Arthur Eloesser sieht Ferenc Molnár

Was den Umgang des 1870 geborenen Theaterkritikers Arthur Eloesser mit dem 1878 geborenen, also acht Jahre jüngeren, ungarischen Theaterautor Ferenc Molnár betrifft, darf man getrost von einem Lernprozess sprechen. Er vollzog sich konsequent, wenngleich nicht annähernd so rasch, wie sich der Ruhm des Mannes aus Budapest von der Donau flussaufwärts über Wien nach Deutschland und Europa verbreitete, sehr bald bekanntlich auch über den Ozean in Richtung Amerika. Arthur Eloesser hat den Weg Molnárs auf deutschen Bühnen quasi von Anfang an begleitet, empört bis entrüstet beginnend, bald ruhiger werdend, um schließlich in sachliches Erwägen, Bewerten und durchaus auch Loben zu einzumünden. Als Eloessers erste Mitarbeit an der Berliner „Vossischen Zeitung“ im Herbst 1913 endete, erlebte er, wenn man so will, seine Begegnung der zweiten Art mit Molnár. Als Dramaturg und Regisseur unter Victor Barnowsky hatte er mindestens zweimal direkt mit Molnár-Inszenierungen zu tun, was sich aus späteren Äußerungen ableiten lässt. Nach seiner Rückkehr ins Kritiker-Geschäft 1920 schrieb Eloesser zunächst für „Das blaue Heft“, später erneut für die „Vossische Zeitung“, die ihm vom 1. April 1928 an wieder einen festen Arbeitsplatz bot, noch mehrfach über Ferenc (Franz) Molnár und seine fast immer sehr erfolgreichen Stücke.

1908 sah der Kritiker „Der Teufel“, inszeniert am Lessingtheater und hielt vor allem zweierlei für mitteilenswert: das Stück habe ihn beleidigt, das Theater seinen eigenen guten Ruf geschädigt. „Vor wenigen Jahren noch hätte sich die Ehrbarkeit des Lessingtheaters, es ist natürlich die literarische gemeint, gegen solche Bastardkreuzung von Pariser Boulevard-Philosophie, Wiener Kaffeehausgeist und Budapester Paprika verwahrt.“ Man könnte schon hier spitzfindig fragen, wie das gemeint sei: Philosophie und Geist kann sich auch der einfachere Leser auf etwa einer Ebene vorstellen, was aber soll dabei Paprika, der in aller Regel kein Budapester ist? Eloesser fand das vermutlich witzig. Der Beginn der Kritik aber liest sich so: „Dieses Produkt eines bisher unbekannten ungarischen Schriftstellers, dem man einen internationalen Erfolg teils nachsagt teils vorhersagt, hat sich nun auch, wie ich gern oder vielleicht ungern bestätige, bei dem Publikum einer großen Berliner Bühne momentanen Beifall errafft.“ Wenn das so ginge, würde eine zweite Frage lauten: warum wird das Verfahren nicht öfter und auch von anderen Bühnen angewendet: wie errafft man Beifall, falls nicht die guten alten bezahlten Claqueure gemeint sind, die heute in unseren Theatern durch den Quietsch-Fanclub der jüngeren Darsteller nebst Darstellerinnen ersetzt sind.

„Herrn Molnárs Stück hat mich schon dadurch beleidigt, dass seine Handlung an den Faust erinnert. Ein deutscher Professor braucht vielleicht den Teufel, um eine Unschuld verführen zu können. Zu diesem Spiel ist sein leibhaftiges Auftreten durchaus überflüssig.“ Auch andere Kritiker haben sich bei diesem an jenen erinnert, der den Namen Mephistopheles trug, kamen aber meist zum Ergebnis, dass der eine doch sehr wenig mit dem anderen zu tun habe. Und selbst wenn es so wäre, was daran hätte für wen eine beleidigende Wirkung? Ist Goethes „Faust“ derart sakrosankt, dass schon ein Erinnern an ihn als banausische Übeltat zu gelten hätte? Mit einigen anderen Zeitumständen wäre Arthur Eloesser selbst ein deutscher Professor geworden. „Wenn man gestern an dieser nicht allzu appetitlichen Mischung durchaus einen feineren Geschmack entdecken wollte, so liegt die Schuld an unseren deutschen Dramatikern, die überhaupt nichts Genießbares mehr herrichten können und die Bühne darben lassen. Der Hunger ist eben weniger wählerisch als der Appetit und ich kann mich nur noch darauf verlassen, dass bei den Leuten, die so unbedenklich zugegriffen haben, der üble Nachgeschmack noch auftreten wird.“ Was für ein seltsamer Kritiker-Wunsch! Dass es Stimmen gab, die dem Pauschalurteil über deutsche Dramatiker widersprachen, soll hier nur erwähnt sein.

Der Kritiker misst das Stück offenbar an der Wahrscheinlichkeit, ob, was auf der Bühne geschieht, sich auch im wirklichen Leben ereignen könnte: „Dass man ein anspruchsloses Modell hinauswirft und eine Braut versetzt, wenn eine sehr schöne, sehr leidenschaftliche Frau lockt, das lässt sich auch ohne teuflische Einflüsterungen begründen. Wenn ich der Teufel wäre, würden mich solche Kleinigkeiten erheblich langweilen, und ich würde mich von Herrn Molnár nicht in einen Frack hinein zwingen lassen, allein weil er nicht Erfindung genug hat, um aus dem Spiel der Leidenschaft zwischen diesen Kindern der Welt eine mondäne Komödie zu machen.“ Leider oder zum Glück sind Kritiker im allgemeinen keine Teufel, schon gar nicht der Teufel, auch wenn Kritisierte ihn gern als solchen sähen, was in bestimmten Weltbildern dann Austreibungen erlauben würde. „Seine sehr umständlich vorbereiteten Pointen erinnerten mich an den literarischen und künstlerischen Geschmack von gewissen österreichischen oder ungarischen Witzblättern, die man nur mit einer gewissen Selbstentschuldigung in die Hand nimmt, allenfalls beim Barbier, wenn man die sehr lästige Prozedur das Haarschneidens zu überstehen hat.“ Das ist sehr ehrlich: erinnerten mich!

„Eine gewisse Geschicklichkeit beim Arrangement von Atelier und Ballszenen wäre Herrn Molnár nicht abzustreiten, aber es ist nur eine Geschicklichkeit niederer Ordnung, eine offensichtliche Fingerfertigkeit, die zu leicht kontrolliert werden kann, um eine liebenswürdige Überraschung zu stande zu bringen. Das Lessingtheater bietet überdies nicht den Boden für solche Art von Charlatanerie, und der verleugnete Hausgeist der Ehrbarkeit sträubte sich wenigstens gegen die Herstellung einer mondänen, teuflischen, schwülen Atmosphäre, die das Opus beabsichtigt.“ Ohne es vermutlich zu ahnen, hat Arthur Eloesser hier das Hauptwort fast aller deutscher Molnár-Kritik in Umlauf gebracht: Geschicklichkeit. Geschick und Fingerfertigkeit als nur negativ zu sehende Fähigkeiten und Fertigkeiten zu behaupten, passt freilich zu einem Land, indem selbst völlige Bühnenfremdheit vieler klassischer Bühnenwerke, die dann verschämt zu Lesedramen erklärt werden, wohlwollender Toleranz unterliegen und den Regie-Künstlern Tür und Tor öffnen für die nach unten offene Richter-Skala der Inszenierungs-Willkür. Immerhin, das verschwieg schon diese erste Molnár-Kritik Eloessers keineswegs, sah das Publikum auch ehrwürdiger Häuser das anders.

Am 15. Februar 1910 sah Eloesser Franz Molnárs Schwank „Der Herr Verteidiger“. Und schon hat sich die Tonlage verschoben: „Herr Molnár aus Ungarn trat vor einigen Jahren mit literarischen Ansprüchen auf, die wir seiner geschickten und durchsichtigen Industrie nicht bewilligen konnten. Die Salonphilosophie seines „Teufels“ war Spruchweisheit aus zweiter Hand, die parfümierte Eleganz verriet eine entlehnte und darum zudringliche Kultur. Gestern hat er sich an einer minder vornehmen Bühne unter minder großartigen Allüren zum zweiten Male vorgestellt, und ohne die mephistophelische Maske hat er viel besser gefallen. Sein Schwank ist lustig genug, und er hat obendrein das Verdienst, ein zeitgemäßes Bedürfnis zu befriedigen.“ Die minder vornehme Bühne war das Neue Schauspielhaus am Nollendorfplatz, wo es auch heute noch steht, nur kein Theater mehr ist, „Metropol“ steht an der Fassade. „Herr Molnár urteilte, dass das internationale Publikum, dem seine Bemühungen gelten, von dem ewigen Sherlock Holmes, von den genialen Detektiven genug haben könnte, und dass es endlich an der Zeit wäre, der poetisch gedrückten Klasse der Verbrecher wieder zu altem Glanze und Ansehen zu verhelfen. Bei ihm ist der Detektiv der Dumme, während der elegante Meisterdieb über alle Verfolgungen in lächelnder Sicherheit triumphiert.“

Jetzt wird auch die Reaktion des Publikum einfach so genommen, wie sie war: „... so nahm man das Ganze als einen guten und leichten Spaß, mit dem man gern lachen kann, während man sich die Taschen zuhält.“ Fast auf den Tag genau ein Jahr später, am 17. Februar 1911, sieht Eloesser „Der Leibgardist“ im Kleinen Theater: „Wenn Herr Molnár, der am theatralischen Großmarkt Berlin schon mit mehreren sehr dringlichen Angeboten aufgetreten ist, sich noch öfter zeigen sollte, so wird er es erreichen, dass wir uns an ihn gewöhnen, und dass gewisse Antipathien der ersten Bekanntschaft allmählich verkümmern. Was hilft uns auch die feine Zunge, wenn unsere eigenen Lustspielautoren uns nichts zu kosten geben? Die Theater wollen irgendwie existieren und finden sich immer wieder auf Surrogate angewiesen.“ Das Kleine Theater gehörte zu den Reinhardt-Bühnen, ging aus dem Kabarett Schall und Rauch hervor, das Max Reinhardt 1902 erwarb. „Herr Molnár ist ein sehr deutlicher Produzent von Surrogaten, und um uns mit ihm abzufinden, wollen wir ihm gleich einräumen, dass er an Witz zugenommen hat und dass er stellenweise sogar einen Esprit zeigt, der an das Leben selbst streift. Nur dass er nicht in ein Problem hinunter zu sehen wagt, weil er das Publikum ständig im Auge behalten muss.“ Das Leben selbst ist nun schon nahe!

„So schwankt er in seinem neuen Stück zwischen einem Ernst, der nicht reif wird, und einem Scherz, der seine Lustigkeit zuweilen verliert. Manchmal ist es ein Lustspiel und manchmal ein Schwank, weshalb der Verfasser dieses Mischding wohl Spiel nennt.“ Dem im Auge behaltenen Publikum wird es gleich gewesen sein, es muss keine Abhandlung über die Formen bürgerlichen Lachtheaters schreiben, wie es Volker Klotz viel später tat, ohne die Namen Molnár oder Roda Roda auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. „Wir wollen davon absehen, dass Molnár sich einen bequemen Irrtum gestattet hat; der große Schauspieler – vor kurzem gab es noch zwei – kann sich am allerwenigsten verstellen und unkenntlich machen. Wir wollen auch davon absehen, dass Molnár eine alte Erfindung, ein ehrwürdiges Erbstück der Weltliteratur benutzt von dem Manne, der die Treue seiner Frau in fremder Erscheinung erprobt.“ Dem im Auge behaltenen Publikum wird auch dieser Rückgriff als mäßige Sünde erscheinen: es geht nicht ins Theater, um Vergleiche anzustellen, sondern um sich unterhalten zu lassen, was freilich für alle deutschen Hohepriester der Kunst die Erbsünde schlechthin hin ist: noch Brecht liebte die Polemik gegen kulinarisches Theater.

„Es ist also ein Versuch an einem höchst untauglichen Objekt und, wir kommen schon wieder auf unsere Antipathien zurück, es ist etwas Unreelles daran, wenn Molnár ein „Spiel“ mit namenlosen Figuren aufführt, als ob es sich um etwas Typisches handelte. Hier hätte die Aufführung ihn berichtigen oder vertiefen können.“ Das klingt beinahe, als ob der Kritiker Eloesser sich bereits probeweise in die Rolle des Dramaturgen Eloesser versetzt, der er anderthalb Jahre später sein wird. Und tatsächlich finden wir in der übernächsten Molnár-Kritik, die er hinterlassen hat (weitere Funde bei der fortlaufenden Erschließung des kritischen Gesamtwerks sind hier ausdrücklich einkalkuliert, können natürlich nicht berücksichtigt werden) einen einschlägigen Hinweis. Vorher aber meldete er sich in „Das blaue Heft“ zur Komödie „Der Schwan“ zu Wort, Premiere war am 29. November 1921 im Theater am Kurfürstendamm. Das Heft erschien unter diesem Titel erstmals am 1. Oktober 1921, es ging aus der Zeitschrift „Freie deutsche Bühne“ hervor. Der Kritiker lieferte hier anders als früher bei der Tageszeitung Sammelkritiken, in denen er bis zu vier oder auch fünf Inszenierungen auf einmal besprach. „Der Schwan“ geriet so in die Nähe von Hugo von Hofmannsthals „Der Schwierige“, was natürlich den Tenor sehr auffällig bestimmt.

„Es ist wohl nicht statthaft, einen entschlossenen Theatermann wie Molnár und ein Ingenium von höchster literarischer Züchtung wie Hofmannsthal zusammenzubringen. Aber ich habe mich bei beiden … gleichmäßig mäßig unterhalten. Und dann hatten sie beide noch etwas gemeinsam, der ungarische Theatermann, der immer zum Dichterischen hinauf will, und der österreichische Dichter, der zum Theater hinunter will: nämlich keinen Humor. Molnár hat ihn nicht mehr und Hofmannsthal hat ihn noch nicht.“ „Der Schwierige“ war erst am 9. November 1921 in München im Residenztheater uraufgeführt worden, die literarische Qualität hat ihm wenig geholfen, anders als Molnár blieb ihm internationaler Erfolg außerhalb des deutschen Sprachraums verwehrt. Der Kritiker Eloesser bringt auch hier seinen ganz persönlichen Geschmack direkt ein: „In der Großen Szene, zu der sich ein Praktiker wie Molnár verpflichtet hält, benimmt sich der junge Bürgerssohn und Hüttenbesitzer mit Posaschwung für meinen Geschmack nicht sehr schön, wenn er mitten im Essen den Fürstlichkeiten die Wahrheit, aber auch die ganze Wahrheit sagt; ich hätte ihm die Tür oder vielmehr das Palastportal gewiesen.“ Der Vergleich mit dem profanen Alltag lebt 1921 noch.

Gleich vier Aufführungen auf einmal besprach Eloesser in der Kritik, die am 1. Januar 1923 in „Das blaue Heft“ gedruckt erschien. Erstmals ging es ihm um „Liliom“, Molnárs bis heute berühmtestes und am häufigsten gespieltes Bühnenwerk, von ihm benannt „Vorstadtlegende in sieben Bildern“. Der Kritiker einleitend: „Der vielseitig begabte und vielseitig betriebsame Franz Molnár gehörte zu den ersten Bühnenschriftstellern, die hinter einer neuen Romantik in die Traum- und Zaubersphäre eingezogen sind. Man erzählt von ihm, dass er diese Auftriebe zum Höheren nicht genügend gewürdigt fand und etwas verstimmt seinen Himmel wieder zuschloss, um sich mit dieser niederen Menschheit nur noch auf der niederen Erde zu verhalten. Aber auch die niedere Menschheit hat manchmal recht; auf dieser Erde wachsen seine Gaben. Dabei kann man immer noch Dichter bleiben.“ Man vergleiche mit den frühesten Äußerungen von 1908: ein weiter Weg in vierzehn Jahren. Und nun folgt die angekündigte Passage: „Als ich selbst einmal mit Liliom zu tun hatte, gab ich den Rat, das Bild zu streichen und es durch einen Bericht zu ersetzen, den ich mir sehr genau vorstellen konnte. Der Rat wurde leider nicht befolgt.“ Es kann sich nur um die Premiere vom 14. Februar 1914 gehandelt haben, die alle namhaften Feuilletons am 15. Februar besprachen.

Knapp neun Jahre später erlebt Eloesser Max Pallenberg als Liliom, Ilka Grüning als Frau Muskat und begeisterte sich an Lucie Höflich in der Rolle der Marie. Weitere sechs Jahre vergingen, ehe der Kritiker in der Komödie Berlin „Olympia“ sah, jetzt in seiner erneuerten Rolle als Vertreter der „Vossischen Zeitung“, die ihn als Nachfolger von Alfred Klaar eingestellt hatte. Der war einst aus Prag gekommen, hatte in Eloessers erster Periode beim Blatt bisweilen auffällig weniger lukrative Aufgaben delegiert. Jetzt hatte Eloesser Monty Jacobs zum unmittelbaren Vorgesetzten, der sein Zugriffsrecht natürlich ebenso nutzte wie früher der deutlich ältere Professor Klaar. „Olympia ist eine Gans oder mindestens eine Schwänin, weiß, kühl und so sehr Vestalin, wie man als junge Witwe sein kann. Olympia braucht einen tadellosen Ruf, weil sie Oberhofmeiserin der jungen Erzherzogin, also eine der ersten Damen der k. k. Monarchie sein wird. Ihre Familie dient dem erhabenen Herrscherhaus seit vierhundert Jahren, die kalten blauen Augen des Kaisers ruhen auf ihr mit Vertrauen. Ich weiß das von der Fürstin-Mutter, die den Vorzug hat, von Hedwig Bleibtreu gespielt zu werden.“ „Der Dialog ist witzig, er wird von Forster-Larrinaga dem Regisseur mit ironischer Verbeugung serviert. Wir haben mit den feinen Leuten über die feinen Leute gelacht.“

Unter den Akteuren dieser „Olympia“ waren Paul Hörbiger und Ernst Deutsch: „Bei aller internationalen Höflichkeit muss ich einer Empfindung Ausdruck geben, die wohl auch dem Publikum das Vergnügen an der Geschichte verkümmerte: Barna ist ein Schweinehund. Womit gesagt ist, dass er nicht von Ernst Deutsch gespielt werden darf, dem mit seinem tiefen Seelenton und Seelenblick die schwermütigen Liebhaber zukommen.“ Hier spricht nicht nur der Kritiker, auch immer noch der einstige Dramaturg, der mindestens fünfmal selbst Regie führte. Sein Fazit zum Ende der Kritik: „Herr Molnár ist einer der geschicktesten Theaterpraktiker der Welt; er war diesmal so geschickt, dass es ihm gelang, sich in der eigenen Schlinge zu fangen.“ Zwei Jahre vergingen, ehe die „Vossische Zeitung“ die nächste Molnár-Kritik Eloessers druckte, jetzt betraf sie „Die Fee“ in der Komödie und sie betraf vor allem Grete Mosheim. „Ich weiß nicht, wo dieses Stück spielt. Wahrscheinlich in aller Welt. Wie ja auch Franz Molnár zu aller Welt gehört. Mit Grete Mosheim jedenfalls fühlen wir uns gleich zu Hause. Sie ist sehr lustig in dem Séparée, wie es nun einmal auf berlinisch heißt, quecksilbrig, von Einfällen geschüttelt, listig und offen in ihrem Doppelspiel“. Arthur Eloesser ist von dieser „Fee“ hörbar angesprochen.

„Es wird da etwas zu lange soupiert, - aber die Szene hat ihr Mousseux, wie man das von Molnár erwarten muss. Unser Freund, wenn er nicht der Freund aller Welt sein sollte, hat wie jeder richtige Mensch zwei Herzkammern; in der einen wohnt die Welt, le monde, the high life, in der anderen wispert das Märchen.“ Zweiundzwanzig Jahre sind verflossen seit dem ersten Vernichtungsschlag gegen den Budapester Lustspielmann. „Molnár hat das Wunderknäuel dieses Märchens mit bekannter Geschicklichkeit durcheinandergewickelt, aber das Wiederauswickeln machte sich umständlich, langwierig, bis ihm die Fäden wohl ganz aus der Hand fielen.“ Und immer diese Geschicklichkeit! Mit von der Partie, zu der Stefan Hock Regie führte, waren neben Grete Mosheim Aribert Wäscher und Blandine Ebinger, große Namen nicht nur im komischen Fach. Und abermals zwei Jahre später sah Eloesser „Das Märchen vom Wolf“. Es darf als sicher gelten, dass er an der Inszenierung des Lessingtheaters 1914 als Dramaturg mitwirkte, für die „Vossische Zeitung“ saß damals Alfred Klaar im Parkett, für die „Berliner Morgenpost“ Eloessers alter Kollege Max Osborn. Natürlich hat der Kritiker nichts vergessen: „Barnowsky hat das Stück schon während des Krieges gegeben; aber auch eine gute Aufführung vermochte nicht, es haltbar zu machen und unter die Schlager von Franz Molnár zu bringen.“

„Der erste Akt ist gut geplaudert. Arthur Schnitzler sagte einmal, er möchte ihn gern geschrieben haben.“ Zwischen 1914 und 1932 aber liegen Welten: was damals funktionierte und wirkte, wirkt achtzehn Jahre später eben nicht mehr, das wirft der Kritiker auch dem Regisseur Eugen Robert vor. „Der Traum hat schon damals nicht gewirkt und tut es heute noch weniger, seitdem wir von Freud wissen, wie toll da unser Unterbewusstsein spielt mit Verwechslungen, mit Entgleisungen, mit fürchterlichen Symbolen einer allgegenwärtigen Erotik. Da ist nun der Dichter zahmer als der Wissenschaftler.“ Und der Kritiker erinnert an einen Webfehler des Märchens, der schon 1914 der Kritik nicht entgangen war: „Das Stück hat einen kleinen Fehler, hatte ihn schon damals. Wie kann auch der Mann von seiner Eifersucht geheilt werden, weil seine Frau geträumt hat? Eigentlich hätte er auch träumen müssen. Aber das wollen wir uns nicht ausdenken.“ Hier wäre es zu schön zu wissen, ob und wie der Autor Ferenc Molnár auf einen solchen Vorwurf reagierte, der ja beinahe ins Herz seiner stets beschworenen Geschicklichkeit traf. Und wenige Wochen später sah Eloesser auch endlich Hans Albers als Liliom in der Regie von Karl Heinz Martin. Da war die Inszenierung schon von der Volksbühne in den Admiralspalast gewandert und feierte Triumph auf Triumph.

Mit „Harmonie“ im Deutschen Theater besprach Arthur Eloesser schließlich ein neuntes Stück aus dem dramatischen Gesamtwerk Molnárs, wieder erlebte er Max Pallenberg, er erlebte Lore Anne Mosheim, die jüngere Schwester von Grete Mosheim. Und so las man am 2. Dezember 1932 in der „Vossischen Zeitung“: „Wenn Franz Molnár eine Komödie schreibt, Max Reinhardt sie inszeniert, Max Pallenberg die Hauptrolle spielt, so wird sich wohl auch eine Harmonie mit dem Publikum ergeben. Einige Galeriebesucher schienen das schöne Resultat von vornherein bestreiten oder verhindern zu wollen; sie schickten schon nach dem ersten Akt die schrille Dissonanz einiger Pfiffe herunter. Die Leute, die lachten, waren sehr empört und gaben den Spielverderbern Unrecht. Am Schluss, als sie nicht mehr so heftig lachten, gaben sie ihnen durchaus nicht Recht. Aber auch nicht grade Unrecht.“ Einst war es quasi eine Schande, am Haus von Otto Brahm einen Molnár zu bringen, jetzt ist die Kombination Molnár-Reinhardt eine Selbstverständlichkeit, die zu keiner Grundsatzdebatte mehr Material liefert. Sage noch einer, dass Entwicklungen eine Fiktion sind. „Molnár ist eine der stärksten Begabungen der modernen, sagen wir auch, der internationalen Bühne; nur dass seinem Talent etwas fehlt, was man Charakter nennen könnte.“

Arthur Eloesser beobachtete eine fallende Linie vom ersten bis zum dritten Akt, womit er jenen Kritikern mindestens indirekt zustimmte, die schon immer mal ein besonderes Talent Molnárs für erste Akte erkannt haben wollten. Ob er solche Stimmen kannte, können wir nicht mit Sicherheit behaupten, wohl aber begründet annehmen. „Aber die feine intrigante Art, mit der die nachsichtige Frau die verbogene Ehe wieder grade macht, das ist zu oft geschrieben, zu oft gehört, zu oft gebilligt worden. Man muss Ja dazu sagen, aber man sagt es mehr mit dem Verstande, mit einem Kopfnicken als mit einem Lachen aus dem Herzen und allen erschütterten Eingeweiden. Es ging nicht mehr toll genug zu und so kam auch der Beifall bei geringerer Kitzelung in ein Decrescendo.“ Wer Druckfehler liebt, darf in den späten Molnár-Kritiken besondere Feinheiten aufspüren: das Wort Maniküre in drei verschiedenen Schreibweisen in einem Text etwa. „Natürlich war es eine glänzende Aufführung. Reinhardt macht das mit einer Hand. Nun wünsche ich ihm eine Aufgabe, für die er beide Hände braucht.“ Solche Wünsche darf ein Kritiker gerne äußern. Mit immer neuen Sichten auf Ferenc Molnár über 24 Jahre hin hat Arthur Eloesser auch ein Selbstbild hinterlassen.


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