ist in die Biographie verbannt. Was aber macht man mit „Untertanten“ statt „Untertanen“ (S. 228), mit „eklig“ statt „eilig“ (S. 165), mit „Säuger“ statt „Sänger“ (S. 287) oder mit einem „Staatenhund“ (S. 222), um nur einige besonders krasse Lesefehler herauszugreifen? „Es verlangt Zähigkeit und Durchhaltevermögen, die frühen Feuilletons von Arthur Eloesser ausfindig zu machen.“ So lautet der erste Satz von Tina Krell im Buch. Beginnt man mit solchem Selbstlob?

„Weder digital noch in Bibliotheken vorhanden, muss man sich schon auf die Suche im Archiv begeben.“ Auch diese Sätze des Vorwortes hat offenbar niemand noch einmal gelesen, bevor sie in den Druck gingen: Man kann nicht seriös von Bibliotheken im Plural schreiben, vom Archiv aber so, als gäbe es in Deutschland nur eines. Hatte die arme und dann doch so fleißige junge Frau keinen Betreuer, Tutor, Lektor oder was immer? Wer weder digital noch in Bibliotheken vorhanden ist, kann sich auch auf keine Suche begeben, er sollte ein Sondersemester Semantik und Syntax von Sätzen einschieben in die eigene Ausbildung. Natürlich war die „Vossische Zeitung“, wenngleich leider nicht vollständig, zum Beispiel in den Beständen der Berliner Staatsbibliothek vorhanden, sonst hätte sie dort ja nicht wenig später digitalisiert werden können. Immerhin, wir erfahren vom Archiv: „Chronologisch abgefilmt sind die Zeitungsseiten dort auf handgroße Mikrofilmrollen gespult: zur Lesefreundlichkeit ist das Filmband im Negativ gedruckt. Die eigentliche Recherche beginnt aber erst am Lesegerät: Man durchsucht die Morgen- und Abendausgaben, hält Ausschau nach den Initialen, dem oft einzigen Anhaltspunkt zur Bezeugung der Autorenschaft.“ Man fragt sich neugierig und leicht besorgt, welche anderen Anhaltspunkte ihr die Autorenschaft bezeugten.

Nein, wer auch immer diese junge Frau so im Regen stehen ließ, sie sich derart lächerlich machen ließ mit solch einem infantilen Vorwort, der gehört an einen wenigstens virtuellen Pranger gestellt. Wen interessiert, wie die Mikrofilmrolle gespult war und dann plötzlich gedruckt? Man erwartet keine angelesenen Aufklärungen darüber, wie sich Berlin entwickelte, wie das Zeitungswesen dort. Und ob die Orientierung des Bürgertums an den Zeitungen hing, bezweifle ich gern vorsorglich. Tina Krell meint, dass „Eloesser unfreiwillig von jeder Gelehrsamkeit entlastet“ war, als ihm seine Habilitationsschrift keine Professur einbrachte. Welch ein Unfug!? Und dann schreibt sie über Theaterkritik, über die Ratschläge, die Eloesser angeblich befolgte, obwohl schließlich ihr Buch von der Theaterkritik am wenigsten präsentierte. Dass 1901 der ältere und erfahrenere Kritiker Alfred Klaar zur „Vossischen Zeitung“ kam, erzählt Krell, auch dass Eloesser nebenher noch mit der Betreuung des Fortsetzungsromans betraut war. „Obwohl Eloesser für die Theaterkritik an die Vossische Zeitung kam, machen gut die Hälfte der Beiträge im Feuilleton Literaturkritiken aus.“ Nicht obwohl, das ist Unsinn. Oben genannte Zahlen über seine Haupttätigkeit als Theaterkritiker belegen das klare Gegenteil, der fette Strich auf der Seite besagt nichts zum Thema, gar nichts.

„Seit jeher lebt der Journalismus von zwei Faktoren, einer soliden Grundbildung, aus der unter Zeitdruck geschöpft werden kann, sowie Urteilen des Lebens.“ Ich mag mir solche Sätze gar nicht auf der Zunge zergehen lassen oder über ihren tiefen Unsinn nachdenken. Wer aber lehrt wo solchen Blödsinn so folgenreich, dass eine junge Frau dergleichen in ein Vorwort für ihr erstes und bis heute einziges Buch übernimmt, das wohl für klug haltend? Auch die folgende Behauptung müsste belegt oder weggelassen werden: „Arthur Eloesser steht in dieser Tradition, und machte es sich zum Anspruch, seine germanistische Schulung den Kritiken nie anmerken zu lassen.“ Wie geht so etwas? Muss sich der Kritiker dumm stellen? Nein, er muss mit vollem Wissen des Germanisten, Romanisten, was auch immer, möglichst so schreiben, dass es auch solche Leser verstehen, die nicht auf die Fußnotenkriege der Ordinarien-Inhaber spezialisiert sind. Erich Schmidt etwa, sein Lehrer, konnte das in seinen „Charakteristiken“ ziemlich vorbildlich vorleben. Das immerhin weiß Tina Krell. Unfug ist gleich wieder, dass die „Charakteristik“ Erich Schmidts nach dessen Tod „das vorletzte Feuilleton Eloessers“ war, es folgten noch sehr, sehr viele, nur halt nicht mehr in der gewählten Zeitspanne des Buches. Das aber sind zwei unterschiedliche Dinge, sollte man meinen.

Purer Blödsinn ist die Behauptung: „Von einer eigenständigen Form mit literarischer Bedeutung ist es noch weit entfernt. Eloesser war kein Bahnbrecher oder Umstürzler, sondern nach eigenem Selbstverständnis Kritiker und Philologe.“ Ich will gar nicht fragen, was er nach fremdem Selbstverständnis war, sehe allerdings im Beruf des Bahnbrechers für einen am Antisemitismus der Zeit gescheiterten deutsch-jüdischen Akademiker um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert keine wirkliche Perspektive. Umstürzler ist nicht ganz das, was heute ein Aktivist ist, soweit er keiner der sozialistischen Arbeit war, aber eine Alternative zum Philologen bot er auch zu keiner Zeit. Heiße Vorwort-Luft, zum Glück nur über knapp zwei Druckseiten hin. Hinten aber gibt es noch eine Nachbemerkung, deren himmelschreiendster Satz so lautet: „Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert.“ Man kämpft mit drohendem Zwerchfellriss, wenn man ihn liest nach 340 Seiten eines Fehler-Wimmelbuches. Hinsichtlich der genutzten Quellen korrigiert die Nachbemerkung sogar das eigene Vorwort: Tina Krell war in der Staatsbibliothek Berlin und im Bundespressearchiv. Nicht einmal solche nun wirklich dummen Widersprüche zwischen zwei eigenen Texten im Buch sind ihr oder irgend jemandem aufgefallen. Wer ist zu beschuldigen?

Aus der Nachbemerkung erfahren wir, wer den Anstoß für das Projekt gab. Es war Dr. Alexander Schug, ein 1973 geborener Historiker, wie WIKIPEDIA verrät. Ich kam da gerade von 18 Monaten Grundwehrdienst zurück, er absolvierte später Zivildienst, wie ich lesen durfte, was nicht gegen mich spricht. Und gründete 2008, Überraschung, den Vergangenheitsverlag. Ihm ist für dieses Buch, so verrückt es klingt, auch zu danken, obwohl selbstverständlich die volle Verantwortung für diese Publikationskatastrophe bei ihm liegt. Tina Krell lebt inzwischen in London, befasst sich mit Frauenrechten und ähnlich wichtigen Themen. An Arthur Eloesser denkt sie, gut informierten Quellen zufolge, nur noch selten. So sehr gefesselt hat also weder er sie noch das angebliche Interesse am deutschen Pressewesen ab 1900. Was aber ist das für ein herrliches Forschungsgebiet, wenn man wirklich Interesse entwickelt und wie recht hat immer noch die Drittgutachterin meiner Doktorarbeit von 1986, zwei Jahre vor Tina Krells Geburt, die unvergessene Monika Leske, die auch Fotomodel war, weil ihr Mann als Fotograf von Beruf arbeitete. Sie sagte zu mir: jedes Thema wird interessant, wenn man sich erst einmal ernsthaft und intensiv damit beschäftigt. Abschließend werde ich, weil sein 200. Geburtstag unmittelbar bevorsteht, Gustave Flaubert als Exempel nehmen.

Zwei Beiträge zu Flaubert hat Tina Krell während ihrer anstrengenden Mikrofilm-Rollen-Recherche gefunden und natürlich aufgenommen, im Buch sind es die Texte Nummer 56 und 74. Der erste, „Flaubert in Deutschland“, stand nicht am 15. Dezember 1904, wie angegeben, in der Vossischen Zeitung, sondern am 11. Dezember. Dergleichen kann vorkommen. Der zweite, „Neue Briefe von Flaubert“, stand zwar wie angegeben am 29. März 1906 im Blatt, nur war das leider nicht die Nummer 143, sondern die Nummer 148. Dergleichen kann vorkommen, wobei die Negativ-Trefferquote von 100 Prozent natürlich schon ein wenig besorgniserregend ist. Von den groben Fehlern in beiden Text-Wiedergaben schweigen wir noch kurz, um uns dem Register zuzuwenden. Dort sind zwölf Fundstellen ausgewiesen, von denen gleich die erste falsch ist. Dafür fehlen zwei, die vorhanden, aber nicht ausgewiesen sind. Der Rest zeigt Übereinstimmung zwischen Register und tatsächlicher Seite im Buch. Im ersten Text verwandelt das Buch „dressiertem Gehör“ zu „dreisteren Gehör“, aus „der“ wird „die“, aus „einem“ Idyll wird „einen“ Idyll, aus „vorlas“ wird „vorlaß“, man muss tapfer sein. Vielleicht haben sich die Beteiligten von ihren Eltern in der Kindheit zu wenig „vorleßen“ lassen, so dass sich kein dreisteres Gehör ausbilden konnte.

Im zweiten Text ist ein ganzer Satz in den Wolf geraten, dreimal kommt zwar das Wort Wirklichkeit darin vor (S. 155), nur der Satz selbst ist vollkommen unwirklich, weil sinnfrei. Die Perlen sind hier „auf dem eisenbeinernen Throne“ statt „elfenbeinernen“ und „bis auf ein paar mitgenommene Tabakspeisen“, was bei Eloesser „Tabakpfeifen“ hieß und meinte. Welcher Dumm-Schuss schöner ist, will ich nicht entscheiden. Wer nun meint, dass in den meist nur ein, zwei Sätze bildenden sonstigen Flaubert-Fundstellen im Buch Ordnung und Richtigkeit herrschen sollten, irrt. Ein Satz einfachster Art kann im Vergangenheitsverlag drei Fehler auf einen Streich enthalten. Ob eigens dafür Korrektoren angestellt wurden, wird der Chef selbst sicher am besten wissen. Jede weitere Aufzählung ermüdet, noch ein fehlendes Komma, noch ein vergessener Buchstabe, dann aber plötzlich „Phahlbürgertum“, statt Pfahlbürgertum. Einmal, was auch wieder bezeichnend ist, hat die Krell-Sammlung ein Wort, das es gar nicht gibt, von Eloesser aus dem Original übernommen und falsch abgeschrieben. Ein Wort darüber, wie vollkommen kritiklos Tina Krell mit ihrer Quelle Doris Schaaf umging, wäre zu verlieren, weil Doris Schaaf wiederum vollkommen kritiklos mit ihrem Förderer Hans Knudsen umging, der von 1933 – 1945 Juden auf der Bühne und Juden in der Kritik bekämpfte, um später scheinheilig Bücher über sie schreiben zu lassen wie Schaaf über Eloesser. Mehr als dieses Fazit will mir nicht mehr in die Tastatur: das hat Arthur Eloesser nicht verdient.


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