Das blaue Sofa
Also das war die neue Literatursendung. Das ZDF, eben hat sich Olli Welke noch lustig gemacht über die fünf Talkshows der ARD, in dem er Markus Lanz dagegen setzte, wie der aus Charlotte Roches Tankstellen- und Zeitungskiosk-Bestseller eine „Stelle“ vorlas, während die Kamera auf die lustige Person gerichtet blieb, die nach „Feuchtgebieten“ und „Schoßgebeten“ wohl schon an „Muttermundmeditationen“ würgelt, würzt nach. Man schleppt ein blaues Sofa auf einen Gletscher, setzt Ilija Trojanow drauf und den Moderator Wolfgang Herles (61). Während Ilija Trojanow mit mehreren Sätzen sagt, dass er keinen schwachen Roman geschrieben habe, sieht der Zuschauer rein zufällig stabil und leuchtend am unteren Bildrand das Logo von Jack Wolfskin. Später, als auch Wolfgang Herles mit mehreren Sätzen gesagt hat, dass es hier um ein Buch gehe von der Wandlung eines Idealisten in einen Ideologen oder ähnlich, bestätigt ihm Ilija Trojanow, dass er selbst es nicht besser hätte sagen können.
Danach trägt der Herles den neuen Roman von Judith Schalansky ins Bild, es gibt schwarz-weiße Einspiele, die DDR-Schulalltag zeigen mit einer bösen, bösen Lehrerin, wie im Buch eine vorkommt, und es wird ein Superlativ über die junge Autorin gestülpt. Für alle, die immer noch dem besten oder sonstwie -sten Wenderoman nachjagen und vorweinen, ist das ein mit Betonung gesprochener Vorschlag. Zwei Lobe, sagt die Dramaturgie der Halbstundensendung, müssen rasch und brachial mit einem Verriss aufgefangen werden, sonst kommt zur Geisterstunde noch jemand auf den Gedanken, hier werde gehudelt. Opfer des Verrisses ist Ferdinand von Schirach, der Enkel des Reichsjugendführers. Seine beiden Erzählbände sind so bejubelt worden im Feuilleton-Chor des deutschen Edelfeder-Vereins, dass Buch drei fast unvermeidlich fällig war nach Murphys Gesetz der Serie, egal was es geworden wäre. Herles wirft dem Enkel Feigheit im Umgang mit Opa Baldur vor, dazu sind inzwischen schon gefühlte 39 Interviews erschienen, das Thema knirscht.
Ursula März, einschlägig Vorbelesenen aus der ZEIT bekannt und aus Juroren-Kreisen, die immer total preiswürdige Romane/Bücher/Texte wie Nuggets aus dem Schotter sieben, erfährt das seltsame Lob, besser zu schreiben als von Schirach in seinen ersten Bänden. Was als Übergang lustig klingt, als Maßstab einfach nur albern ist. Oder ist Schirach jetzt das, was in Statistiken die angenommene 100 ist, von der in Richtung 101 oder 99 abgewichen wird? Immerhin, es ist nie verkehrt, wenn eine Kollegin, die zurückschlagen kann, weil sie sowohl Deutungshoheit wie aufnehmendes Medium zur Hand hat, nicht geschlachtet wird. Und, das nebenbei, Ursula März, ist keine Autorin, bei der man sich Gewalt antun muss für ein Löbchen.
Der Nächste, dem mehr Zeit eingeräumt und das blaue Sofa nachgetragen wird, ist der Groß-Mime Joseph Bierbichler. Ihm sagt Herles, noch ehe der Bajuware das Sofa verweigert hat, das man dennoch im Hintergrund sieht, altmeisterliche Sprache nach. Bierbichler ist ein Mann, dessen Gesicht für lange Großaufnahmen gut und besser ist und so geschieht es denn. Es reicht freilich auch, um nach Jack Wolfskin am Anfang nun Marc O'Polo in Altrosa lesbar werden zu lassen. Herles will dem Verfasser von „Mittelreich“ gern Aussagen entlocken, aus denen die Zitatenpicker des germanistischen Lehrstuhlgeschäfts später intertextuelle Bezüge destillieren können. Doch dieser Bierbichler wackelt nur mit den Augenbrauen, grient mal in diese, mal in jene Richtung. Und hat keinen einzigen Satz, der nach Klappentext klingt. Mehr geht nicht, da muss das Buch dann schon fast nicht mehr zwingend gut sein. Aber der Chor jubelt schon.
Der finale Hieb zur Geisterstunde trifft Oskar Roehler. Herles nennt ihn Dilettant, was gar nicht so grässlich wäre, wie es klingt, wenn man hilfsweise an Goethe denkt, der dazu eigens meditierte und in vieler Hinsicht selbst einer war. Was Herles freilich zitiert aus dem Buch, lässt einem das Leserblut stocken und sofort stellt sich die Frage: Warum, um alles in der Welt, werden solche unterirdischen Schwarten überhaupt veröffentlicht und wenn sie schon veröffentlicht werden, nicht wohltätig totgeschwiegen? Nur weil der Roehler, wie Herles sagt, Sohn zweier Schriftsteller ist, von denen er nur die Mutter Gisela Elsner nennt? Und ein guter Regisseur? Reicht das neuerdings schon? Es reicht. Es reicht im doppelten Sinne. Wir sind wieder bei Charlotte Roche und Philipp Lahm. Das reicht ja auch.